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Fanfani steht zur Debatte

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In einer Wahlversammlung in Mailand hat Ministerpräsident Amintore Fanfani die Wähler ermahnt, es genüge nicht, für irgendeine neue Provinz- und Gemeindevertretung zu stimmen, man müsse so wählen, daß der Nation keine Schwierigkeiten erwachsen. Andere Redner hatten davor gewarnt, mit der Stimmenabgabe eine künftige Koalition zwischen Christlichen Demokraten und Sozialisten, die „Öffnung nach links“ also, zu ermuntern, und andere wieder sahen diese Gefahr rechts bei den Neofaschisten. Eine humoristische Zeitschrift hat darauf unter dem Titel „Gemeindewahlen“ einen Dorfbewohner in der Karikatur sagen lassen: „Die Wahl ist schwierig: man muß die politisch-soziale Dialektik in Betracht ziehen, das innere Gleichgewicht der Parteien, die künftige politische Entwicklung, die ideologische Gleichstimmigkeit, die Forderungen der breiten Massen, die eventuellen nationalen Rückwirkungen, die Außenpolitik ..

Die beiden Umstände, daß die Erneuerung der Provinz- und Gemeindeausschüsse am 6. November diesmal gleichzeitig in ganz Italien erfolgt, also eine Wählerschaft von 32,8 Millionen erfaßt und daß diese Volksbefragung die erste seit den politischen Wahlen im Jahre 1958 und nach den stürmischen Tagen des vergangenen Juli ist, als die Regierung Tambroni unter dem Druck der Straße weggefegt wurde, lassen den bevorstehenden Urnengang als besonders symptomatisch erscheinen und verpflichten die Parteien zu größtmöglichem Einsatz. Die Wahlpropaganda bewegt sich daher in hoher Politik, und für die lokalen Probleme bleibt nicht viel Platz übrig. Für die Regierung Fanfani bedeuten die Wahlen eine richtige Feuerprobe, denn in ihnen ist das Urteil der Nation über den politischen Wechsel im vergangenen Frühsommer enthalten.

VOLKSFRONT UND FERNSEHSCHIRM

Es gibt nun keine Partei, die in ihrer Wahlpropaganda nicht an die Ereignisse anknüpfen würde, solchen Eindruck haben sie im Gedächtnis der Massen zurückgelassen. Die Christliche Demokratie verweist auf ihre Bemühungen, die politische Atmosphäre zu beruhigen und die freie demokratische Entwicklung zu fördern. Sie verweist darauf, daß zum erstenmal auch den Exponenten der Opposition der Zugang zum Fernsehschirm gestattet worden ist. Diese Fernsehinterviews mit den politischen Stars sind tatsächlich das einzig Neue und auch das einzige, was die Bevölkerung während dieser Wahlkampagne interessiert hat. Die Versammlungen auf den Plätzen sind bedrückend schwach besucht, aber vor den Fernsehschirmen staut sich die Menge, um das Mienenspiel eines Moro oder Saragat oder Togliatti zu beobachten. Vielleicht ist mehr Neugierde als wirkliches politisches Interesse dabei, aber die Motive der Propaganda erreichen dennoch die Ohren. Die DC tut sich viel darauf zugute, daß sich auch die Wahlgegner des staatlichen Fernsehens und Rundfunks bedienen dürfen, und sie hat es nicht versäumt, den Kommunistenführer Togliatti darauf festzunageln. Der war unvorsichtig genug gewesen, der Regierung vorzuwerfen, sie behindere die Entwicklung zur „Demokratie“, und die Gegenfrage, ob auch in der Sowjetunion der inneren Opposition die Propaeandainstrumente des staatlichen Fernsehens zur Verfügung gestellt würden, war geradezu unausweichlich. Togliatti konnte auch nichts anderes tun, als auf den Fall des amerikanischen Vizepräsidenten Nixon zu verweisen, der während einer Freundschaftstour in der Sowjetunion vor dem Moskauer Fernsehpublikum sprechen durfte. „Wenn nach einem dreiund-vierzigjährigen Regime und kommandierten Ap-plausen einem ausländischen Kritiker auf Höflichkeitsbesuch als besondere Ausnahme der staatliche Bildschirm zur Verfügung gestellt wird, so ist das ein sehr mageres Beispiel“, konnte Fanfani bemerken.

Die Kommunisten treiben ihre Minengänge gegen die Burg der Christlichen Demokraten vor und rufen zu gemeinsamem Vorgehen auf. Auch ihnen kommt die Erfahrung mit Tambroni zunutze: „Wir siegten in Genua, weil wir einig waren; bleiben wir einig und wir werden überall siegen!“ Die Neofaschisten auf der anderen Seite nützen die Episode Tambroni ebenfalls, wenn auch in entgegengesetzter Weise. Für sie war die Zeit von Mai bis Juli die einzige seit dem Kriege, da Italien von einer wirklich „großen Regierung“ geführt worden ist und es einen wirklichen Antikommunismus gegeben hat. Nur die Kryptokommunisten in den verschiedenen Parteien und vor allem unter den Christlichen Demokraten hätten sie zu Fall gebracht. Man müsse also den Movimento Sociale wählen, um nicht in den Armen Togliattis zu landen.

