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Albert Nolan: „Es hängt nicht alles an Mandela"

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Der Dominikanerpater Albert Nolan im Gespräch über den politischen und gesellschaftlichen Wandel am Kap, die Legende Mandela und die Sorgen der Reichen.

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Der Dominikanerpater Albert Nolan im Gespräch über den politischen und gesellschaftlichen Wandel am Kap, die Legende Mandela und die Sorgen der Reichen.

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Die Furche: Pater Nolan, nun ist. es mehr als zwei Jahre her, daß Nelson Mandela zum Präsidenten Südafrikas gewählt wurde. Das war damals mit großen Hoffnungen und Erwartungen verbunden, die sich natürlich nicht alle erfüllen konnten. Was ist Ihre ganz persönliche Sicht der Entwicklungen, was hat sich in diesen beiden Jahren in Südafrika getan?

Pater Albert Nolan: Ja, es ist richtig, daß viele Hoffnungen und Versprechungen sich nicht verwirklichen konnten. Ich glaube aber, daß das nicht die Schuld der Regierung ist. Wie in anderen afrikanischen Ländern hängt das auch mit der Schuldenkrise zusammen : 20 Prozent des Budgets müssen schon für die Kreditzinsen verwendet werden. So hat die Regierung zwar die politische Macht übernommen, aber es fehlen ihr die finanziellen Mittel. Und die wirkliche Macht ist nicht die politische, sondern die wirtschaftliche Macht.

Nun brauchen wir aber Investitionen für weiteres Wirtschaftswachstum. Überall in der Welt gab es Zusagen für Investitionen in Südafrika. Aber dann kamen sie mit ihren Konditionen. Und diese Konditionen sind solche, die die Armen ärmer machen, die einen Zuwachs an Arbeitslosigkeit bedeuten und so fort. Wenn sie aber die Bedingungen nicht akzeptieren, gibt es keine Investitionen, und ohne Investitionen kein Wirtschaftswachstum, ohne Wachstum aber lassen sich die Versprechen von Wohnungen, Häusern, Arbeitsplätzen, Bildungsangeboten nicht erfüllen.

Die FURCHE: Aber das ist kein spezifisch südafrikanischer Teufelskreis ...

Nolan: ... ja, das ist vollkommen richtig.

Die FURCHE: Was glauben Sie, wie hat sich das Image der Legende Nelson Mandela in den zwei Jahren seiner Präsidentschaft geändert?

Nolan: Er ist eine Symbolfigur. Er regiert nicht wirklich das Land, aber er weiß um den Wert von symbolischen Handlungen und Gesten in der Politik. Und er ist ein freier Mann, ein ungewöhnlich freier Politiker. Er braucht sich nicht um die Gunst der Wähler zu bemühen, nicht auf Parteimeinungen Rücksicht zu nehmen. Wenn er etwas sagen möchte, so kann er es sagen; wenn er etwas tun möchte, was dem Protokoll widerspricht, so tut er es. Und jeder akzeptiert das. Natürlich macht er Fehler, jemand, der so frei agiert wie er, macht unweigerlich Fehler. Doch er hat so einen Ruf, daß er sich auch Fehler erlauben darf.

Aber es ist eines der größten Mißverständnisse im Zusammenhang mit Südafrika, zu glauben, daß alles von Mandela abhängt. Das ist nicht wahr. Das Land hat sich stark verändert, es gibt eine neue Verfassung - aber das ist nicht alles Mandela. Es ist nicht so, wie viele glauben, daß die zentrale Frage lautet: „Was kommt nach Mandela?" Natürlich wird er uns fehlen - als Symbolgestalt —, aber seine Arbeit wird fortgesetzt werden.

Die FURCHE: Er hat ja schon angekündigt, beim nächsten Mal nicht mehr kandidieren zu wollen ...

Nolan: Ja, das hat er gesagt, er will dann eben nicht mehr Präsident sein. Wir haben übrigens inzwischen gelernt, daß selbst ein Mann wie Mandela - international geachtet, eine große Persönlichkeit - nichts nützt, um Investitionen an Land zu ziehen. Alle reden natürlich davon, aber im letzten sind Investitionen keine Frage von Freundschaft oder Großzügigkeit, sondern von Profit - da hilft auch ein Mandela nichts.

Die FURCHE: Oft ist von zunehmender Gewalt und Kriminalität in Südafrika die Rede, die einer friedlichen Zukunft Südafrikas entgegenstehen.

