7097908-1995_01_01.jpg
Digital In Arbeit

Europa wird von Polypen-Fängen umfaßt

19451960198020002020

Demokratie richtet sich gegen die Gottesherrschaft, schreien islamische Fundamentalisten - und töten im Namen Allahs. Sie bedrohen aber nicht nur die westliche, sondern vor allem die islamische Welt.

19451960198020002020

Demokratie richtet sich gegen die Gottesherrschaft, schreien islamische Fundamentalisten - und töten im Namen Allahs. Sie bedrohen aber nicht nur die westliche, sondern vor allem die islamische Welt.

Werbung
Werbung
Werbung

Spektakuläre Terrorakte islamischer Fundamentalisten, die sich gegen die sogenannte westliche Welt richten, finden via veröffentlichter Meinung und TV-vor-Ort rasch ins allgemeine Bewußtsein. Die Bedrohung wird beim Abendessen erfahren. Im von fanatisierten Anhängern der algerischen Islamischen Heilsarmee (FIS) und ihres militärischen Arms, des GIA (bestehend aus ehemaligen Afghanistan-Mu-dschahedin), gekaperten Flugzeug hätten Du und ich sitzen können. Mitleid löst sich in Angst auf: „Die” stehen ja vor unserer Haustür.

Mit „die” sind jene islamischen Fundamentalisten gemeint, die den religiösen Glauben mit Politik gleichschalten und daraus den Kampf gegen die Demokratie (sie ist nach den Worten des Führers der islamischen Heilsfront in Algerien, Ali Benhadsch, „Unglaube”) ableiten beziehungsweise Volkssouveränität als „Suspendierung der Herrschaft Gottes” sehen, die ausgemerzt gehört.

In Westeuropa leben zur Zeit an die zwölf Millionen Moslems aus Nordafrika, der Türkei und südasiatischen Ländern. Schätzungen gehen davon aus, daß sich diese Zahl bis zum Jahr 2025 (also in dreißig Jahren) vervierfacht haben wird. Das Problem der islamischen Migration, eine Folge sozialer Unsicherheit und des damit spielenden islamischen Fundamentalismus, wird - abgesehen von allen anderen damit verbundenen Herausforderungen - dann zu einer echten politischen Gefahr für Europa, wenn Islamisten (Fundamentalisten) islamische Gemeinden als Basis für ihren Kampf um- die Macht benutzen.

Experten für islamische Fragen, wie der in Göttingen lehrende Professor für Internationale Politik, Bassam Tibi, warnen Europa davor, Islamismus und Islam als Religion zu verwechseln. Sie machen darauf aufmerksam, daß die von den Islamisten propagierten und von ihren Anhängern blutig verfochte-nen Ideen und Forderungen keine Ensprechung im heiligen Buch Koran haben. Wie Bassam Tibi unlängst bei einem Vortrag in Graz betonte, lassen sich weder die fundamentalistische Formel Haki-miyyat Allah (Gottesherrschaft), noch das Schumuliyya (die Totalitätsbezogenheit der Umsetzung des von Allah im Koran festgehaltenen ewigen Gesetzes) in irgendeiner autoritativen islamischen Quelle finden, „sie sind neo-islamisch”.

Für Bassam Tibi ist daher der religiöse (islamische) Fundamentalismus keine Renaissance des Religiösen. Der Islam sei Gottesliebe und nicht politische Ideologie.

Diese Klärung ist insofern notwendig, als nicht selten in der westlichen Berichterstattung von einer Herausforderung durch den Islam die Rede ist und das Feindbild des schlechthin fanatisierten und terroristischen Moslem geprägt wird.

Hauptopfer: Moslems

Der Islamismus als antiwestliche politische Orientierung mit seinem Kampf gegen Demokratie und Volkssouveränität, mit seinem Versuch, Allahs Gesetz, die Scharia, unter allen Menschen durchzusetzen, bleibt jedoch eine tiefe Gefahr für das demokratische Europa. Das ist ein Gegenstand der Weltpolitik, so Bassam Tibi. Es geht um einen Machtkampf.

Saddam Hussein im Irak und auch Dschochar Dudajew in Tschetschenien (Kommentar dazu auf Seite 8) spielten gekonnt die islamistische Flöte, um das Volk wie Ratten hinter ihrer politischen Ideologie zu vereinen.

