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Filmdokument „Österreich“

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Erst vor kurzem hat die Nachricht, daß Wolfgang Liebeneiner zur Regieführung des „Österreich"-Films ausersehen wurde, das Projekt eines abendfüllenden Spielfilms über Österreich erneut in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt. Man erinnert sich an die Grundintention dieses Unternehmens, daß Österreich gleichsam selbst Hauptakteur dieses Filme sein soll, und wieder wird das Problem, wie das Dokumentarische, das der Film ja zweifellos enthalten muß, mit der Spielhandlung dramaturgisch zu verknüpfen sein wird, lebhaft erörtert.

Der Begriff „Akteur ist nun in erster Linie an eine Persönlichkeit gebunden, und es mag fürs erste frappieren, etwas Unpersönliches oder besser überpersönliches wie ein Land, einen Staat, eine Nation sich in der Gestalt eines dramatischen Handlungsträgers vorzustellen. Aber bei näherer Betrachtung mag die Idee immer mehr an Gestaltungsfähigkeit und Reiz gewinnen. Ist ein Volk mit seinen charakteristischen Eigenschaften, mit seinen Schwächen und Vorzügen, mit seinem historischen Schicksal, ist ein Staat mit einer fest umrissenen Staatsidee, in seinem Verhältnis zu den Nachbarn, ja zur ganzen Völkerfamilie nicht auch als Individuum zu 6ehen und als solches fähig, spielhaft zu agieren? Zweifellos würde eine symbolische Personifikation etwa im Sinne einer Barockdichtung der modernen Auffassung nicht entsprechen und vor allem in einer filmischen Gestaltung mokant wirken, aber es gibt sicherlich auch andere, zeitnahe Möglichkeiten Hier wird in mancher Hinsicht für Autor und Regie Neuland zu betreten 6ein.

Eine rein historische Version des „Österreich "-Films ist nicht leicht denkbar. Zunächst ist es nicht die Geschichte allein, in der 6ich Österreich verkörpert, aber noch vielmehr springt die technische Unmöglichkeit ins Auge, eine Geschichte, die sich über rund ein Jahrtausend erstredet und eine derartige Fülle epochaler politischer und kulturpolitischer Ereignisse birgt, auf 3000 Meter Zelluloid zu bannen. Selektiv wird man nicht viel erreichen; es 16t schon schwer zu bestimmen, welche Zeitabschnitte die wirklich entsdiei- dendsten gewesen sind, 60 kompliziert sich das Problem weiter bei der Aneinander- fügung und handlungsmäßigen Vereinheitlichung; und trotzdem würde Vieles und Wesentliches unterbleiben müssen. Andererseits wird es kaum möglich 6ein, Österreich darzustellen, ohne seine große historische Vergangenheit miteinzubeziehen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, zu versuchen, neue Wege filmischer Ausdrucks- und Aussagemöglichkeit zu gehen.

In der Literatur gibt es natürlich Beispiele, wo ein Zeitalter oder ein Staat Hauptakteur zum Beispiel eines Romans wird; man denke etwa an Frank Thieß' „Das Reich der Dämonen . Aber dem Dichter stehen immerhin ein paar hundert Druckseiten zur Verfügung, er kann viel mehr reflexiv 6ein als der Dramatiker oder gar der Drehbuchautor. Und hier kommen wir auf ein besonders wichtiges Moment. Vom Film wird mehr als von jeder anderen künstlerischen Ausdrucksform erwartet, daß ei unterhält, daß er amüsiert. Hier findet die Gewichtigkeit des Stoffes für den Filmautor seine unerbittliche Grenze. Ein „Österreich'-Film kann keine kulturhistorische oder geschichtsphilosophische Abhandlung sein, das ist verständlich, er müßte aber doch das Bedeutsame transparent werden lassen, also im letzten Problemfilm sein: das Problem Österreich, ein historisches, ein kulturelles, ein menschliches.

