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Fanfanis Gratwanderung

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Die Deputiertenkammer der italienischer Kammer hat Ministerpräsident Fanfani soeben mit drei Stimmen über der erforderlichen Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen. Bei seiner gefährlichen Gratwanderungen am Rande dei parlamentarischen Mehrheit hat der italienisch! Regierungschef eine beachtliche Schwindelfreiheit gezeigt. Einen anderen hätte der Blicl in die gähnenden Abgründe der Oppositior rechts und links bereits in die Tiefe gezogen Fanfani zieht munter fürbaß, obwohl ihm am 4. Dezember zwei oder drei Dutzend Abgeordnete der eigenen Partei das Regierungsgesetz über die teilweise Beibehaltung der „Sondersteuer Suez“ auf das Benzin in die Binsen geworfen hatten, am 20. November ebenfalls einige Christliche Demokraten zusammen mit der vereinigten Opposition die Sondersteuer auf mit Flüssiggas betriebene Kraftwagen vereitelten. Zuvor hat der Senat Fanfanis Gesetz über die Liberalisierung der Lebensmittelgroßmärkte arg verwässert; zuvor noch hat der Finanzausschuß ihm das Gesetzesprogramm über einen Zehnjahresplan für die Schule zwecks neuer Bearbeitung zurückgeschickt.

; Während sier nunmehr fünfmonatigen, JUgiefangstätigkait hat Amintorfc fai&niqhjap-} pen, Beleidigungen, Demütigungen, Verdächtigungen hinnehmen müssen. Sie wären ihm erspart geblieben, wenn Italiens christliche Demokratie sich in loyaler Geschlossenheit hinter ihren Ministerpräsidenten gestellt hätte, statt ihm, durch das Geheimnis der Urne gedeckt, in den Rücken zu fallen und nur in offener Abstimmung zu ihm zu stehen. Den Oppositionellen innerhalb der Christlich-demokratischen Partei dürfte das zugegebenermaßen unpopuläre Gesetz über die Sondersteuer Suez ziemlich gleichgültig gewesen sein; jedenfalls hätten die sieben Lire, welche Italiens Automobilisten für einige Zeit noch mehr zu zahlen gehabt hätten, ihr Gewissen nicht mehr beunruhigen dürfen als manche andere, zweifelhaftere, die sie wie ein Mann approbiert haben. Mit dem Gesetz über die Lebensmittelmärkte hätte zum erstenmal ein wirksamer Schritt gegen den Zwischenhandel mit seinen unverschämt hohen Gewinnspannen und damit gegen die ungerechtfertigte Verteuerung der Lebenshaltungskosten unternommen werden sollen. Daß die Rückständigkeit des Schulwesens das Erbübel am italienischen Volkskörper ist, ist seit den Tagen der Einigung Italiens eine ständige Feststellung, ohne daß bisher jemand einen organischen Plan gegen Analphabetismus und unzureichendes Schulwesen ernsthaft erwogen hätte. Mit ihren Neinstimmen könnten die christlich-demokratischen Oppositionellen den Anschein erwecken, als ob sie plötzlich gegen neue Straßen, Schulen und gegen ein billigeres Leben wären.

Das ist natürlich nicht der Fall. Ihre Ablehnung gilt nicht Fanfanis Gesetzen, sondern Fanfani. Mehr seinen angeblichen Plänen und Absichten als seinem Handeln. Wenn ihm vorgeworfen wird, der Zehnjahresplan für die Schule entbehre der finanziellen Deckung und es gehe nicht an, daß eine Hypothek auf künftige Regierungen gelegt werde, so muß man sich fragen, ob langjährige Entwicklungspläne denn eine Spezialität autoritärer Regime sein dürfen. Und De Gasperis Finanzierungskasse für den Süden? Hat er nicht auch einen Griff in die Kassen kommender Legislaturen unternommen? Darf sich eine Regierung nur erlauben, soweit zu disponieren, als ihre eigene Hand reicht? Wenn dem so sein sollte, wird Italiens Schulproblem ewig ungelöst bleiben, und Fanfani kann sich darauf beschränken, weiterhin wehmütige Artikel über das Elend der Analphabeten zu schreiben. In Wirklichkeit fürchten die Widersacher des Ministerpräsidenten ganz andere Dinge, als daß es ihm nicht gelingen könnte, die notwendigen Mittel für den Schulplan aufzutreiben. Zum Beispiel fürchten die „Notabein“ der Partei, die Fanfani beiseite geschoben hat, sie könnten mit der Zeit vergessen werden und nicht mehr zum Zuge kommen; oder sie fürchten, daß die Minderheitseinrichtungen in der Partei durch den mächtigen und in der Wahl seiner Mittel nicht so zimperlichen Apparat Fanfanis an die Wand gedrückt und früher oder später von jeder politischen Aktion ausgeschaltet werden könnten; sie fürchten, Fanfani könnte mit dem Führer der Linkssozialisten Pietro Nenni einig werden und Italiens Politik endgülig eine Wendung nach links geben; sie fürchten endlich die „Zweideutigkeit“ der Außenpolitik Fanfanis, sein unklares Wollen, in der Nahostpolitik eine Rolle zu spielen, auf Kosten der Freundschaft mit den traditionellen westlichen Alliierten und durch eine Lockerung des militärischen Bündnissystems, dem Italien angehört.

