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Finanzpolitik und Konjunktur

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In zwei früheren Artikeln („Furche" Nr. 1 und 3/1961) wurde dargelegt, daß das derzeitige Steuersystem in unserem Lande

• leistungsfeindlich,

• wettbewerbsfeindlich

ist und darüber hinaus auch die eminent wichtige Funktion der Entwicklung des Kapitalmarktes und die Vermeidung volkswirtschaftlich schädlicher Fehlinvestitionen nicht erfüllt, ja Fehlinvestitionen infolge der allgemeinen, nicht differenzierten Investitionsbegünstigung sogar fördert.

Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, welche fiskalische Maßnahmen durchgeführt werden müßten, um im Rahmen einer grundlegenden Steuerreform ein den modernen Erfordernissen entsprechendes, funktionell richtiges Steuersystem aufzubauen. Die wichtigsten dieser Maßnahmen wären u. a.: -

• radikale Ausmerzung des „Mittelstandsbauches" in der Einkommensteuerkurve und Anpassung eventuell an die amerikanische Steuerprogressionskurve;

• Steuerermäßigung für zusätzliche Leistungseinkommen;

• Aufhebung der allgemeinen Investitionsbegünstigung und Begünstigung von Investitionen in Fremdbetrieben;

• steuerliche Begünstigung der nicht entnommenen Gewinne und Beendigung der steuerlichen Diskriminierung der Kapitalgesellschaften.

Diese Forderungen sind sehr weitgehend, und es erhebt sich die Frage, ob sie überhaupt erfüllt werden können, ohne eine erhebliche Senkung der Steuereinnahmen und damit eine weitere Vergrößerung des Budgetdefizits heraufzubeschwören.

Ohne auf das Problem des Sparens in der Staatswirtschaft eingehen zu wollen, mit dem sich die „Furche" ja gerade, in, der letzten Zeit eingehend befaßt hat, muß noch einmal betont werden, daß eine der Primärfunktionen jedes Steuersystems darin zu sehen ist, die Sicherstellung der notwendigen Staatsausgaben durch entsprechende

Einnahmen zu gewährleisten, eine Aufgabe, die derzeit, wie das Budget 1961 zeigt, nur unzulänglich erfüllt wird.

Die Erfüllung der hier erhobenen Forderungen wird nun zweifellos auf einigen Gebieten zu einer Verminderung der Steuereingänge führen, die jedoch durch eine Erhöhung der Steuereingänge in anderen Bereichen voll kompensiert werden können. Es muß daher a priori zu keiner Verminderung der Staatseinnahmen kommen; unzweifelhaft wird jedoch eine Verlagerung der Steuerbelastung eintreten, und in einzelnen Bereichen werden zum Teil fühlbare Steuererhöhungen nicht zu vermeiden sein.

Solche Mehrbelastungen sind aber volkswirtschaftlich absolut zu vertreten, auch wenn sie unpopulär sind, wenn damit die Sicherstellung volkswirtschaftlich wichtiger Funktionen erreicht wird.

Wer kann die Entscheidung treffen?

In diesem und den früheren Artikeln wurde sehr viel darüber gesprochen, was „volkswirtschaftlich richtig“ sei. Wer soll aber nun die Entscheidung treffen, was richtig und was falsch ist? Wer kann Entscheidungen treffen, die unter Umständen unabsehbare wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen können? Wer kann sich gegen die divergierenden Einflüsse der großen Interessengruppen durchsetzen, die zweifellos alle Machtmittel und ihren ganzen Einfluß aufbieten werden, wenn im Rahmen dieser Umschichtungen die eine oder andere Maßnahme für sie ungünstige Auswirkungen hätte?

Tatsächlich werden jetzt auch Entscheidungen gefällt — aber diese Entscheidungen sind in vielen Fällen sachlich ungenügend fundiert oder das Ergebnis einer Summe von Interventionen der verschiedensten Seiten.

Dem Finanzministerium, das durch fiskalische Methoden die stärkste Einflußnahme auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung besitzt, muß, gemeinsam mit dem Handelsministerium, die Möglichkeit gegeben werden,lim Rahmen des Möglichen sachliche Entscheidungen unter Berücksichtigung aller Faktoren zu treffen.

