6754606-1967_41_11.jpg
Digital In Arbeit

Europa auf eidgenössisch und madjarisch

Werbung
Werbung
Werbung

Man Kann senr viel an .Naivität, I der Geschichtsbetrachtung verlieren, I wenn man sich die Europa-Konzepte i ansieht, die man von zwei so ver-t schiedenen „Europäern“ vorgesetzt £ bekommt, nämlich einem Ungarn | und einem Schweizer. Bei beiden handelt es sich um ständige Liberale, um alles andere, nur keine Rassisten. Beide fühlen sich auch dem Christentum verpflichtet, obwohl in j verschiedener Weise. Und doch ist der Unterschied beider Auffassungen sehr bedeutend, wenn nicht verblüffend. Beiden ist auch gemeinsam, daß sie im Grunde nicht überzeugend sagen können, was denn Europa eigentlich ist beziehungsweise sein soll.

Denn geographisch war die Abgrenzung immer schon schwierig, vor allem hinsichtlich Asiens, denn warum ein Fluß von so sekundärer Größe wie der Ural und ein Gebirge von so geringer Höhe wie der Ural

zu so hohen Ehren kommen sollen, zwei Kontinente, ja zwei „Welten“

zu trennen, ist überhaupt nicht einzusehen.

Da auch noch beide wahre Anti-kommunisten sind, muß zumindest die Sowjetunion beziehungsweise müssen die Russen und Ukrainer weg von Europa. So wird Europa denn wieder kleiner, schrumpft auf die “EWG-Staaten zusammen, plus jenen Staaten, die nach der Meinung der Autoren noch hinzukommen sollte.

Im Falle des Ungarn gehören dann die Ungarn, Slowaken, Polen und Kroaten zu Europa, dann hört es auf.

In dem pathetischen Titel „Der Raub Europas“ von Tibor Simanyi verbirgt sich eine Arbeit, an der man die Interessenabhängigkeit des Denkens sehr deutlich studieren kann. Sobald man sich an die Theatralik des Stils gewöhnt hat, wie „die goldene Landkarte“ usw., wird einem eine ideologische Konstruktion angeboten, die aus folgenden Komponenten besteht:

Zunächst ist Europa ein Kulturbegriff. Dem Autor ist nämlich — man ist gedrängt zu sagen: Gott sei Dank — durch seine Zugehörigkeit zum ungarischen Volk der -Rassismus verwehrt. Denn die Ungarn sind ihrer Herkunft nach Mongolen. Da „Europa“ für den Autor einen goldenen Klang hat, müssen aus diesen Mongolen, eben Europäer geworden sein, also ist Europa nichts Biologisches.

Da er jedoch auch etwas gegen die Russen und die Kommunisten hat, müssen diese heraus aus Europa, also gilt auch de Gaulles „Europa bis zum Ural“, nicht. Europa hört bei den Russen auf. Da die Russen von Byzanz aus -christianisiert wurden und dieses wiederum griechisch bestimmt ist, verbannt er alles, was von Griechenland bestimmt ist, aus „Europa“, -also — und das ist im Angesicht der „human-istischen“ Gymnasien wirklich originell, sind auch die Griechen keine Europäer, gehören vielmehr zu Asien. Man sieht, welche Blüten der antirussische Affekt kann.

So kommt es zur Definition Europas: „...die zivilisatorische Ent-wickiungsgemeinschaft jener Völker, die von Rom zum staatlichen Dasein geweckt worden sind.“ Hier ist zu fragen, ob nicht auch Byzanz selbst von Rom „zum staatlichen Dasein, geweckt“ wurde.