Nun gibt es freilich eine Art, Ernstes mit bestimmten Augenzwinkern zu erzählen, und hiezu scheint gerade der Film prädestiniert. Man denke nur an Filme wie „Herrliche Zeiten oder den jüngeren dieser Art, „Das waren Zeiten“, wo von dieser Chance des Filmischen reichlich Gebrauch gemacht wurde. Die bloße Andeutung, akustisch oder optisch, kann oft genügen, um einen ganz bestimmten Gefühlskomplex beim Publikum wachzurufen. Hier entwickelt sich eine Art von moderner Filmsymbolik, die in Streifen, „Der Apfel ist ab“, „Orpheus oder „Die roten Schuhe“, in ihren Möglichkeiten wohl abgetastet, aber noch keineswegs richtig ausgeschöpft wurde. Alle diese Bereiche werden auf ihre Verwendbarkeit hin zu überprüfen sein, um eine so umfassende Aussage, wie die über einen ganzen Staat, seinen Charakter und seine Entwicklung, filmgerecht vorzubringen.

Man kann sich auch einen Film vorstellen, der eine Vision „Österreich vermittelt. Landschaft, Architektur, Musik bieten überreiches Material. Dagegen spricht jedoch, daß ein rein visionärer Film wohl nur ein engbegrenztes Publikum finden dürfte, da erfahrungsgemäß die breite Schicht der Kinobesucher vor allem durch eine dramatische Handlung, and hier wieder durch eine an möglichst konkrete Personen gebundene, am meisten angesprochen wird. Sowohl an die Regie als auch an die Aufnahmefähigkeit des Publikums würde daher der Visionsfilm zu hohe Anforderungen stellen. Auch liegt gerade hier die Gefahr, ins Kulturfilmische hinüberzugleiten, am nächsten.

Hier stellt sich eine entscheidende Erwägung ein. Der Kulturfilm ist nahezu ausschließlich Dokumentarfilm, der Spielfilm hingegen nur äußeret selten, und dort, wo er sich, wie zum Beispiel im historischen Film, dem Dokumentarischen nähert, bleibt er meistens Ideendokument einer historischen Situation einer bestimmten Geschichtsauffassung oder gar einer politischen Tendenz; Sach-

dokument, was der objektivere Kulturfilm in der Regel zu sein ans treibt, ist er fast nie oder nur in einem sehr beschränkten Umfang, also für eine ganz bestimmte historische Epoche oder eine spezielle Atmosphäre. Ein Film a/ber, der eine Aussage über einen jahrtausendalten Staat und 6eine Kultur anstrebt, der unterschiedliche Milieus und vielfältige historische Situationen, der darüber hinaus eine gar nicht einfache Mentalität darzu6tellen hat, wird Sacbdokument und Spiel 6ein müssen. Hier ist nicht die Frage am Platz: Kultur- oder Spielfilm, sondern wie wird e6 ermöglicht, die Hauptmomente beider Stile auf einer höheren Ebene zu vereinigen, und zwar so, daß ihre Bestandteile nicht merkbar bleiben, sondern sich zu einem geschlossenen Stil organisch zusammenschließen. Ist doch auch der Gesamteindruck Österreichs ein absolut harmonischer und geschlossener, obwohl er 6i h aus so vielen Details zusammensetzt. Wenn es dem Film gelingen wird, die gesamte Atmosphäre, die sich mit dem Begriff Österreich verbindet, zu verlebendigen, von der kleinen Geste bi6 zum Staatsakt, in den beiläufigen Nebenfiguren w;ie in den Hauptrollen, von der menschlichen Begegnung bis zur historischen Idee, vom Salzfaß auf dem Tisch bis zum Dom, vom Werkelmann bis tu Mozart, so steht ein bedeutsames Ereignis zu erwarten, denn beides wird in gleicher Weise lebhaftes Interesse finden, Österreich als Filmakteur sowie das Filmdokument Österreich.

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