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Erschlagt die Politik die okonomie?

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„Ein schöner Herbst“ betitelt sich ein Stück, das vor eitrigen Jahren mit großem Erfolg „in der Josefstadt“ lief. Für die österreichische Innenpolitik kann man mit Sicherheit sagen, daß die Herbstsaison, die nach einer leider allzu kurzen Sommerpause bereits mit dem Wahlkampf in Wien und Tirol anlaufen wird, kaum das Prädikat „schön“ verdienen dürfte. Eben weil dem so ist, muß man dringend hoffen, daß die Spannungen in der Politik nicht wirtschaftliche Konsequenzen haben werden. Denn aller Hybris zum Trotz: die Politik ist das Schicksal, und im Raum der Politik fallen letzlich auch wichtige Entscheidungen über den Gang der Wirtschaft. Gerade angesichts der Sturmzeichen in unserer Innenpolitik sollte man sich die Exempel Deutschland und Italien vor Augen halten, um diese Interdependenz zwischen Politik und Wirtschaft zu verstehen.

In Deutschland ist es in wenigen Jahren gelungen, das im Zeichen der Sozialen Marktwirtschaft geschaffene „Wirtschaftswunder“ geradezu mutwillig zu zerschlagen. Eine von ihrer Hektik faszinierte Linksregierung hat es nicht vermocht, ihre Beteuerungen, man würde nun mit mehr Rationalität und Effizienz Wirtschaftspolitik machen, in die Tat umsetzen. Der wenig erfolgreichen Bilanz der Ostpolitik des Kabinetts Brandt entspricht eine solche in der Wirtschaftspolitik: Mit Riesenschritten rennt die deutsche Wirtschaft ins gefährliche Gestrüpp der Inflation hinein, die jüngst beschlossenen Konjunkturdämpfungsmaßnahmen kommen nach dem Urteil vieler Kenner zu spät, geradezu alarmierenden Lohn- und Preissteigerungen in den ersten Monaten des Jahres dürften bereits in den nächsten Woche neue folgen, wenn die Gewerkschaften zu einer großen Runde antreten. Das Rezept der D-Mark-Aufwertung war nicht so erfolgreich, wie man im Oktober 1969 gemeint hatte. Die Dämme gegen die inflationistische Entwicklung sind an vielen Steilen unterwaschen. Noch krasser zeigt such das Wechselspiel zwischen Politik und Wirtschaft in Italien. Hier hat der systematische Verfall der Staatsautorität das „miracolo“, das sich einst ebenfalls im Zeichen der Befolgung liberaler Prinzipien vollzog, in krisenhafte Entwicklungen umschlagen lassen.

Dies gewissermaßen zur Warnung für Österreich. Unter der Oberfläche bahnen sich nämlich innenpolitische Entwicklungen an, die der verantwortungsbewußte Beobachter nur mit Sorge registrieren kann, deren Übergreifen auf die Beziehungen zwischen den Sozial- und Wirtschaftspartnern mit aller Kraft und dem in Jahrzehnten von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen bewiesenen guten Willen verhindert werden muß. Der Ton zwischen den großen politischen Gruppen ist hämisch geworden, die Vertrauenskrise manifest, und mit wirtschaftlichen Begriffen und dem Schicksal der österreichischen Wirtschaft wird von beiden großen Parteien ein leichtfertiges Spiel getrieben. Die Diktion von ÖVP und SPÖ verrät derzeit weniger Sachverstand als den Willen zur Demagogie um jeden Preis.

Dabei braucht die österreichische Wirtschaft nicht pessimistisch zu sein. Unsere Volkswirtschaft hält derzeit in der Phase der sogenannten Spätkonjunktur mit den ihr eigenen Spannungen, vor allem auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes und der Preise. Export, Konsum, Investitionen und Spartätigkeit entwickeln sich günstig. Sorge macht allerdings die Preisentwicklung, die — dies ist keine politische Wertung — trotz dem günstigen Platz, den Österreich im internationalen Vergleich einnimmt, alarmierender ist als in den letzten Jahren. Importpreise und steigende Lohnkosten schlagen sich darin nieder, und in jüngster Zeit steigen die als Gradmesser der internationalen Wettbewerbsfähigkeit so wichtigen Arbeitskosten je Produktionseinheit in der Industrie wieder an, so daß die Erhöhung der Löhne kaum noch durch Rationalisierung wettgemacht werden kann.

Für den Herbst ist nun schon eine neue Lohnrunde angekündigt. Die Drohung, die der Präsident des Gewerkschaftsbundes in der letzten Nationalratssitzung an -die Adresse der Valkspartei gerichtet hat, muß wohl aus der Atmosphäre dieses unguten Tages im Parlament verstanden werden. Man sollte nicht übersehen, daß Benya im gleichen Atemzug geradezu beschwörend mahnte, das in 25 Jahren gemeinsam Geschaffene nicht aufs Spiel zu setzen. Jetzt, in diesem Herbst, wird sich zeigen, ob die in langer Arbeit und oft in der Stille aufgebaute und bewährte Sozialpartnerschaft in den Sog der politischen Klimavenschlech-terung geraten wird oder nicht. Was die Spitzen der beiden Partner betrifft, so haben sie gewiß die beste Absicht, diesen Faktor der Kontinuität und Stabilität mit hohem Kräfteeinsatz zu erhalten. Aber können sie es verhindern, daß die politische Eskalation — nicht nur der Wünsche und Versprechungen, sondern auch des Mißtrauens und der gegenseitigen Vorwürfe — letztlich auch auf dieses bisher vom Parteienzwist ausgesparte Gebiet übergreift?

Mit dem 1. Märtt, vollends mit dem 20. April 1970, dem Tag, da eine sozialistische Minderheitsregierung gebildet wurde, ist für die österreichische Politik eine Phase höchster Bewegung angebrochen. So begrüßenswert Dynamik als Auflockerung der Fronten und als Einführung neuer Elemente und Impulse auch sein mag, so gefährlich wäre es, würde das politische Terrain ins Rutschen kommen, würde vor allem die Staatsautorität leiden. Die Folgen sind, wie gesagt, nicht nur politischer und psychologischer Art. Wird man in absehbarer Zeit das Grillparzer-Wort abwandeln und sagen können: „Die Politik hat die Ökonomie erschlagen?“

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