Fällt Stuttgart, taumelt Merkel

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Die FAZ analysiert die prekäre Situation der deutschen Kanzlerin, die der Streit um das von Merkel forcierte Projekt Bahnhof Stuttgart gebracht hat

Angesichts der desolaten Umfrage-Ergebnisse der Union in Deutschland verbreiten sich in den Untiefen der Politik Spekulationen und Vermutungen über die weitreichenden Folgen, die sich aus einem Desaster der CDU bei der Landtagswahl am 27. März in Baden-Württemberg ergeben könnten. Es handelt sich um Prognosen, die in den Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP selbst angestellt und auch wieder verworfen werden # weil es dann um die Führung der Koalition, die Position der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die des Vizekanzlers Guido Westerwelle (FDP) gehe. Ob es sich schon um reale Machtkämpfe handelt, ist nach dem Stand der Dinge nicht zu erkennen.

Das muss freilich nicht viel bedeuten. Verschwörerische Gespräche wären zum Scheitern verurteilt, würden die Teilnehmer und ihre Favoriten vorab bekannt. Entsprechend ist eher die Rede davon, ein Ausscheiden der CDU aus der Landesregierung von Baden-Württemberg würde #möglicherweise # zu einer explosionsartigen Situation führen, in der Frau Merkel und Westerwelle hinweggefegt würden. Im Streit über #Stuttgart 21# hatte sich Merkel deutlich positioniert: Sie setzte sich für die Verwirklichung des Infrastrukturprojekts ein. Und sie sagte: Bei der Landtagswahl werde darüber entschieden.

Zu Lasten der Kanzlerin

Das Verhalten des Bahnchefs Grube wiederum, jeglichen Kompromiss abzulehnen und die #Schlichtungsgespräche# zum Scheitern zu bringen, ist nach Berliner Interpretationen das Gegenteil einer Wahlkampfhilfe für Mappus. Mithin geht es auch zu Lasten Frau Merkels. In der Spitze der Unions-Parteien ist die Auffassung verbreitet, der nächste Bundeskanzler nach Frau Merkel werde nicht der CDU oder der CSU angehören. Frau Merkel werde so lange Bundeskanzlerin bleiben, bis die Union bei Bundestagswahlen abgewählt werde. Das sei bei Helmut Kohl (CDU) der Fall gewesen, bei Gerhard Schröder (SPD) und auch der Nachfolger Helmut Schmidts (SPD) gehörte nicht dessen Partei an. Doch könnte gerade diese Kalkulation # so wird auch in der Union vermutet # dazu führen, dass das Szenario verhindert wird.

Zeit für Konsequenzen

Die überwiegende Zahl der Unions-Abgeordneten ist direkt im Wahlkreis gewählt. Sie wissen, dass sich dieses Verhältnis unter obwaltenden Umständen bei der nächsten Bundestagswahl nicht wiederholen wird. Sie könnten aus dem Ergebnis der Landtagswahl den Schluss ziehen, noch sei es früh genug, Konsequenzen zu ziehen. Dass die Abwahl der CDU in Baden-Württemberg genau die Bedeutung hätte wie die der SPD 2005 in Nordrhein-Westfalen, gehört zum taktischen Konsens in der Union. Frau Merkel hätte dann als CDU-Vorsitzende politisch nicht mehr die Kraft dazu, den Prozess zu beeinflussen # und mithin wären der CSU-Vorsitzende und die Führungsgremien aus dem Spiel.

Im Zentrum der Spekulationen steht Karl-Theodor zu Guttenberg, Verteidigungsminister und CSU-Liebling. Jene in der Union, die Guttenberg für politisch immer noch zu wenig erfahren halten, nennen den früheren Ministerpräsidenten Hessens Roland Koch. Guttenberg ist wegen seiner Beliebtheit bei der Bevölkerung im Spiel, weswegen ihm bei einigen in der Union zugetraut wird, die Parteien auf schnellem Wege über die 40-Prozent-Marke zu hieven. Koch wiederum wird wegen seiner Erfahrungen im Regierungsgeschäft genannt. Unbeantwortet ist die Frage, ob sich einer nach der Landtagswahl zum Kampf bereitfände, einen Kandidaten zu küren # und, wenn ja, wer. Einen #geborenen# Nachfolger gibt es nicht.

* Frankfurter Allgemeine, 13. Oktober 2010

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