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Finnland im Brennpunkt

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Unter allen mittel- und osteuropäischen Staaten, die an der Seite Deutschlands gegen die Sowjetunion Krieg geführt haben, ist Finnland der einzige, der dem politischen System der westlichen Demokratie treu bleiben konnte. Das tapfere kleine Volk hatte es verstanden, sogar als Bundesgenosse des Dritten Reichs seine Institutionen zu wahren und jedes wesentliche Zugeständnis an die Diktatur zu vermeiden. Die Finnen erstreben vor allem, Herren ihres eigenen Geschicks zu sein. Wenn sie irt ihrer Mehrheit sich vor allem den Angelsachsen verbunden fühlen, so hat das seine Ursache in der gemeinsamen Vorliebe für die gleichen politischen Einrichtungen, in kultureller, religiöser und wirtschaftlicher Verwandtschaft, die stärker wirkt als sprachliche — .mit den Magyaren — oder geographische Nähe zu den anderen skandinavischen Ländern. Das Verhältnis zu den beiden Großmächten, die vor allem verhängnisvoll in die jüngsten Schicksale Finnlands eingegriffen haben, zu Deutschland und zur Sowjetunion, wird durch keine sentimentalen Erwägungen entscheidend beeinflußt. Man hat sich jeweils für die Anlehnung an das Reich ausgesprochen, das im gegebenen Augenblick als das kleinere Übel, als der weniger für die Unabhängigkeit gefährliche Protektor erschien. Dabei ließen sich die Finnen als Realpolitiker auch in Hinblick auf die militärische und politische Kraft des erwählten großen Alliierten leiten. Eine Ausnahme trat nur im November 1939 ein, als sie sich gezwungenermaßen gegen den russischen Angriff zur Wehr setzten, dem sie, so gut und so lange es ging, auszuweichen getrachtet hatten. Allerdings ist noch ein wesentlicher Unterschied der finnischen Gesinnung gegenüber Deutschen und Russen zu verzeichnen. Die Deutschen waren fern und sie waren niemals unmittelbare Zwingherren des Landes gewesen. Das Rußland der Zaren hatte tyrannisch und ehr als ein Jahrhundert die Herrschaft

über die ihm widerstrebende Nation ausgeübt. Im übrigen gab es hier wie dort auch verbindende Momente. Die Lebensführung der Russen hat in Finnland tiefe Spuren hinterlassen. Rassische Verwandtschaft, die sich in den äußern Zügen ausdrückt, besteht ohne Zweifel zwischen dem Grundstock des finnischen Volkes und den nördlichen Großrussen, die zumeist von russifizierten Finnen abstammen. Nicht zu vergessen ist, daß in der älteren Generation die oberste Schicht am Petersburger Hof erzogen wurde — so Mannerheim —, daß Adel und Großbürger an russischen Hochschulen sich heranbildeten, daß die gesamte Intelligenz von über 45 Jahren Russisch geläufig spricht und mit russischer Literatur wohl Vertraut ist, während die Jüngeren unter den Intellektuellen und ein großer Teil der Arbeiterschaft im Banne der Lehren Lenins und Stalins steht.

Alle diese Umstände waren und sind zu berücksichtigen, wenn man die politische Entwicklung Finnlands während des letzten Jahrzehnts und seine gegenwärtige Lage beurteilt. Der deutsehe Faktor ist derzeit ausgeschieden. Es bleibt aber das sowjetisch-russische Problem im Vordergrund. Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger, als darum, ob Einnland weiterhin eine westlich - demokratische Republik sein wird, die ihr Wirtschaftssystem auf ein Kompromiß zwischen Kapitalismus und Laboursozialismus aufbaut und die sich bemüht, unter Wahrung des Friedensvertrags vom 10. Februar 1947 und des Pakts mit der Sowjetunion vom 6. April 1948 dem kalten Krieg fernzubleiben (wobei die ideologische und kulturelle Gemeinsamkeit mit dem Westen unbehindert wäre). Als zweite Eventualität zeichnet sich nur der Übergang Finnlands zur Volksdemokratie und seine Eingliederung in das Ostsystem ab. Eine theoretisch vorhandene dritte Möglichkeit, die einer offenen Russenfeindschaft, wird heute von keinem verantwortlichen finnischen Politiker betrieben.