Die Europäer sind auch, gemessen an östlichen Barbaren, hochanständige Leute. Während ungezähmte Mongolen (die Ungarn sind „gezähmte“) sowie Türken, Russen usw. ohne große Skrupeln Genocid begehen, tut so etwas ein Europäer nicht. Tut er es doch, wie der geographisch wohl eindeutig in Mitteleuropa geborene Adolf Hitler, dann handelt es sich eben um keinen richtigen Europäer, er und seine Bewegung gehört nicht der „zivilisatorischen Entwicklungsgemeinschaft jener Völker an, die von Rom zum staatlichen Dasein geweckt“ wurden. Wie Rene Marcic Hitler gerne den Morgenländern anhängen möchte, so ähnlich auch Simanyi, für ihn ist er „voreuropäisch“.

Und wegen dieses Hitler und seines Gefolges raubten „raumfremde Mächte“ — die USA und die UdSSR — Europa. Was man ihnen jedoch wahrlich nicht verdenken kann.

Folgt man dem Autor nicht, wenn er Hitler und seiner Mannen — Mussolini war auch nicht gar so brav — aus Europa ausscheidet, sondern betrachtet man ihn ehrlicherweise als das, was er ist, nämlich als sehr europäischen Mann, dann fragt es sich, wozu ©in exklusiver Zusammenschluß jener „Völker, die von Rom zum staatlichen Dasein geweckt“ worden sind, gut sein soll.

Auch die Antwort des Schweizer Europaideologen Karl Schmid (Europa zwischen Ideologie und Verwirklichung, Artemis-Verlag, Zürich) hierauf ist nicht überzeugend.

Er meint, daß die Idee des vereinten Europa dem Frieden dienen soll, so daß etwa solche Erbfeinde, wie die Franzosen und die Deut-; sehen, nicht mehr miteinander Krieg führen können und wollen. Hier kann man natürlich nur zustimmen. Ein Verbrecher, der sich einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich wünscht!

Aber wozu ist dann die „europäische“ Exklusivität gut. Es wäre doch auch nicht schlecht, wenn die Deut-

schen, Schweizer, Franzosen usw. mit den Russen, Chinesen usw. friedlich zusammenleben würden. Also wäre es doch gut, die Türen überkontinental offen zu halten. Für den Fall, daß also die Briten ihre gewiß friedlichen Beziehungen zu Neuseeland, Indien oder Kanada nach „Europa“ einzubringen wünschten, wäre dies, wenn man sich die „Europäer“ nicht als etwas Besseres als den Rest der Welt vorstellt, doch erst recht dem Frieden dienlich.

Trotz der Ablehnung einer „Nation Europa“ durch den Autor riecht auch sein Konzept gefährlich danach.

Auch wenn sein Konzept — ganz anders als das des Ungarn — nüchtern eidgenössisch, woihlvemünftig konzipiert ist: Die europäischen Staaten (Österreich gehört gerade noch dazu) sollen sich so zu einem Gesamteuropa verhalten, wie die Schweizer Kantone zur Schweiz. Verständlich, aber zu einfach.

Tatsächlich zeigen die beiden Konstruktionen, daß man den Europabegriff von allen neonationalisti-schen Gefühlsduseleien befreien und versuchen sollte, den alten Nationalismus nicht durch einen — unterschwellig doch mit einem weißrassischen Grundton versehenen — Kontinentalismus zu ersetzen. Dies ist nämlich sicherlich nicht christlich. Christlich wäre, endlich die universelle Brüderlichkeit anzustreben. Frieden mit allen Menschen zu suchen und abzusehen von jeder Arroganz gegenüber östlichen, amerikanischen oder negroiden Untermenschen. Beide Autoren würden es als eine Unterschiebung betrachten, wollte man von ihnen solche Absichten behaupten. Und doch, wer in Europa mehr glaubt sehen zu müssen als eben eine reichgegliederte Halbinsel Asiens, macht es automatisch zu etwas „Besserem“, dient weder dem Frieden, wie dies Schmid doch tun will, noch wird der Welt die christliche Tugend der Friedensliebe nähergebracht. Verzichten wir also auf jeden Neonationalismus, auch im kontinentalistischen Gewände.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung