Europas Sorgenkind und das Ego-Prinzip

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Wäre man ein Künstler und hätte die Aufgabe, die gesellschaftliche und politische Situation in Ungarn in einem einzigen Bild treffend darzustellen, welchen Gegenstand würde man wohl wählen? Eine Mütze der Jobbik-Rechtsradikalen, eine Stephanskrone? Tatsächlich geht es auch etwas weniger plakativ. Zum Beispiel mit einer Stange Salami. Diese außerordentlich fette Wurst enthält tatsächlich viel von dem, worum es in Ungarn derzeit geht - wenn man einmal von der Wurst absieht.

Zunächst dreht sich sehr viel um Tradition, also um eine Form der Geschichtserinnerungen, die in diesem Fall so glorreich sein soll, wie die Salami nahrhaft ist. Zumeist sind es die Zeiten der Monarchie, derer man sich dabei gern erinnert.

Die im Verhältnis noch taufrische ungarische Verfassung (2011) erinnert in ihrer Präambel heftig an ein größeres Damals: "Gott, segne die Ungarn“, steht über dem Werk zu lesen und dann heißt es unter anderem: "Wir sind stolz darauf, dass unser König, der heilige Stephan I., den ungarischen Staat vor tausend Jahren auf festen Fundamenten errichtet und unsere Heimat zu einem Bestandteil des christlichen Europas gemacht hat“.

Auch die Erfindung der Salami datiert in die Monarchie: 1869 komponierte der ungarische Metzgermeister Mark Pick aus Szeged eine Rezeptur für eine neue Art der italienischen Salami: feiner, herber, etwas geselchter, mehr Paprika, Kümmel und Knoblauch. Pick erzielte enormen Gewinn. Heute hat der Betrieb über 2800 Mitarbeiter und einen Umsatz von 60 Milliarden Forint. Sein Besitzer Sándor Csányi ist der reichste Mann Ungarns und ein guter Freund von Ministerpräsident Viktor Orbán. So groß ist der Stolz Ungarns, dass man die Salami und andere traditionell ungarische Spezialitäten sogar von einer Gesundheitssteuer ausgenommen hat, die auf Erzeugnisse eingehoben wird, die besonders "ungesund“ sind. Wie die Salami so auch der Hund. Alle Hunderassen sind mit Steuern belegt. Ausnahme: Rein ungarische Züchtungen.

Das Prinzip "Eigenes zuerst“ durchzieht die ungarische Gesetzgebung. Das kann einem gefallen wie Österreichs Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel ("moderner Patriotismus“) oder aber nicht, wie einigen Orbán-Kritikern und europäischen Politikern, allen voran der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz.

Sie alle kommen in dem Buch "Schöne Grüße aus dem Orbán-Land“ zu Wort, das die beiden ORF-Journalisten Roland Adrowitzer und Ernst Gelegs geschrieben haben. Gelegs, seit 2000 in Ungarn Korrespondent, beschreibt die wechselvolle Geschichte der ungarischen Gesellschaft und Politik und den tiefen Graben zwischen dem konservativen und dem linken Lager in Ungarn detailiert und stilsicher. 2010 feierte Orbán den "totalen Triumph“ und regiert seither ein in einer tiefen Wirschaftskrise steckendes Land. Gelegs widmet sich dabei auch den hässlichen Auswüchsen der Fidezs-Politik, dem Antisemitismus, der politischen Verfolgung der Roma und der politisch Andersdenkenden.

Adrowitzer hat sich als ehemaliger EU-Korrespondent in EU-Kommission und EU-Parlament umgehört und geht der Frage nach, wie die Staatengemeinschaft mit einem Staat umgehen soll, der oft am Rand der EU-Gesetze manövriert. Er liefert damit die Außensicht des "Brüsseler Sorgenkindes“. Ein kritisches Buch, an dessen Ende das Resümee steht: "Es kann in Ungarn nichts passieren, was Viktor Orbán nicht gefällt.“ Von der Salami bis zur Verfassung.

Schöne Grüße aus dem Orbán-Land

Die rechte Revolution in Ungarn

Von Ernst Gelegs und Roland Adrowitzer

styria premium 2013.

Hardcover, e 24,99

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