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Finnischer Herbst

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Spätestens im Frühherbst 1966, wahrscheinlich aber schon früher, werden in Finnland die Wahlen zum Reichstag stattfinden. Es werden die ersten Wahlen nach dem Sturze Chruschtschows sein, nach einer Änderung des Namens und teilweise auch der politischen Zielsetzung der regierenden Agrarpartei, nach dem Vordrängen junger Politiker bei den Liberalen und bei der Linken, nach einem schmerzlichen Umstellungsprozeß bei den kommunistischen Volksdemokraten, nach der Überwindung der ärgsten Folgen der Parteispaltung bei den Sozialdemokraten und nach dem Aufkommen eines neuen Bewußtseins der engen Verbundenheit der kleinen Völker im Norden Europas.

Alles das läßt viele Pläne, viele Hoffnungen wach werden. Ganz sicher wird so manche dieser Hoffnungen, die heute in den Parteilagern genährt werden, nicht erfüllt werden, doch an ihrer Stelle werden wieder neue entstehen. Wenn Mut und Zähigkeit in schweren Situationen, Phantasie und Hoffnungsfreudigkeit die Zeichen der Jugend sind, dann ist das finnische Volk eine sehr junge Nation!

Die regierende Agrarpartei unter ihrem Führer Johannes Virolainen betrachtete schon seit einer Reihe von Jahren mit zunehmender Unruhe, wie ihr Wählerreservoir in den Landgebieten schmäler und schmäler wurde. Den Grund dafür bildet natürlich die fortgehende Änderung der Bevölkerungsstruktur. Die Bevölkerung der finnischen Städte und Märkte hat seit 1950 um 50 Prozent zugenommen, die Zahl der von der Landwirtschaft lebenden Finnländer hat im selben Zeitraum um 15 Prozent abgenommen. Wenn die Partei ihre führende Stellung im politischen Leben des Landes behalten will, muß sie das Schwergewicht ihrer Tätigkeit allmählich von den Landgebieten in die Städte verlegen, also genau das tun, was die früheren Bauernparteien Schwedens und Norwegens bereits getan haben, mit einem sehr sichtbaren Erfolg! Seit Mitte Oktober führt deshalb auch die finnische Agrarpartei den Namen Center-Partei. Der neue Name soll auch die zentrale Stellung der Partei in einer Gesellschaft der raschen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen widerspiegeln. Das bedeutet nicht, daß man die Menschen in den Landgebieten nun als Wähler zweiter Klasse betrachten will, doch kann man annehmen, daß sich die Zenter-Partei von ihrer sehr ausgeprägten Subventionspolitik gegenüber der Landwirtschaft so allmählich vorsichtig lösen wird; die Erhaltung des landwirtschaftlichen Bestandes um jeden Preis kann ja im Zeitalter eines pragmatischen gesellschaftlichen Denkens niemals die Aufgabe einer modernen politischen Partei sein! Zu diesen Aufgaben sollen laut Parteideklaration dagegen die Beibehaltung der Kekkonen-Linie in der Außenpolitik, eine gleichmäßige Produktionsentwicklung in allen Wirtschaftszweigen, eine Pensionsreform und eine bessere Zusammenarbeit mit den nationalen Minderheiten gehören.

Aufgeschreckt durch das Auftauchen der Agrarpartei in den Städten, sind nun die Finnische Volkspartei und die Freisinnigen dabei, sich zu einer „liberalen Volkspartei auf breiter Basis zusammenzuschließen. Die erstgenannte Partei hat heute 13 Mandate im Reichstag, die Freisinnigen sind dagegen nur durch einen einzigen Mann vertreten. Die neue Partei hofft jedoch, daß die Zusammenlegung und die Betonung einer starken liberalen Politik der Mitte zu einer verstärkten Anziehungskraft führen soll, so daß man bei den nächsten Wahlen über die jetzigen vierzehn Mandate hinauskommen kann. Fast alle angesehenen Zeitungen sind sich darin einig, daß die Triebfeder des Zusammenschlusses die Angst vor einem Vorstoß der Agrarpartei in den Städten und bei den Angestellten war. Fest steht, daß dieser Zusammenschluß sehr überstürzt (und möglicherweise auch aus Furcht vor baldigen Neuwahlen!) erfolgt ist und sogar Reichstagsabgeordnete erst in letzter Stunde über das Vorhaben informiert worden sind. Beide politische Gruppen hatten bei den Gemeindewahlen einige Erfolge zu verzeichnen, und ein mäßiger Optimismus von Seiten der neuen Parteiführung erscheint deshalb berechtigt.

