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Finnlands Sorgenkinder

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Nirgendwo in Europa, weder im Osten noch im Westen, wird heute die Existenzberechtigung der Republik Finnland angezweifelt. Der zähe nationale Selbstbehauptüngswille, die wirtschaftliche Tüchtigkeit und die alte Kultur des Volkes im Lande der Tausend Seen werden überall anerkannt. Finnland ist durch seine Mitgliedschaft im Nordischen Rat den anderen skandinavischen Ländern eng verbunden. Und dennoch erscheint die nationale Unabhängigkeit und die politische Freiheit in den Augen zahlreicher Finnen bedroht. Doch diese B e-d r o h u n g kommt weniger von außen als von innen. Die Parteien kämpfen gegeneinander, und innerhalb d'e,r' Pattej?n vr kämpfen sich rivalisierende Gruppen {mit oft erschreckendem J(faversöhnlichkeit„rJnjtÄnlrurn, dieser Kämpfe steht die Sozialdemokratische Partei. Die Wiederwahl des alten Parteiführers Tanner am Osterparteitag hat die Krise neuerlich verschärft. Die Einigung mit der eigenen Opposition — die über 14 Parlamentsmandate verfügt! — wurde vollends verbaut, und die Teilnahme an der Regierung erscheint unmöglicher als je zuvor. Die Sozialdemokratie ist Finnlands kranke Mitte!

Der ausländische Beobachter findet im politischen Bild Finnlands viele schwerbegreifliche Züge. Die Regierung wird von einer Partei gestellt, die in den Juniwahlen des Jahres 1958 am meisten verloren hat und nur über 47 von zweihundert Mandaten verfügt. Die Kommunisten, die in allen anderen nordischen Ländern die kleinste parlamentarische Gruppe darstellen, verfügen im finnischen Parlament über die größte und geschlossenste Fraktion. Die oppositionellen Parteien verfügen über eine Dreiviertelmehrheit und haben alle zusammen für die Regierung Sukselainen nichts übrig, aber sie scheuen sich, diese Regierung zu stürzen, da sie auch einander selbst nicht trauen. Der Führer der kleinsten Fraktion (die nur aus einem Mann besteht!) ist der Agrarier Veikko Vennamo, der die größte Stimmenanzahl auf sich vereinigen konnte. Die schwedische Volkspartei ist in der Opposition, doch ihr Führer T ö r n-gren ist Außenminister der Regierung Sukselainen, allerdings nur als Privatmann, sagt er, nicht als Politiker. Die Liste der finnischen Kuriosa ist lang und voll Überraschungen für den Mitteleuropäer.

Die wirklich gefährliche Erscheinung im innerpolitischen Lebens des Landes ist jedoch die Spaltung der Sozialdemokratischen Partei. Es würde zu weit führen, alle ihre Phasen nachzuzeichnen oder auch nur ihre Ursachen, sie sind politischer, wirtschaftlicher, vor allem und zuerst aber persönlicher Art. Eine Gruppe von Politikern um den alten Väinnö Tanner, um die

Sekretäre Leskinnen und Pitsinski, steht in unversöhnlicher Feindschaft einer anderen Gruppe unter Skog und Direktor Simonen gegenüber, die man heute „Simoniten“ nennt und die ihre stärkste Unterstützung in der zentralen Gewerkschaftsorganisation und im Arbeitersportverband finden.

Es wurden — nicht zuletzt von schwedischer Seite — zahlreiche Versuche gemacht, die streitenden Gruppen wieder zusammenzuführen, es war alles vergeblich. Dem Parteiyorstand selbst waren drei große Gelegenheiten gegeben, sich mit den irrenden Brüdern wieder zu einigen: Am Parteitag vor drei Jahren, unmittel-bastAsch?. der Parlamentswähl 195 8, undr nun am vergangenen Osterparteitag. • fft#ipa¥teftgi997'ihätte'e% nur'etter'klugen Personalpolitik bedurft, um die politisch wertvolleren Kräfte wieder an die Hauptgruppe der Partei zu binden. Doch man wählte Tanner als

Parteivorsitzenden, ungeachtet der Tatsache, daß dieser Politiker für Rußland der Feind Nummer Eins bleibt, mit dem man auch nach seiner Verurteilung zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis als „Kriegsverbrecher“ nie zusammenarbeiten wird. Die Wahl von 1958 gab der Partei 48 Mandate, was in Anbetracht der Zersplitterung als ein sehr gutes Ergebnis bezeichnet werden muß. Die Opposition erhielt nur drei Mandate. Es kam innerhalb der Fraktion zum Antrag, die Opposition wieder in Gnaden aufzunehmen. Der Parteivorstand lehnte das ab. Darauf traten zehn neugewählte sozialdemokratische Abgeordnete in die Oppositionsgruppe Ii,.später folgte noch ein elfter; ttfftniJUtafe!

Ibngut na al i? 'itn jw nsniriarw-i o ayon 'Der-heurige 4?rteitag'solltes-die Wende--zuV Realpolitik bringen. Einige Parlamentarier der versöhnlichen Richtung schlugen als Vorsitzenden den zusammenarbeitswilligen Olavi L i n db 1 o m vor. Lindblom wurde jedoch von der Mehrheit des Wahlausschusses abgelehnt. Darauf wurde Chefredakteur Rafael P a a s i o vorgeschlagen, der ebenfalls als ein Mann des dritten Standpunktes gilt, doch Paasio unterlag mit 48 zu 107 Stimmen und Tanner wurde wiedergewählt. Die Schwedisch sprechenden Sozialdemokraten Fagerholm und H e n-r i k s s o n schieden aus dem Parteivorstand aus, der den verschärften Kampf nach allen Richtungen ankündigte, Neuwahlen verlangte und von diesen sowohl die Niederlage Suk-selainens als auch der Oppositionsgruppe der Simoniten erwartet, die sich inzwischen als eigene Partei konstituiert hat.

Das Ergebnis des Parteitages verbaut den Weg zu einer Koalition mit den Agrariern, den Weg zur Versöhnung mit der Opposition und gleichzeitig jede Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit den anderen oppositionellen Parteien. Sogar die Liberalen und die Konservativen bedauern diese Radikalisierung der Parteipolitik, denn nur in Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten ist es ihnen möglich, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Die Sozialdemokratische Partei nimmt nun einmal angesichts des starken kommunistischen Blocks eine Schlüsselstellung ein, aber sie tut unbegreiflicherweise nichts, um diese günstige Position auszunützen. Auch ein noch so gutes Wahlergebnis wird die Partei nicht vom Zwang der Zusammenarbeit mit anderentfMMSlhi “0$ es? JSlwP -Mer Beziehung unklug,.mit Kräften zu operieren, die jede für außenpolitische Realitäten empfängliche politische Gruppe in Finnland heute ablehnen muß. .

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