Diese Möglichkeit kann geschaffen werden. Die modernen wissenschaftlichen Methoden der „operations research" und der Einsatz moderner elektronischer Rechenmaschinen ermöglicht es, wirtschaftlich optimale Lösungen mit großer Wahrscheinlichkeit zu ermitteln. Vergessen wir nicht, daß in den letzten Jahren gerade in den USA in immer größerem Ausmaß elektronische Rechenzentren zur Lösung militärischer und politischer Probleme herangezogen worden sind und daß politische Mißerfolge fast immer nur dann eintraten, wenn die Empfehlungen der „Elektronengehirne“ nicht beachtet worden sind*. Die verantwortliche Entscheidung bleibt freilich den Menschen Vorbehalten. Gestützt auf diese wissenschaftlichen Methoden, könnte praktisch eine Wirtschaftsbehörde entstehen, die sogar noch mehr Möglichkeiten hätte als zum Beispiel das Wirtschaftsministerium der Deutschen Bundesrepublik.

Eine solche Behörde ist, und gerade das zeigt auch das Beispiel der DBR, äußerst vorteilhaft, und es bestehen auch, bei einer echten Kontrolle durch die demokratischen Körperschaften, kaum politische Gefahrenmomente. Sicherlich wird auch diese Lösung nicht zu unfehlbaren Ergebnissen führen können — es wird aber zweifellos leichter sein, aus den verschiedenen divergierenden Interessen eine günstigere Synthese zu schaffen, als dies jetzt der Fall ist.

Wenn man von einer „konjunkturgerechten Finanzpolitik“ oder Wirtschaftspolitik spricht, so ist darunter die Summe jener Maßnahmen zu verstehen, die dazu dienen sollen, die bestehende Konjunktur zu erhalten, einen Konjunkturrückschlag zu vermeiden und eine möglichst kontinuierliche wirtschaftliche Weiterentwicklung sicherzustellen. Dazu gehören selbstverständlich alle Maßnahmen, die in diesem und den früheren Artikeln aufgezeigt worden sind.

Eine konjunkturorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik muß also ausgleichend wirken, sie muß bestimmte Entwicklungen fördern, andere aber bremsen und darf keineswegs, wie das jetzt der Fall ist, faktisch nur stimulierend wirken. Sie muß vielmehr die konjunkturellen Auftriebskräfte stets unter Kontrolle halten, um jedes Absinken ebenso wie jede übermäßige Expansion, durch die die wirtschaftliche Stabilität äußerst gefährdet werden könnte, zu vermeiden.

Dazu gehören alle bereits „klassisch“ gewordenen Maßnahmen der antizyklischen Konjunkturpolitik, die vorsichtig angewendet werden müssen, allein aber noch nicht ausreichen. Es muß darüber hinaus Sorge getragen werden, daß die private Spartätigkeit gefördert, die Kaufkraft entsprechend dem Zuwachs des Nationalprodukts erhöht, die Produktivität ständig erhöht und anderseits aber auch vermieden wird, daß zu viel künftige Kaufkraft in Form von Konsumentenkrediten bereits jetzt vorweggenommen wird.

Alle diese Aufgaben können ohne bürokratische Reglementierungen und selbstverständlich ohne einen auf-

geblähten staatlichen „Planungsapparat“ mit Hilfe einfacher fiskalischer und kredittechnischer Methoden bewältigt werden, ebenso wie die Finanzbehörden unerwünschten Preissteigerungen durch die Einführung elastischer Zolltarife, eventuell in der Art von „Indexzöllen" entgegentreten können.

Ein wirtschaftliches Konzept ist unerläßlich

Eine Reihe der aufgezeigten notwendigen Maßnahmen kann zweifellos einfach und rasch durchgeführt werden, aber in der Gesamtheit handelt es sich um Probleme, die nur im Rahmen eines sorgfältig durchdachten und ausgearbeiteten Konzepts allmählich und schrittweise gelöst werden können.

Die wirtschaftliche Praxis beweist täglich die Notwendigkeit der betrieblichen Planung, und zwar in jedem Bereich der Privatwirtschaft. Ebenso wie kein privates Unternehmen ohne sorgfältige Planung eine wirkliche Prosperität auf die Dauer erwarten kann, kann auch kein Gemeinwesen auf ein langfristiges wirtschaftliches Konzept verzichten.

Die freie Wirtschaft von heute benötigt für ihre Erhaltung und ihre Weiterentwicklung ein Konzept. Wir können es uns nicht leisten, in den Tag hineinzuleben oder die Politik des „Weiterwurstelns“ zur Staatsräson zu erheben.

1 Auch in Österreich gibt es hier bereits Beispiele. Wir verweisen nur etwa auf die ausgezeichnete Studie des Rechenzentrums der Technischen Hochschule Wien über die Verkehrsprobleme.

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