Am schwierigsten ist die Wahlkampagne für die Linkssozialisten Nennis. Es ist nicht einfach, auf der einen Seite an der treuen Kameradschaft mit den Kommunisten festzuhalten und auf der anderen sich als Vorkämpfer einer „wirklichen“ Demokratie zu fühlen. In den einen Gemeinden, wo sie bereits mit den Kommunisten zusammen die Mehrheit erlangt haben oder sie zu erlangen hoffen, für eine marxistische Front einzustehen, und in anderen, wo solches nicht möglich ist, mit der katholischen Partei zusammen von einer künftigen Verbreiterung der demokratischen Basis zu träumen. Nenni drückt sich so aus: „Es wäre verrückt, von uns zu verlangen, wie es die Zentrumsparteien tun, daß wir auf lokale Machtpositionen verzichten, die von den Arbeitern vor fünfzig, sechzig Jahren errungen worden sind, nur weil heute, um sie zu halten, eine administrative Vereinbarung mit den Kommunisten notwendig ist.“ Vielleicht wäre das wirklich zuviel verlangt, aber von Seiten der DC aus betrachtet sieht die Sache so aus: „Die DC wird sich mit den Sozialisten in allen jenen Gemeinden verbünden, wo es diesen aus arithmetischen Gründen nicht möglich war, mit den Kommunisten eine Mehrheit zu bilden.“ Und das ist doch ziemlich ärgerlich. Der christlich-demokratische Parteisekretär Moro hat ausdrücklich nur die Verbündung mit den Neofaschisten und den Kommunisten ausgeschlossen. Es ist klar, daß er sie mit den Sozialisten in einer möglichst großen Anzahl von Gemeinden sucht, nicht aus lokalen Interessen, sondern um die Entwicklung in der nationalen Politik vorwegzunehmen. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht nicht uninteressant, festzustellen, daß die Erklärung der italienischen Bischofskonferenz anläßlich der Wahlen diesmal um eine Nuance weniger verpflichtend geklungen hat als bei den politischen Wahlen 1958, mit anderen Worten, die Empfehlung, für die DC zu stimmen, war weniger nachdrücklich, Im Grunde beschränkte sie sich darauf, das Verbot des Jahres 1958 ins Gedächtnis zurückzurufen anders als „einig, gemäß den Grundsätzen der christlichen Religion, den Dekreten der Kirche und für die volle Respektierung ihres guten Rechtes“ zu wählen. Damals war ein präzises Verbot verkündet worden, diesmal wurde nur noch daran erinnert, was psychologisch gesehen viel weniger wirkungsvoll ist.

DER KOMMISSÄR ALS DEMOKRATISCHER AUSWEG

Sollte die Democrazia Cristiana nicht einen nennenswerten Zustrom von Neuwählern bekommen, sind die Aussichten des demokratischen Zentrums gerade in den größten Städten Italiens sehr gering. Es gibt sogar politische Beobachter, die von einem Rückschritt der christlich-demokratischen Wählerschaft sprechen. In diesem Fall wären wichtige Positionen für die Partei des Kreuzschildes verloren. Die Gewinne bei den politischen Wahlen 1958 waren durch ebensolche bei den Linken neutralisiert worden. Auch das Movimento Sociale war im Fortschritt gewesen und die Verlierenden ausschließlich die Parteien des Zentrums, die Monarchisten, Liberalen und Sozialdemokraten gewesen. Nun ist aber die Formel der Regierung Fanfani aus dem Zentrum geboren worden. Wie können sich aber die Gemeindeverwaltungen synchronisieren, damit — um mit Fanfani zu sprechen — „der Nation keine Schwierigkeiten erwachsen“? In Mailand stellten die DC, Sozialdemokraten, Liberalen und Republikaner nur 38 von den 80 Gemeinderäten und bedurften der Unterstützung durch die Monarchisten, die heute nicht zur Koalition gehören; in Turin konnten die Zentrumsparteien gerade auf 41 kommen, aber es ist zweifelhaft, daß sie diese Stellung halten können; Florenz, Genua und Venedig mußten durch Regierungskommissäre verwaltet werden, denn dort war jede Mehrheitsbildung von vornherein unmöglich. Die sozialistisch-kommunistische Allianz kam in diesen Städten allerdings sehr nahe an die absolute Mehrheit heran: in Genua fehlten ihr drei, in Florenz vier, in Venedig fünf Sitze. Heute zeigt sich der extreme Linksblock zuversichtlich, zumindest die Stadt La Piras einzunehmen, des katholischesten aller Bürgermeister von Florenz. Das meiste Kopfzerbrechen wird die Bildung des Stadtrates in Rom verursachen, gerade in der Stadt, auf die die Blicke der Welt gerichtet sind, und deren Verwaltung in dauernder politischer Wechselwirkung mit dem nationalen Parlament steht, so sehr, daß dessen Mitglieder zugleich oft auch Gemeinderäte in Rom sind, wie zum Beispiel der Leader der Sozialdemokraten, Giuseppe Saragat. Von den 80 verfügbaren Sitzen errangen die Kommunisten 1956 20, die Sozialdemokraten 3, die Linkssozialisten Nennis 9, die DC 27, die Liberalen 3, der neofaschistische Movimento Sociale 10. Der Rest entfiel auf die Splitterparteien. Bisher konnte sich die christlich-demokratische Gemeindeverwaltung nur mit Hilfe der Neofaschisten halten. Diese wird jetzt durch den Parteisekretär Aldo Moro entschieden zurückgewiesen. Sollte die DC schon damit rechnen, die Macht auf dem Kapitol mit den Linkssozialisten zu teilen? Dem würde die Auswahl des christlich-demokratischen Spitzenkandidaten Urbano Ciocetti widersprechen, der, aus den Reihen der Katholischen Aktion kommend, als Bürgermeister viel Rücksichten, wenn schon nicht Sympathien, für die Neofaschisten gezeigt hat. Daß die Parteien des demokratischen Zentrums die absolute Mehrheit erreichen, ist sehr unwahrscheinlich. Es bleibt dann nur der Ausweg, mit dem Ciocetti gedroht hat, falls die DC keinen wesentlichen Zuwachs erhalten sollte: der Regierungskommissär.

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