Frankreich, mit 3,5 Millionen Moslems, hat momentan das größte Interesse, von seinen islamischen Gemeinden den Fundamentalismus fernzuhalten. Deswegen hat Paris auch alles unternommen, um mittels eines Militärcoups in Algerien keine (demokratisch gewählte) islamistische Regierung zum Zug kommen zu lassen. Frankreich ist daher für viele Islamisten das europäische Feindbild Nummer eins. Die Kaperung eines französischen Flugzeugs durch algerische Islamisten knapp vor Weihnachten sollte der Welt die Macht der alge-

rischen Mudschahedin vor Augen führen, die mittlerweile auch in Bosnien an der Seite der dortigen Moslems kämpfen. Auf die Tötung der vier Hijacker reagierten die algerischen GIA-Leute mit der Ermordung von vier Missionaren - drei Franzosen, einem Belgier -, um das Symbol Europas, Frankreich, drastisch zu attackieren. Den Franzosen ist klar, daß eine politische Machtübernahme durch Islamisten in Algerien nach iranischem Vorbild eine Migration von Moslems nach Frankreich in Millionenhöhe auslösen würde.

Der furche-Experte für islamische Fragen, Khalid Durän, Washington, macht darauf aufmerksam, daß die Bedrohung durch die Islamisten neben Europa und den USA in erster Linie den freiheitlich gesinnten Moslems selbst gilt. Wie Bassam Tibi („die Hauptopfer des islamischen Fundamentalismus waren bisher Moslems und keine Europäer”, in Algerien hat der politische Kampf der Islamisten bisher 30.000 Tote gefordert) betont Durän die furchtbare Auswirkung des Islamismus vor allem in islamischen Ländern selbst.

Er bezeichnet die islamistische Vorgangs weise der Ausmerzung der alten Elite, wie in Afghanistan ausgeübt, als „Pol-Pot-Syndrom”, worüber die Masse der Moslems entsetzt sei.

„Bei den Islamisten”, so Khalid Duran zur Furche, „handelt es sich um eine Minderheit in der islamischen

Welt; etwa zehn Prozent, das als oberste Grenze, sind fana-tisiert.” In Pakistan sind die Islamisten bei den letzten Parlamentswahlen total abgeblitzt, sie konnten nur drei von 204 Mandaten erhalten. Erstarkt sind sie in der Türkei und in Malaysia. Im Sudan und im Iran, wo die Islamisten an der Macht sind, steht die Bevölkerung gegen sie.

Kann Europa, kann der Westen den Fängen des islamistischen Polypen nur mit Gewaltanwendung entkommen? Der islamische Fanatismus werde durch bestimmte wunde Punkte in der Welt angestachelt, betont Khalid Durän. „Und momentan ist kein Einzelfall so entscheidend wie das Schicksal Bosniens, wo auf grausamste Weise gemordet wird und niemand eingreift. Moslems sehen die ganze Heuchelei von UNO und NATO, von Frankreich und vor allem England. Dadurch entsteht ein gewaltiger Zorn auf den Westen, auf Europa und auf das Christentum. Und nun ist noch Tschetschenien dazu gekommen. Niemand hat bis jetzt seine Proteststimme gegen das kolonialistische Morden dort erhoben. Auf Islamistenkonferenzen in den USA ist Tschetschenien zur Zeit das ganz große Thema.”

Dolch für den Westen

Daher verkünden Islamisten in den USA ganz offen und verbreiten diese „Predigten” auch auf Video-Kassetten, daß die USA vernichtet werden und die islamischen Gemeinden der Dolch im Herzen der westlichen Welt sein müßten. Khalid Durän meint, daß der Westen erst diese wunden Punkte angehen müßte, um mit dem Islamismus fertig zu werden.

Bassam Tibi betont, daß europäische Politiker ihr Gerede von einer „multikulturellen Gesellschaft” und einem „Kulturrelativismus” aufgeben sollten. Wenn man Moslems in Europa integrieren wolle, dann könne das „nur im Rahmen von individuellen, nicht kollektiven Rechten erfolgen. Ein Euro-Islam der Individuen wäre hier die Alternative zum Ghetto-Islam der Kollektive und ein Beitrag zur Bekämpfung der neuen Spielart des Totalitarismus auf dem europäischen Kontinent.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung