6771364-1969_03_09.jpg
Digital In Arbeit

Finnlands gefahrliche Freunde

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn man in der Sprache des Meteorologen die heutige Situation Finnlands schildern wollte, so müßte das folgendermaßen lauten: „Ein größeres Hochdruckgebiet verschiebt sich langsam von Westen nach Osten. Langsam aufheiternd, später wieder Neigung zu Niederschlägen. Mäßige Westwinde.“ Und diese Charakterisierung kann sowohl für den wirtschaftlichen wie auch für den politischen Bereich gelten.

Es besteht kein Zweifel darüber, daß die wirtschaftlichen Probleme des kleinen Landes an der Nordweststrecke des riesigen Sowjetimperiums immer noch schwer und vielfältig sind. Doch sie erscheinen heute nicht mehr so unlösbar wie noch vor zwei oder drei Jahren* Bas in dieser Zeit <Brreitfite < stellt ; diesem1 Vlk .und. seiner Regierung eigentlich ein recht gutes Zeugnis aus. Wenn es nur auf Finnland allein ankommt, wird es sicher seinen Weg zu einer gesunden und leistungsfähigen Volkswirtschaft weitergehen und die „Wohlstandskluft“ zu seinen westlichen Nachbarn allmählich überbrücken. Allerdings: Die „Neigung zu gelegentlichen Schauern“ wird noch lange Zeit bestehen bleiben. Die Vorteile, die sich aus der vorjährigen Abwertung der Finnmark ergaben, hat die Regierung gut wahrgenommen, und ihre Nachteile konnte man zum größten Teil vermeiden. In Großbritannien ist bekanntlich das Gegenteil geschehen. Die Stabilisierungsmaßnahmen konnten zum größten Teil durchgeführt werden; der Außenhandel hat sich in der gewünschten Richtung entwickelt.

Die endgültigen Ziffern für die ersten drei Quartale des Jahres 1968 berichten von einem Ausfuhrüberschuß von 82 Millionen Finnmark, in der gleichen Zeit des Vorjahres hatte man noch ein Defizit von 400 Millionen Finnmark. Der Export konnte um 36,4 Prozent erhöht werden, die Einfuhren stiegen dagegen nur um 21 Prozent. 40 Prozent der Exporte gehen nun in die EFTA-Gruppe, und das bedeutet, daß diese Exporte besser behauptet und leichter ausgebaut werden können als diejenigen, die in andere Ländergruppen gehen. Auch die Ausfuhren in den Ostblock werden weiter ansteigen. Die Investitionsfreudigkeit ist in Finnland weitaus größer als im benachbarten Schweden; sie wird nur begrenzt durch die Finanzierungsmöglichkeiten. Hier spielen nun die im Ausland aufgenommenen Anleihen eine große Rolle. In verhältnismäßig kurzer Zeit konnte der finnische Staat drei Anleihen in der Bundesrepublik unterbringen, von denen die letzte — Anfang Dezember — schon am ersten Tag überzeichnet worden ist. Auch die Stadt Helsinki, die Outukumpu Oy, die Oy Stockmann, Helsinki und die Industrie-Hypothekenbank wandten sich mit Erfolg an den ausländischen Kapitalmarkt. Dabei macht man in Helsinki kein Hehl daraus, daß man es vorziehen würde, wenn es zu direkten Investitionen ausländischer Unternehmen In Finnland kommen würde; bisher sind die Auslandsinvestitionen in Finnland äußerst bescheiden gewesen. Der Verband der finnischen Industrie rechnet bis:zum Jätens!980 mit-einer jährlichen Erhöhung der industriellen Produktion um 6,7 Prozent, mit einer Erhöhung der Produktivität um 4,7 Prozent und mit einer Steigerung des Arbeitseinsatzes um 1,9 Prozent. Der Umfang der Investitionen soll laufend ansteigen und 1980 um 240 Prozent über dem Stand des Jahres 1965 liegen. Als besonders ausbaufähig bezeichnet man die chemische Industrie und die Ölraffinerien. Auch die Metall- und die Papierindustrie bieten gute Zukunftsaussichten. Dagegen wird die Sägewerksindustrie und die übrige holzverarbeitende Industrie einen weiteren Schrumpfungsprozeß durchmachen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die oft harten Stabilisierungsmaßnahmen viel Mißvergnügen erzeugt haben. Trotz aller Bemühungen der Regierung ist auch die Arbeitslosigkeit in den nördlichen und östlichen Teilen des Landes sehr groß. In diesen Landesteilen hatten durch viele Jahre die Zenterpartei (Agrarier) und die Kommunisten ihre stärksten Bastionen. Die herrschende Unzufriedenheit begünstigte den Vormarsch der von vielen Beobachtern als halbfaschistisch angesehenen Landvolkspartei Vennamos. Die Folge war, daß innerhalb der Zenterpartei der rechte Flügel und innerhalb der „Volksdemokraten“ der linke Flügel der Partei an Gewicht gewannen. In beiden Parteien begann man sich zu fragen, ob man für die weitere Regierungsbeteiligung nicht einen zu hohen Preis würde bezahlen müssen: Die eine Partei betonte ihre konservative, die andere ihre sozialistische Linie. Die Koalitionsregierung unter dem Sozialdemokraten Koivisto geriet in Gefahr auseinanderzubrechen! Diese Gefährde! Wx.dm Augenblick abgewehrt. Doch der rechte Flügel in der Zenterpartei fordert nun umfassende Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, besondere Hilfsmaßnahmen für die wirtschaftlichen Notstandsgebiete, stärkere Unterstützung der Privatindustrie und Preisgarantien für die Landwirtschaft.

Alle diese Forderungen scheinen berechtigt, das Problem ist nur, daß die Regierung ganz einfach nicht die finanziellen Reserven besitzt, um sie erfüllen zu können. Auch die größer werdende Kluft zwischen den Wohlhabenden und den Minderbemittelten — um nicht zu sagen den Armen — wächst immer mehr zu einem mit Sprengstoff geladenen Problem aus. Aber auch hier ist Finnland nicht allein, denn in Schweden beobachtet man genau dieselbe Entwicklung, die bereits die Bildung von völlig neuen Klassenfronten zwischen Arbeitern und hochbezahlten Beamtengruppen erkennen läßt: Einem Industriearbeiterlohn von 10.80 pro Stunde steht dort bereits ein garantiertes Arzthonorar von 95 Kronen pro Stunde gegenüber!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung