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Seit zwei Jahren halten Europas politische Köpfe die Bevölkerung der EU-Staaten mit Krisenaktionismus zum Besten. Das kostet nicht nur Milliarden, es bringt auch nichts. Eine Anklage gegen die Verweigerung, sich der Realität zu stellen.

Freunde des europäischen Einigungswerkes werden wohl an diesem Advent keine rechte Freude finden: Allüberall holpern auseinanderbrechende Euros über die Titelblätter der Gazetten. Ratingagenturen drohen zum Kramperltag mit Bonitätsentzug für die reichsten Länder der Währungszone. Der Ökonom Jacques Attali warnt: "Der Euro könnte Weihnachten nicht überleben.“ Bei so viel Depression wirkte es beinahe erheiternd, dass ausgerechnet Österreichs Bundeskanzler vor wenigen Tagen dem Kurier seine Liebe zur EU gestand: "Ich bin ein glühender Europäer.“

Glühend! Werner Faymann! Freilich diktierten wohl auch die Umstände das brennende Herz: Faymann war just in dieser Zeit zu Gast bei "Europas Zarin“, wie Angela Merkel aktuell genannt wird. Von ihr wurde er über die von Merkel geplante Zukunft der EU unterrichtet. Was mag ihm die Zarin wohl gesagt haben, um diesen Überzeugungswandel auszulösen? Skeptiker meinen, es könnte sich um eine von Deutschland verordnete Sprachregelung handeln, welche uns auf Nachrichten vorbereiten soll, die wir ohne die Endorphine regierungsgestützter Begeisterung nicht verkraften werden.

Gaukeleien für Bürger

Hat Attali - er ist immerhin Berater von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy - etwa recht? Geht es jetzt ans Eingemachte? Wenn ja, warum ist es so verdächtig still in den europäischen Regierungskanzleien, wenn es um wirksame Krisenpolitik geht? Stattdessen versucht man mit Gaukeleien und Schlagworten Eindruck zu schinden: "Schuldenbremsen“ für die Staaten, Haushaltskontrolle und "echter Stabilitätspakt“. Nicolas Sarkozy, in diesem Fall der Zar Europas, ruft pompös: "Nie wieder eine solche Krise.“ Das war es?

Verdrängt man in Paris und Berlin, dass ein Teil der brandneuen Rezepte schon seit Jahren in den EU-Verträgen verankert ist? Vor allem aber: Ist es dem Direktorium egal, dass in Griechenland die Schuldentöpfe längst übergekocht sind? Dass dort kommendes Jahr wieder Milliarden fällig werden? Dass dort Schuldenbremsen längst nicht mehr bremsen und auch Stabilitätspakte nichts mehr stabilisieren können? Dass, wenn Griechenland ungeordnet insolvent wird, Italien mitfällt etc.? Wir kennen dieses Szenario seit mehr als einem Jahr. Aber noch immer gibt es kein Zeichen, dass Europa darauf eine Antwort wüsste.

Tut die Politik wirklich nicht mehr? Doch, tut sie. Hinter der Fassade hat sie längst andere, großkalibrige Geschütze gegen die Krise in Stellung gebracht. Mit diesen Waffen kann man aber keine Pressestatements behübschen oder Wahlen gewinnen. Dazu sind sie zu umstritten, zu unabsehbar sind ihre Folgen: Die Europäische Zentralbank kauft zum Beispiel seit Monaten für Milliarden Euro die Papiere bankrotter Staaten auf und pumpt auf der anderen Seiten massenhaft Liquidität in das Bankensystem. Nach der Lehre der Monetaristen bedeutet das Inflation. Ist das reine Theorie? Tatsache ist: Wir haben eine hohe Inflation. Doppelt so hoch wie eigentlich von der EZB erlaubt.

Hoher Preis für wenig Zeit

Aber mehr noch: Weil man die europäischen Verträge und die nationalen Verfassungen und Parlamente nicht zeitgerecht so biegen kann, dass sie weitere Infusionen ins griechische Budgetloch gestatten, wird nun daran gearbeitet, Europas Beiträge zum Weltwährungsfonds aufzustocken. Der pumpt dann das Geld der EU-Staaten in den EU-Rettungsschirm, was die Staaten selbst aufgrund demokratischer Regeln nicht tun dürften.

Würde diese Geldverbrennung wenigstens etwas helfen. Aber man kauft damit bloß Zeit - und nicht einmal viel davon. Beides, Geld und Zeit, wird uns fehlen - wenn es darum geht, endlich echte Alternativen zum Geldausgeben zu verhandeln: Eine solidarische Währungszone mit strengen Regeln und gemeinsamen Anleihen. Bitter dämmert die Erkenntnis: Weihnachten kommt und die Zaren verschenken das letzte Vermögen. Das war und ist ihr einziges Rezept seit zwei Jahren Krise. Sonst ist da nichts. Es ist eine beschämend stille Zeit.

oliver.tanzer@furche.at

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