"EU muss ihre Verpflichtungen erfüllen"

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Vertrauen in den Dialog mit der EU ist gefragt, wenn es um das Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der EU (DCFTA), den Brexit und die geplante Visa-Liberalisierung für ukrainische Bürger geht.

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Vertrauen in den Dialog mit der EU ist gefragt, wenn es um das Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der EU (DCFTA), den Brexit und die geplante Visa-Liberalisierung für ukrainische Bürger geht.

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Iwanna Klympusch-Zynzadse ist seit April Vize-Ministerpräsidentin und Ministerin für EU-Integration der Ukraine. Im Interview spricht sie über die geplante Visafreiheit für ukrainische Bürger, das Freihandelsabkommen mit der EU und die Folgen des Brexit für die Ukraine.

DIE FURCHE: In einem nichtbindenden Referendum haben zuletzt 60 Prozent der Niederländer gegen das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gestimmt. Wie wirkt sich das aus?

Klympusch-Zynzadse: Ich möchte daran erinnern, dass die niederländische Regierung und das Parlament die Entscheidung über die Ratifizierung schon zuvor getroffen haben. Ich hoffe, dass sie genug Kraft, Verantwortung und Führungskraft haben werden, um diese frühere Entscheidung auch durchzusetzen. Leider wurde die Kampagne dazu genutzt, um die Bürger zu täuschen: dass es den Weg der Ukraine zur EU-Mitgliedschaft ebnet, was es nicht tut. Die Ergebnisse des Referendums haben weniger mit der Ukraine zu tun, als vielmehr mit EU-Skepsis. Die Niederländer könnten zwar aus einzelnen bilateralen Bereichen aussteigen. Aber wir sehen keine Möglichkeit, das gesamte Abkommen neu zu verhandeln, das für uns hohe Symbolkraft hat: Immerhin sind Menschen auf dem Maidan dafür gestorben.

DIE FURCHE: Punkto Visa-Liberalisierung - was erwarten Sie hier?

Klympusch-Zynzadse: Leider sind wir die Geiseln des neuen Suspendierungsverfahrens, an dem aktuell gearbeitet wird (die EU-Innenminister haben zuletzt Einschränkungen bei der Visafreiheit für Nicht-EU-Länder beschlossen, Anm.). Ich hoffe aber, dass darüber gleich nach der Sommerpause im EU-Parlament abgestimmt wird. Wir haben Vertrauen in die Glaubwürdigkeit des Dialogs mit der EU. Niemand kann der Ukraine vorwerfen, dass sie nicht alle ihre Hausaufgaben erledigt hätte. Technisch haben wir alle Verpflichtungen erfüllt. Und da erwarten wir auch, dass die EU ihre Verpflichtungen erfüllt.

DIE FURCHE: Die vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA) mit der EU ist am 1. Januar 2016 in Kraft getreten. Was ist Ihr Resümee?

Klympusch-Zynzadse: Die Quoten von neun der 40 Produktgruppen, deren zollfreier Export beschränkt ist, sind bereits ausgeschöpft. Wir diskutieren derzeit eine schnellere Liberalisierung für den Zugang zum EU-Binnenmarkt. DIE FURCHE: Der Agrarunternehmer Juri Kosjuk hat das Abkommen einen "Betrug" genannt. Die zollfreien Ausfuhrquoten bei Agrarprodukten sind so gering, dass sie bereits in den ersten Monaten ausgeschöpft waren. Ist das Abkommen unfair?

Klympusch-Zynzadse: Die Verhandlungen zum DCFTA stammen aus dem Jahr 2011. Die Wirtschaftsstruktur der Ukraine war damals eine völlig andere. Leider spiegelt es derzeit nicht die Realität der ukrainischen Wirtschaft wider. Wir müssen versuchen, unsere Verluste zu kompensieren, die uns durch die Veränderungen in unserem Land - ohne unser Zutun -und durch die diskriminierenden Handelspolitik von Seiten Russlands bereitet wurden. Ich kann verstehen, dass einige Industrievertreter ob der beschränkten Exportquoten besorgt sind. Nehmen Sie Hühnerfleisch: Da gibt es ein Limit von 4000 Tonnen pro Monat. Für den EU-Markt ist das doch nichts! DIE FURCHE: Werden Sie nachverhandeln?

Klympusch-Zynzadse: Wir haben im April der EU ein Paket an autonomen Handelsmaßnahmen für die Ukraine präsentiert. Wir wissen, dass das berücksichtigt wird. Wir rechnen mit einer baldigen Antwort aus der EU-Kommission.

DIE FURCHE: Durch die Angleichung an die EU-Standards soll die ukrainische Wirtschaft insgesamt wettbewerbsfähiger werden. Ist das tatsächlich der Fall?

Klympusch-Zynzadse: Das Freihandelsabkommen umfasst mehr als 800 Seiten, es betrifft jeden Bereich unseres Lebens. Es ist ein komplexer Prozess. Wir müssen viele Barrieren abschaffen, die noch aus der Sowjet-Zeit stammen und der Korruption Tür und Tor öffnen. Viel wurde bereits im Energiebereich gemacht, die Energiepreise gemäß dem Markt angehoben, um hier die Korruption zu eliminieren. In punkto Ökologie liegen wir noch hinter unseren Plänen zurück. Aber indem wir wettbewerbsfähiger werden, hoffen wir, neue Märkte auch außerhalb der EU zu finden.

DIE FURCHE: Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) klagen über bürokratische Hürden innerhalb der Ukraine, um in die EU zu exportieren. Gibt es Pläne, den Zugang zu erleichtern?

Klympusch-Zynzadse: Wir haben einen speziellen Mechanismus, der eine kostenlose Export-Lizenz in die EU ermöglicht, wenn man bestimmte Anforderungen erfüllt. 72 Unternehmen haben diesen Status bereits erhalten. Aber es stimmt: Größere Unternehmen tun sich viel leichter. Wir sind aber schon im Endstadium, um mit EIB und EBRD einen speziellen Fonds aufzusetzen, um KMU zu unterstützen.

DIE FURCHE: Im EU-Assoziierungsabkommen wird der Ukraine keine explizite Perspektive auf eine EU-Mitgliedschaft gegeben. Die Hoffnungen sind dennoch groß.

Klympusch-Zynzadse: Ich denke, dass es dabei wieder um die Glaubwürdigkeit des Dialoges mit der EU gehen wird. Ich hoffe, dass die EU nach dem Brexit genug Kräfte innerhalb der EU finden wird, um Solidarität und Einigkeit zu finden. Und eines Tages sollte diese Einigkeit auch eine EU-Mitgliedschaft beinhalten -vorausgesetzt natürlich, wir sind reif dazu.

DIE FURCHE: Weil Sie den Brexit gerade angesprochen haben. Was sind Ihrer Meinung nach die Folgen für die Ukraine?

Klympusch-Zynzadse: Das ist vorrangig eine große Herausforderung für die EU, und für Großbritannien selbst. Aber natürlich sind wir sehr besorgt, dass die Ukraine dadurch weniger Aufmerksamkeit bekommt. Zudem verlieren wir mit Großbritannien eine starke Stimme innerhalb der EU, die gegenüber Russland immer klar Stellung bezogen hat. Andere Stimmen könnten dadurch lauter werden.

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