Obzwar es nun praktisch nur die zwei eben erörterten Positionen in der, auch die Innenpolitik dominierenden, Außenpolitik gibt, sind im Parlament zu Helsinki und in der Öffentlichkeit dennoch vier Hauptrichtungen zu beobachten. Das erklärt sich durch wirtschaftliche Interessen, die in Finnland scharf aufeinanderprallen. Großgrundbesitz, Großbürgertum und der rechte Flügel der Intelligenz sind in der Konservativen (finnischen) und in der Schwedischen Partei maßgebend. Die Bauern haben ihre eigene Fraktion der Agrarier. Städtische Kleinbürger, Angestellte und gemäßigte Arbeiter stimmen für die Sozialisten. Die Marxisten Moskauer Färbung bilden die Wählerschaft der Kommunisten. Ein paar kleinere Gruppen lehnen sich an die Vielehen erwähnten an. So die bürgerlichen Fortschrittler an die Konservativ-Liberalen und Schweden, die sowjetfreundlichen Radikalen und Bauern, dann die linken Sozialisten an die Kommunisten, mit denen zusammen sie die Demokratische Union begründet haben. Diese allein ist die Wortführerin der zur Völksdemokratie tendierenden, auf engste Verknüpfung mit Moskau drängenden Richtung. Die drei anderen Hauptparteien sind westlich-parlamentarische Demokraten, und sie wünschen ein erträgliches, doch auf völliger Selbständigkeit beruhendes Verhältnis zur Sowjetunion, beziehungsweise sie haben in Anbetracht der heutigen Lage die als russo-phil geltenden Führer in den Vordergrund geschoben, während die durch Deutschfreundlichkeit während des letzten Kriegs kompromittierten Leader der Konservativen — Linkomies —, der Agrarier und der Sozialisten — Tanner — auf ein Seitengeleise geschoben wurden.

Innenpolitisch finden zähe wirtschaftliche Kämpfe zwischen Stadt und Land, zwischen Unternehmern i und Lohnempfängern statt. Die Bauern, voran die nordfinnischen, leiden unter einer Preiskrise. Die Arbeiterschaft und die Angestellten haben eben erst, gegen heftigen Widerstand, eine Lohnerhöhung von 7Vi Prozent erkämpft. Die Stabilität, ja die Lebensfähigkeit jeder Regierung ist dadurch bedroht, daß keine der Interessentengruppen für sich allein die Mehrheit hat. Das derzeitige Kabinett des Sozialisten Fagerholm ist das einer Minderheit, das bei jedem größeren Anlaß Gefahr läuft, durch seine provisorischen Helfer, die es bald rechts, bald links suchen muß, gestürzt zu werden. Die innenpolitischen und wirtschaftlichen Gegensätze hindern indessen nicht die Einmütigkeit aller nichtkommunistischen Parteien, sobald es sich um die Verteidigung der bestehenden Institutionen und der Unabhängigkeit des Landes dreht. Ein derartiger Moment ist eben wieder gekommen.

Nach einmonatiger publizistischer Vorbereitung in Rundfunk und Presse hat die Sowjetregierung am 31. Dezember 1949 eine Note an die finnische Regierung gesandt, in der diese der Verletzung des Friedensvertrages und des Paktes vom April 194Ö beschuldigt wird. Unmittelbaren Vorwand bot die Nicht-auslieferung von Kriegsverbrechern. Nun hat man zweifellos alles getan, um die unglücklichen Karelier und sonstigen finnischsprachigen Sowjetbürger, um die es da geht, dem Bereich der sowjetischen Rache zu entziehen. Die einen sind nach Schweden entwichen, die andern halten sich versteckt, die dritten haben die finnische Staatsbürgerschaft erhalten. Die einen kann Finnland beim besten Willen nicht herbeischaffen, die zweiten trachtet man zu schützen — und im Notfall finden sich einige, die am wenigsten sympathischen „Verbrecher“, auf. Die dritten aber einer fremden Macht zu überantworten, stünde im Widerspruch zur finnischen Verfassung und zum Volkswillen. Doch die Politiker in Helsinki wissen gut, daß die Moskauer Note nur der Auftakt zu ärgeren Bedrängnissen sein wird.. Die Sowjetunion will die finnischen Kommunisten wieder mit in der Regierung sehen, aus der sie nach der Wahlniederlage vom Sommer 1948 ausgeschieden sind. Streiks, Zeitungsangriffe, wirtschaftliche und diplomatische Pression sollen zusammenwirken, um die Finnen auf den rechten, das heißt den linken Weg, deh der Volksdemokratie, zu geleiten.

Dabei spielt die eben vollzogene Präsidentenwahl eine bedeutende Rolle. Der achtzigjährige Juho Kusti Paasikivi, der mit fast 60 Prozent der Stimmen seine beiden Mitbewerber, den Agrarier Kek-konen (20 Prozent) und den Kommunisten Mauno Pekkala (21 Prozent), geschlagen hat, ist zwar als verstandesmäßiger Russenfreund in die Geschichte eingegangen. Er war der Friedensunterhändler von 1920, von 1939 und von

1944. Doch jetzt bestreitet man ihm diese Eigenschaft. Herta Kuusinen, die Tochter des leitenden kommunistischen Mannes der karelischen Sowjetrepublik und Gattin des ehemaligen Innenministers in Helsinki, Yrjö Leino, hat die heftigsten Anwürfe gegen Paasikivi geschleudert. Er und die antikommunistische Vierfünftelmehrheit des Landes werden sich des empfindlichsten Drucks zu erwehren haben. Daß sie dazu entschlossen sind, das hat die würdige Antwort auf die Sowjetnote, nach drei Wochen reiflicher Beratungen übersandt, genügsam bewiesen.

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