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Europa am Scheideweg

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DIeFurche: Der Euroskeptizismus scheint zuzunehmen Wird Europa bloß ein großer Binnenmarkt bleiben oder sich tatsächlich nach dem Maastrichter Vertrag entwickeln? Giulio Andreotti : Ich weiß nicht, ob dieser Euroskeptizismus wirklich wächst, denn ich höre schon seit langem davon, er hat aber nicht die Erweiterung Europas und dessen konkreten Übergang von der EG zu einer Union verhindert. Wir stehen nun an einem Scheideweg: Entweder hält man am Maastrichter-Modell fest- was ich für möglich und wünschenswert halte - oder man definiert ein neues europäisches Aggregationssystem mit freien Märkten und zwischenstaatlichen politischen Ubereinstimmungsmechanismen. In diesem zweiten Fall müßte die Debatte über das Schema der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit” fortgesetzt werden und die Unstimmigkeiten, die auf dem Gebiet der Sicherheit zwischen NATO und Rußland noch immer bestehen, überwunden werden. Dabei muß man aber, nach dem Helsinki-Vertrag von 1975, auch die USA und Kanada miteinbeziehen. Was die Maastricht-Entwicklung mit zwei Geschwindigkeiten betrifft, so glaube ich, wären die Folgen verheerend. Darüber hinaus wäre die Währung der später hinzukommenden Mitglieder dabei besonders fragil ausgestellt. Dann wäre -wenn schon - besser, alles neu zu definieren, wie ich vorhin schon sagte. Aber, ich wiederhole, Maastricht war und ist kein utopistisches Schema. Ich erinnere mich diesbezüglich noch sehr gut an die feste Überzeugung von Guido Carli (ehemaliger Nationalbank-Präsident), eines der großen Autoren des Vertrags - und er war sicher kein Abenteurer oder Improvisator.

DIEFURCHE: Wie beurteilen Sie rückblickend die Beziehungen Italien-Österreich? Welche Ereignisse und Persönlichkeiten sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? andreotti: Zu meinen älteren Erinnerungen gehört sicherlich das Gruber-De Gasperi-Abkommen, das eine glückliche Ausnahme unserer internationalen Isolation jener Zeit darstellte. Ich habe an der italienisch-österreichischen Freundschaftspolitik und auch an der Überwindung der Auseinandersetzung über die exklusiv interne Natur der Angelegenheiten betreffend Alto Adige (Südtirol) aktiv mitgewirkt. Als italienischer Außenminister habe ich mit Alois Mock außerordentlich gut zusammengearbeitet und innerhalb der Europäischen Gemeinschaft war ich schon immer ein großer Befürworter des österreichischen Beitritts.

DIEFURCHE: Kann Italien Ihrer Meinung nach die Südtiroler Angelegenheit als endgültig abgeschlossen betrachten? andreotti: Ich war erfreut, auf das „Paket”, mit dem man die Angelegenheit abschloß, das Wort „Ende” schreiben zu können. Wir arbeiteten, vorerst mit Magnago und dann mit Riz, mit großer Fairness und Wirksamkeit, um keine Fragen offen zu lassen, die nachfolgende Regierungen mit sehr umfassenden politischen, historischen und technischen Problemen hätten belasten können. Mir fallen dennoch heute gewisse beunruhigende Zeichen auf, zuletzt in der Parlamentsdebatte über das Vertrauensvotum an die Prodi-Regierung im Senat. Aber ich hoffe, daß sich alle über die Gefahren einer Wiedereröffnung der Streitfrage im klaren sind.

