Erdog an und der Zement der Macht

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Man muss mit Erdog an reden. Das gebieten nicht nur die wirtschaftlichen Interessen und die Flüchtlingspolitik, sondern auch der Respekt vor Türken, die für eine demokratische Türkei kämpfen.

Für Recep Tayyip Erdog an war es nicht nur sein eigener Sieg, den er am frühen Montagmorgen auf dem Balkon seiner Parteizentrale in Ankara feierte. "Gewinner dieser Wahl sind die Demokratie, der Wille des Volkes und das Volk höchstpersönlich" verkündete der türkische Staatschef nach den Präsidenten-und Parlamentswahlen. Seine politischen Gegner sehen es anders. Mit der Wiederwahl Erdog ans, der mit 52,6 Prozent schon im ersten Durchgang die erforderliche absolute Mehrheit der Wählerstimmen erhielt, beginne die "Ein-Mann-Herrschaft", und darin liege "eine große Gefahr für die Türkei", warnte Erdog ans Gegenkandidat, der Mitte-Links-Politiker Muharrem Ince. Er unterlag mit 30,6 Prozent deutlich.

Die Wahlen besiegeln den Übergang zum neuen Präsidialsystem. Es macht aus der Türkei einen autokratischen Staat, dessen Führer praktisch keiner parlamentarischen Kontrolle mehr unterliegt. Es gebe in dem neuen System "keinen Mechanismus, der Willkür verhindert", sagte Ince. Damit löse die Türkei ihre Bindung zum demokratischen Westen, so der Oppositionspolitiker. Was das bedeutet, zeigte sich schon im Wahlkampf: 181 Stunden lang übertrug das Staatsfernsehen TRT in den vergangenen Wochen Erdog ans Reden, sein wichtigster Herausforderer Ince musste sich mit 16 Stunden Sendezeit begnügen. Ein fairer Wahlkampf sieht anders aus.

Großmacht-Träume

Mit nationalistischen Parolen und osmanischen Großmachtträumen gelang es Erdog an, viele autoritätsgläubige Wähler zu vereinnahmen. Wahlbeobachter der Oppositionsparteien berichten allerdings von massiven Manipulationen an den Urnen. So konnten auf Beschluss des Obersten Wahlrats auch Stimmzettel gewertet werden, die nicht amtlich abgestempelt waren. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte, die Oppositionsparteien seien im Wahlkampf und in den zu rund 90 Prozent Erdog an-treuen Medien massiv benachteiligt worden.

Dass diese Beschwerden Konsequenzen haben werden, ist aber nicht zu erwarten. Der allmächtige Staatschef wird keine Zweifel dulden und schon gar keine Überprüfung des Wahlergebnisses zulassen. Auch der Oppositionskandidat Ince akzeptierte schließlich das Wahlergebnis. Ja, man habe ihm "Stimmen gestohlen". Erdog ans Vorsprung sei aber so groß - rund elf Millionen Stimmen -, dass man ihn nicht durch Wahl-Unregelmäßigkeiten erklären könne. Erdog an, künftig in Personalunion Staatsoberhaupt, Parteivorsitzender und Regierungschef, kann von nun an die Machtfülle des neuen Präsidialsystems ausschöpfen.

Einen Premierminister, der dem Parlament Rechenschaft schuldig ist, gibt es künftig nicht mehr. Seine Kompetenzen gehen auf den Staatschef über. Er beruft seine Minister ohne Mitwirkung des Parlaments und kann über das Parlament hinweg regieren. Dass Erdog an verspricht, den Ausnahmezustand aufzuheben, ist kein Grund zur Erleichterung. Denn unter der neuen Verfassung hat er noch mehr Vollmachten.

Erdog an schaffte die Wiederwahl zum Präsidenten im ersten Anlauf. Seine AKP musste allerdings bei der Parlamentswahl gegenüber 2015 sieben Prozentpunkte abgeben und verlor die absolute Mehrheit. Das wird den Staatschef nur noch mehr in der Überzeugung bestärken, dass allein er die richtigen Antworten hat. Die Funktionäre der AKP müssen sich warm anziehen. Der Partei steht eine weitere Säuberungswelle bevor, wie schon nach dem enttäuschenden Verfassungsreferendum im April 2017.