Es wird sich nicht feststellen lassen, wieviele Christliche Demokraten den Vorwürfen, Anschuldigungen und Verdächtigungen Glauben schenken, die der Chef für die europäischen Dienste der „New York'ffimes“, Cyrus S. Sulz-berger, eben in nicht weniger als vier Artikeln erhoben hat, und wie viele bloß vorgeben, es zu tun. Sulzberger hat Fanfani verdächtigt, gemeinsam mit dem Staatspräsidenten Gronchi und dem einflußreichen Präsidenten des staatlichen Erdölholdings ENI, Enrico Mattei, die Lockerung des Bündnisses mit der NATO und eine neutralistische Haltung Italiens anzustreben. Dazu sei aber eine Verbreiterung der parlamentarischen Basis nach der linken Seite hin, eben eine, Verbindung mit Nenni, notwendig Sulzberger ist ein intelligenter Journalist, und der Name seines Blattes allein genügt schon, ihm jede Tür zu jeder Persönlichkeit zu öffnen Aber er lebt nicht in Italien wie andere weniger maßgebliche und weniger intelligente Journalisten, die nichts-destotrotz mit der italienischen Luft ein sicheres Gefühl für die politische Atmosphäre, ihre Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, einatmen. Dem amerikanischen Kollegen sind einige typische italienische Eigenarten entgangen, die viel zu erklären .vermögen. Vor allem hätte er sich weniger mit den ausgebooteten Liberalen unterhalten dürfen, die derzeit im Schmollwinkel stehen. Dann hätte er erkennen müssen, daß viele Dinge, die Fanfani und seiner Außenpolitik vorgeworfen werden, bei anderen NATO-Ländern durchaus selbstverständliche Dinge sind. Die Versuche der wirtschaftlichen Anfreundung mit den arabischen Ländern werden von anderen Staaten, von der Deutschen Bundesrepublik zum Beispiel, mit viel größerem Erfolg und viel mehr Nachdruck gemacht, ohne daß jemand etwas daran auszusetzen hätte. Italien aber wird verdächtig, weil es gleiche Selbstverständlichkeiten mit einem ungeheuren Aufwand an Rhetorik, proportioniert dem Geltungsbedürfnis, und bedeutsam klingenden neuen Worten, wie dem „Neo-Atlantismus“ etwa, propagiert. Sulzberger fürchtet, Italien könnte im Atlantikbündnis so vorgehen wie Irak im Bagdadpakt, denn Inhalt und Sinn der Allianz aushöhlend. In Wirklichkeit haben Gronchi und Fanfani nur die Absicht, sich durch die Zugehörigkeit zur NATO nicht daran hindern zu “lassen, mit den Staaten außerhalb des Bündnisses freundschaftliche und profitreiche Beziehungen zu unterhalten. Daß Italien überdies durch seine geographische Lage allein schon ein Recht hat, in den Fragen des Mittleren Orients mitzureden und eine eigene Meinung zu haben, wird ihm ernsthaft niemand bestreiten wollen, um so mehr, als die westlichen Mächte in dieser Zone auch nicht alle der gleichen Meinung sind.

Keiner der in Italien lebenden ausländischen Beobachter teilt die Befürchtungen der „New York Times“, die ihren eigenen Regierenden vorwirft, sich von Italien an der Nase herumführen zu lassen. In der gegenwärtigen Weltlage ist eine andere Position Italiens als im Atlantikbündnis in keiner Hinsicht denkbar. Italien ist mit allen Fäden seiner Wirtschaft, seiner Kultur, seiner Geschichte an den Westen gebunden. Seine Wirtschaft würde es nicht ertragen, daß auch nur einer dieser Fäden abreißt. Es würde genügen, daß die Deutsche Bundesrepublik und England die Einfuhr von italienischem Obst und

Gemüse stoppen, um hier eine NATO-feindliche Regierung zum Sturz zu bringen — da es unmöglich ist, die italienischen Orangen den arabischen Kameltreibern zu verkaufen. Wenn schon nicht Fanfanis dauernde Versicherungen der Atlantiktreue, dann müßten schon so simple Ueber-legungen wie diese Italien von dem Verdacht des „double crossing“ zu reinigen, das ihm Marschall Montgomery in seinen Memoiren vorwerfen wollte — weil es das faschistische Joch abgeworfen und sich an die Seite der Alliierten gestellt hat.

Wenn es sich Fanfani in den Kopf gesetzt hat, unbedingt „mit Nasser zu reden“ und darin von amerikanischer Seite ermutigt wird, so ist nichts daran auszusetzen, auch wenn wenige an den Erfolg einer solchen Ueberzeugungsaktion glauben. Und ebensowenig kann daran ausgesetzt werden, daß er den Loslösungsprozeß Nennis von den Kommunisten durch politische Aktion fördern und nicht erschweren möchte. Ein löbliches Werk der Bekehrung, auch wenn nicht viele glauben, daß damit das Problem der parlamentarischen Mehrheit gelöst wäre. Denn wenn Fanfani einerseits behauptet, er würde Nenni nur akzeptieren, wenn er sich außenpolitisch auf den Boden der christlichen Demokratie stellt, den der NATO also, und wenn Nenni feierlich erklärt (allerdings ist der Parteikongreß in der Nähe), eine Begegnung könne nur auf der sozialistischen Plattform erfolgen, auf jener des Neutralismus also, dann sollten die Oppositionellen in der DC ruhig schlafen können.

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