Europäische Bewährungsproben

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Unsicherheit über das richtige Wirtschaftsmodell verhindert sinnvolle Reformen, die Suche nach trügerischen Alternativen lähmt Eigenverantwortung und Innovationskraft.

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Unsicherheit über das richtige Wirtschaftsmodell verhindert sinnvolle Reformen, die Suche nach trügerischen Alternativen lähmt Eigenverantwortung und Innovationskraft.

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Eine gefühlte Ewigkeit nach der Wahl zum Europäischen Parlament nimmt die EU-Kommission ihre Arbeit auf, erstmals mit sieben Vizepräsidentinnen und -präsidenten, die im unübersichtlichen Zuständigkeiten-Dschungel der insgesamt 28 Regierungsmitglieder für Koordination sorgen sollen. Dass ab sofort ausgerechnet Jonathan Hill, ein in der City of London sozialisierter Lobbyist, für die Finanzmärkte zuständig ist, wurde von der Financial Times mit dicken Schlagzeilen gefeiert. Kritiker befürchten, man habe in einem der wichtigsten Reformfelder den Bock zum Gärtner gemacht und haben damit vermutlich Recht. Der tröstlichen Version, es handle sich bei dieser paradoxen Besetzung um eine geniale Finte des Profi-Europäers Jean-Claude Juncker, will ich jedenfalls nicht so recht glauben.

Aber für derlei Deutungen ist nun ohnehin keine Zeit mehr. Ab sofort geht es darum, in einer Zeit tiefer Verunsicherung über die Regierbarkeit unseres Kontinents verloren gegangenes Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Europapolitik wieder herzustellen. Denn Wachstumsschwäche und Jugendarbeitslosigkeit haben in Verbindung mit den eskalierenden Migrationsproblemen einen gefährlichen Cocktail der Desillusionierung geschaffen, der zur Flucht in das verlorene Paradies nationaler Geborgenheit verleitet.

Das entgleiste Großbanken-System - es ist trotz des glimpflich ausgegangenen Stresstests noch lange nicht saniert - führt zu nie gekannten Verteilungsproblemen und verzerrten Vermögensverhältnissen. Unsicherheit über das richtige Wirtschaftsmodell verhindert die Umsetzung sinnvoller Reformen, die Suche nach trügerischen Alternativen lähmt Eigenverantwortung und Innovationskraft.

Verbindung von Markt und Sozialstaat

Die europäische Unionsidee ist noch immer attraktiv - aber ihre Ausstrahlung hat unter den Krisenfolgen gelitten. Die Zeit, in der Europa mit der Dynamik ständiger Erweiterungen die Frage nach den tatsächlichen Kern-Inhalten seines politischen Handelns verdrängen konnte, ist vorbei. In Zeiten offener und verdeckter Kriege in benachbarten Regionen sind die USA nicht länger bereit und in der Lage, uns dauerhafte militärische Garantien zu geben, sodass ein Neustart in der Sicherheitspolitik nach außen und innen unausweichlich wird. Ob sich Österreich mit seiner opportunistischen Neutralitätsrhetorik auf Dauer davor drücken kann, muss es selbst beantworten - die anderen erwarten diesbezüglich von uns nicht viel.

Es gilt, die europäische Erzählung ohne falsche Erweiterungs-und Zentralisierungseuphorie fortzuschreiben. Eine konsequente Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft, in der die Verbindung von Marktdynamik und Sozialstaat unter den Bedingungen der Globalisierung am besten gelingen kann, wäre wohl der erfolgversprechendste Weg dorthin. Dass unsere Abgeordneten zum Europaparlament zwanzig Jahre nach dem EU-Beitritt endlich auch ein Rederecht im Haus am Ring bekommen, eröffnet die Chance, diese Erneuerung auch als unser eigenes Thema aktiv mitzugestalten.

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