Der gewiefte Stratege Erdog an hat daraus gelernt. Er schloss ein Wahlbündnis mit der ultra-rechten MHP und sicherte sich so die Stimmen der meisten nationalistischen Wähler. Die Rechnung ist aufgegangen. Nur dank der Allianz mit den Nationalisten konnte Erdog an seine absolute Mehrheit im Parlament retten. Auch für die MHP hat sich das Bündnis ausgezahlt. Die rechtsextremistischen "Grauen Wölfe" spielen als Erdog ans Mehrheitsbeschaffer nun eine Schlüsselrolle -mit möglicherweise fatalen Folgen für das ohnehin extrem polarisierte politische Klima in der Türkei.

Unvereinbare Politiken

Die Wahlen vom Sonntag würden die Türkei auf Jahrzehnte hinaus prägen, meint Erdog an. Er könnte recht behalten -leider. Mit dieser Wahl hat sich das Land noch weiter von Europa und dem Westen entfernt. Das neue Präsidialsystem ist mit rechtsstaatlichen Prinzipien, so wie man sie in der Europäischen Union versteht, unvereinbar. Erdog an bekommt bestimmenden Einfluss auf die Besetzung der Schlüsselposten in der Justiz. Eine parlamentarische Kontrolle über die Exekutive gibt es praktisch nicht mehr. Das widerspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Und wenn nun Erdog an nach Gutdünken die Universitätsrektoren berufen kann, dann verstößt das gegen die Freiheit von Lehre und Forschung.

Derweil bewegt in-und ausländische Investoren die Sorge, wie es mit der türkischen Wirtschaft weitergeht. Wachstum um jeden Preis war bisher Erdog ans Motto. Mit Kreditbürgschaften, Steuervergünstigungen und Subventionen kurbelte die Regierung die Konjunktur an. Jetzt zeigt die Wirtschaft Anzeichen einer Überhitzung, die zu einem Absturz in die Rezession führen könnte. Die steigende Inflation, der rapide Wertverlust der türkischen Lira und das wachsende Defizit in der Leistungsbilanz sind Warnsignale. Im Wahlkampf kündigte Erdog an bereits an, er werde künftig selbst über die Geldpolitik bestimmen -eine Hiobsbotschaft für die Kapitalmärkte.

Der türkische Industrieverband Tüsiad erklärte nach der Wahl, das Land stehe nun vor Aufgaben, die "dringende Aufmerksamkeit erfordern". Der Verband nannte die Sicherung des Rechtsstaates, fiskalische Disziplin, den Kampf gegen die Inflation, die Unabhängigkeit der Notenbank, Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und die Beschleunigung des EU-Beitrittsprozesses als vorrangige Punkte. Tüsiad unterstrich auch die Notwendigkeit einer Bildungsreform "unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen". Seit Langem gibt es in Wirtschaftskreisen die Sorge, dass Erdog ans islamisch-konservativ geprägte Bildungspolitik das Land im internationalen Wettbewerb zurückwerfen wird.

Wie umgehen mit Erdog an?

Die EU steht jetzt vor der schwierigen Frage, wie sie mit diesem Wahlergebnis umgeht. Klar ist: Erdog ans Türkei gehört nicht in die Europäische Union. Sie erfüllt nach dem Übergang zum Präsidialsystem noch weniger die Kopenhagener Kriterien, die alle Beitrittskandidaten einhalten müssen. Ein Abbruch der Verhandlungen wäre kontraproduktiv. Er könnte Erdog an in die Hände spielen. Denn damit würde die EU den - zugegeben geringen -Einfluss auf die Entwicklung des Landes ganz verlieren. So schwer es auch fällt: Man muss wohl mit Erdog an reden. Das gebieten nicht nur die wirtschaftlichen Interessen, die Belange der Flüchtlingspolitik und die sicherheitspolitischen Notwendigkeiten. Die EU schuldet diesen Dialog auch all jenen Türken, die am Sonntag nicht für Erdog an gestimmt haben, sondern für eine demokratische Türkei kämpfen -oft unter Einsatz ihrer Freiheit.

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