Bei den „Volksdemokraten, unter welchem Namen sich eine der relativ stärksten kommunistischen Parteien Europas verbirgt, geht der unterirdische Kampf zwischen der moskautreuen und der unabhängigen Richtung weiter. Nach einer schweren Niederlage bei der Besetzung zentraler Fühnungsstellen scheint die Moskauer Richtung wieder neuen Mut gefaßt zu haben und kämpft verbissen um die ihr verbliebenen Schlüsselpositionen in diesem Konglomerat von Verbänden und Institutionen, die sich zum „Volksdemokratischen Verband für Finnlands Volk zusammengeschlossen haben. Das Pech für die gewiegten Taktiker innerhalb der Partei ist, daß sie nicht wissen, auf welchem Fuß sie eigentlich stehen sollen.

Kommt es zu einer Abkühlung des politischen Klimas in Moskau, muß die finnische KP — ebenso wie jede andere finnische Partei! — darauf Rücksicht nehmen. Gewinnen jedoch die Fürsprecher einer engeren skandinavischen Zusammenarbeit (eventuell auch auf militärischem Gebiet!) an Boden, dann vermindert sich automatisch der auf Finnland lastende Druck, und alle Parteien gewinnen bei der Ausformung ihrer Innenpolitik bald an Bewegungsfreiheit.

Die Entwicklung innerhalb der KPF wird sonderbarerweise ebenso durch die Entwicklung in Oslo und Kopenhagen (und letzten Endes sogar in Paris!) wie auch in Moskau beeinflußt.

Der ausgeprägte Optimismus herrscht zur Zeit bei den finnischen Sozialdemokraten. Die oppositionelle Gruppe der „Simoniten schmilzt langsam zusammen, und ihre Allein-kandidatur bei den nächsten Wahlen erscheint ziemlich aussichtslos. Um einem durchschlagenden Erfolg näherzukommen, muß die Partei unter Rafael Paasio allerdings mit einigen widerspenstigen Gewerkschaftsführern fertig werden, und zuletzt auch mit persönlichen Rivalitäten, die in der finnischen Arbeiterbewegung seit jeher eine wenig erbauliche Rolle gespielt haben. Die maßvolle Politik Paasios hat die Kluft zwischen den streitenden Gruppen allmählich enger werden lassen, und eine Bereinigung der Parteienspaltung scheint dadurch eher in den Bereich des Möglichen gerückt.

Eine neue Zenter-Partei unter Virolainen, eine „Liberale Volkspartei, geleitet vom reformfreundlichen Professor in Kirchengeschichte MiJcke Juva, eine kommunistische Rahmenorganisation mit dem Nichtkommunisten Dr. Ele Alenius als Zentralsekretär und dem Linkssozialisten Pentti Saarikoski als treibende geistige Kraft, eine Sozialdemokratie, die dabei ist, die Möglichkeit neuer Parteienkombinationen zu erwägen, und außerhalb des Landes eine noch zögernde und tastende, aber doch schon vorhandene Bewegung für eine engere skandinavische Zusammenarbeit, die gerade für Finnland die tiefgreifendsten Folgen haben müßte — in einer solchen Situation drängt alles zu neuen Versuchen und neuen Formen der Zusammenarbeit — und berechtigt zumindestens zu Hoffnungen auf eine neue und bessere Epoche in der neueren Geschichte Finnlands.

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