DIEFURCHE: Was geht in Italien vor? Ist es das letzte Nachspiel der Ersten Republik oder ist das nun „das Neue”? Behält Lega-Nord- Chef Umberto Bos-si recht, wenn er behauptet, daß dies die letzte Legislatur der italienischen Republik ist? Andreotti: Diese Übergangsphase, von der man so oft spricht, ist noch voll im Gang. Die letzten zwei Legislaturperioden, von denen keine länger als zwei Jahre gedauert hat, sind als Zwischenphasen abgeschlossen. Man wird nun versuchen, die dringenden institutionellen Reformen durchzuführen und den internationalen Verpflichtungen Italiens nachzukommen. Es gibt die jeweilige Unzufriedenheit in Nord- und Süditalien, im Norden ist sie wortlauter und drohender. Doch ich glaube nicht an eine Spaltung des Landes. Auf der Suche nach angemessenen Lösungen könnte wahrscheinlich, mit den nötigen Anpassungen, auch das österreichische Verfassungsmodell mit Nutzen studiert werden.

DIEFURCHE: Zum ersten Mal regiert in Italien eine Linkskoalition, mit einem Teil der ehemaligen Democrazia Cristiana Wie können Katholiken, die 50 Jahre lang das linke Lager als politischen und ideologischen Feind betrachtet haben, sich nun diesem anschließen1 andreotti: Man muß auch die tapferen Sozialdemokraten von Saragat (Gründer der italienischen Sozialdemokraten, die als Splitterpartei schon in den fünfziger Jahren in die Regierung miteinbezogen wurden, 1964 Bundespräsident) als links bezeichnen und später auch die Sozialisten, die den post-zentristischen Begierun-gen angehörten (die Sozialisten Craxis in den siebziger und achtziger Jahren). Es hat auch die Erfahrung von 1976 bis 1979 gegeben, als die Kommunisten, in einer Phase gefährlicher terroristischer Bedrohung und einer äußerst katastrophalen ökonomisch-finanziellen Lage, die Begie-rung unterstützten. Natürlich hat das progressive Ende der Zentralität Moskaus das italienische Linke Lager von gewissen Hemmungen befreit und verschiedene Artikulationen ermöglicht. Was wird aus dem „Ulivo” werden? Wird er sich von der Rifondazione Comuni-sta trennen und eine sozialdemokratische Partei nach Willy Brandts Vorbild gründen? Oder auch eine breitere und mehr politisch artikulierte Aufstellung verkörpern? Ich weiß es nicht, und vielleicht weiß es niemand. Was die D.C. betrifft, so ist ihr erster und grundlegender Geschichtsabschnitt beendet. Wie schon Ca-vour sagte: Einmal Italien gegründet, muß man die Italiener schaffen. Heute gibt es viele ehemalige Christdemokraten, aber ich weiß nicht, ob sie eine D.C. wiederbeleben wollen. Zur Zeit scheint es mir nicht der Fall zu sein.

DIEFURCHE: Ohne jetzt auf Ihren Prozeß und die Sie betreffenden Beschuldigungen einzugehen Ist die Mafia, wie wir sie in Italien kennen, nur ein italienisches Phänomen oder kann sie auch Europa erfassen? andreotti: Die Mafia ist nicht nur ein italienisches und amerikanisches Phänomen, mit Rauschgifthandel und dem großen internationalen Kapitalverkehr eng verbunden, sondern ist als Gefahr allgegenwärtig. Aus diesem Grund sind geeignete defensive Strategien nötig, sowohl juristische als auch organisatorische. Daran habe ich viel gearbeitet in meiner Tätigkeit als Außenmi -nister und Regierungschef -und wahrscheinlich liegt am Ursprung meines Abenteuers auch eine subtile Rache für die nicht wenigen Treffer, die ich den Leuten zu versetzen beigetragen habe.

DIEFURCHE: Welche Devise bestimmte Ihr öffentliches Leben? andreotti: Ich bezeichne mich als einen ziemlich empirischen, römischen Menschen aus dem Volk. Ich habe nur versucht, immer kohärent mit der Integrität und dem Enthusiasmus der Jahre im katholischen Universitätsbund (FU-CI) zu sein. Durch die FUCI habe ich De Gasperi kennengelernt und von ihm habe ich diese Lebensphilosophie angenommen, die keine Abweichungen zuläßt.

Mit dem siebenfachen italienischen Regierungschef Giulio Andreotti (21mal Minister, sechsmal Außenminister und langjähriger D.C.-Ab-geordneter) sprach Christian Monti

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