Nolan: Das ist ohne Zweifel so, und dafür gibt es mehrere Gründe. Zum ersten muß man sagen: Kriminalität hat es auch vor der Wende gegeben. Damals aber war die Polizei ein politischer Faktor, sie hat nicht Verbrechen bekämpft, sondern die Gegner des Regimes. Es ist für Europäer sehr schwierig, sich vorzustellen, was es heißt, daß die südafrikanische Polizei für die Mehrheit der Bevölkerung der Feind war - nicht dein Freund, nicht dein Beschützer, nicht dein Helfer, sondern derjenige, der mit den Verbrechern unter einer Decke steckt. Und natürlich kann man nicht die gesamte Polizei eines Landes über Nacht auswechseln.

Ein anderer Grund liegt darin, daß Südafrika ein freies Land mit offenen Grenzen geworden ist; und alle die internationalen Syndikate und Gangs - aus Hongkong, aus Nigeria - sehen hier nun einen neuen „Markt" für Verbrechen. Noch ein wichtiger Grund ist sicher, daß die meisten jungen Südafrikaner in dem Bewußtsein aufgewachsen sind, daß die Gesetze ungerecht sind. Dadurch verloren sie den Respekt davor, den Respekt vor der Polizei und vor dem ganzen Rechtssystem. Da ist es dann sehr leicht, kriminell zu werden. Und nicht zuletzt muß man in diesem Zusammenhang wohl erwähnen, daß wir rund 45 Prozent Arbeitslosigkeit haben.

Die FURCHE: Die Zeit vor den Wahlen war von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Mandelas ANC (African National Congress) und der Zulu-Partei Inkatha erschüttert. Kämpfe zwischen verfeindeten Schwarzen-Rewe-gungen staiuien auf der Tagesordnung. Wie sieht es damit heute aus?

Nolan: Im Moment ist es friedlich. Spannungen gibt es immer - nicht nur zwischen ANC und Zulus, auch zwischen Zulus und Zulus, zwischen Land- und Stadtbevölkerung et cetera. In der Vergangenheit wurden diese Spannungen ganz gezielt von bestimmten Politikern ausgenützt. Es ist so leicht, die Menschen aufzuhetzen.

Die FURCHE: Wie ist die Einstellung der Weißen zum „neuen Südafrika"?

Nolan: Nun, manche Weiße waren immer auf der Seite der Ausgebeuteten, andere waren irgendwo in der Mitte, einige waren extrem rassistisch - das gibt es auch heute alles noch. Interessant ist aber, daß die wirklich reichen Weißen Südafrika auch nach den Wahlen und dem Ende der Apartheid nicht verlassen haben. Einige Weiße des Mittelstandes - Ärzte, Rechtsanwälte zum Reispiel - sind in andere Länder wie USA, Australien oder Kanada ausgewandert. Sie können dort ihren Beruf genauso ausüben und ohne politische Probleme. Aber die wirklich Reichen, die gehen nicht - weil sie bei uns Geld machen können, und weil sie bei uns mehr Geld machen können als in Amerika oder Australien.

Die FURCHE: Wie sieht es mit der weißen Durchschnittsbevölkerung aus? Haben die Menschen Angst vor der Zukunft in diesem Land?

Nolan: Einige haben sicherlich Angst, vielleicht wegen der Kriminalität, vielleicht, weil sie einer schwarzen Regierung generell nicht trauen. Aber man muß auch sagen, es gab so viele Befürchtungen, was alles nach dem Ende der Apartheid passieren würde - und all diese Dinge traten nicht ein. Und außerdem sind nicht alle Kriminellen schwarz; und umgekehrt fürchten sich auch die Schwarzen vor Überfällen, Geiselnahmen und ähnlichem.

Das Hauptproblem ist überhaupt nicht eines der Hautfarbe im engeren Sinn, sondern die Frage ist, was macht man mit den Armen, wohin gibt man sie. Wenn man sie in der Nähe der Nobelvororte der Städte ansiedelt, beschweren sich die Reichen sofort. Die beschweren sich auch, wenn sie höhere Steuern zahlen sollen. Die Reichen in Südafrika haben zum Teil unglaublich viel Geld. Sie wissen oft gar nicht mehr, wofür sie es ausgeben sollen. Sie können höchstens noch mehr Juwelen kaufen oder was weiß ich. Aber sie beschweren sich in einem fort; sie haben überhaupt kein Gespür für die Armen.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner

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