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Forschung bleibt ein Fremdwort

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Wissenschaftsmanager ist Werner Welzig. Er versucht, die Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm zu holen und ihr einen Platz an der Sonne zu sichern.

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Wissenschaftsmanager ist Werner Welzig. Er versucht, die Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm zu holen und ihr einen Platz an der Sonne zu sichern.

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DieFurche: In einer der neuesten Pressinformationen der Akademie der Wissenschaften werden Sie als Wissenschaftsmanager bezeichnet Sehen Sie sich als solchen? Akademiepräsident Werner Wel-z1g: Obwohl mir das Wort Wissenschaftsmanager nicht gefällt, verstehe ich mich als einen, der versucht, der Forschung die finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen und darüber hinaus der Wissenschaft im öffentlichen Leben jenen Platz bereiten zu helfen, den sie meiner Meinung nach braucht und den sie in Österreich ganz eindeutig nicht hat.

DieFurche: Nimmt das dem Forscher nicht sehr viel Zeit weg? welzig: Das nimmt dem Forscher sehr viel Zeit weg. Aber durch seine Managementarbeit gewinnt er auch für die wissenschaftliche Arbeit im engeren Sinn des Wortes. Das heißt, diese Managementtätigkeit nimmt etwas der eigentlichen Wissenschaft im sogenannten Elfenbeinturm, zugleich ist sie aber geeignet, die Fenster des Elfenbeinturms doch in einer erfreulichen Weise aufzumachen.

DieFurche: Könnten Sie das an einem Beispiel konkretisieren? welzig: Ich arbeite zur Zeit an der Vorbereitung eines Wörterbuchs der Redensarten basierend auf der „Fackel” von Karl Kraus. Wenn ich Geldgebern gegenüber zu argumentieren habe, wieso ich dafür Geld erbitte, dann muß ich ziemlich mühsam argumentieren. Und wenn ich dazu gezwungen bin, ist das sozusagen für den Wissenschaftler verlorene Zeit. Aber ich gewinne aus diesem Argumentationszwang insofern für die wissenschaftliche Arbeit, als ich nachdenken muß, was denn das überhaupt ist, eine Redensart; was kann für Menschen 1995, 1996, 1999, vielleicht sogar im nächsten Jahrtausend, daran interessant sein, sich mit Redensarten wie „Schulter an Schulter”, „ausbauen und vertiefen” oder „Wir wer'n kan Richter brauchen” auseinanderzusetzen.

DieFurche: Haben es Naturwissenschaftler heute nicht leichter zu Geld zu kommen als Geisteswissenschaftler? welzig: Das ist völlig richtig. Auf der anderen Seite muß ich sagen, die Geisteswissenschaftler sind halt leider Gottes manchmal von einer bedauerlichen Larmoyanz. Ich bin fest davon überzeugt, daß heute die Stunde der Geisteswissenschaften und der Sozialwissenschaften schlägt; denn gerade durch die Europäische Union - das ist ja noch keine Vereinigung Europas im engeren Sinn des Wortes - ist das Land herausgefordert, sich in seiner historischen und aktuellen Qualität darzustellen. In der Praxis ist es so, daß ein Mediziner oder auch ein Physiker, ein Biologe leichter zu Geld kommt als ein Geisteswissenschaftler. Aber: Wenn dieses Europa zusammenwachsen soll, nicht als eine planifi-zierte Einheit, sondern als eine Vielfalt von Traditionen, die in den einzelnen Ländern und Staaten ge wachsen ist, dann ist es die Aufgabe der Geisteswissenschaftler, diese Traditionen herauszuarbeiten.

DieFurche: Kommt da nicht ein gewisser nationaler Aspekt, auch der Geisteswissenschaften, durch? welzig: Why not? Why not? Ist meine Gegenfrage. Warum nicht? Warum fürchten wir uns so? Das heißt, warum wir uns fürchten, ist schon klar. Ich meine, es besteht keinerlei Ursache, sich vor diesem nationalen Aspekt so unendlich zu fürchten. Wir müssen zur Kennntnis nehmen, daß die Entwicklung eines Staates etwas ist, das wesentlich die Bürger prägt, den Gesamtstaat geprägt hat. Ich verstehe bis heute nicht, warum man ungeniert vom Nationalteam spricht, im Fußball oder bei den Schifahrern, aber das Wort national als Attribut für wissenschaftliche Anstrengungen verpönt ist. Ich würde demgegenüber völlig ungescheut dafür plädieren, national eine Diskussion über nationale Forschungsschwerpunkte in Österreich herbeizuführen.

DieFurche: Kann Forschung national betrieben werden? welzig: Erstens: Forschung kann überhaupt nur im internationalen Verbund geleistet werden. Zweitens - und scheinbar im Gegensatz dazu -ist Forschung selbstverständlich eine nationale Sache in mehrfachem Sinne. Forschung kann sich mit nationalen Gegenständen beschäftigen, mit der Bolle Östererichs etwa in Europa, Mitteleuropa, mit der Bolle der deutschen Sprache im Verbund der großen europäischen Sprachen. Forschung kann sich also, was ihre Themen betrifft, national orientieren. Das ist keine Verengung, das ist eine bestimmte Fragestellung. Drittens behaupte ich, daß Forschung, auch wenn sie gar nichts mit dem eigenen Land und dessen Geschichte zu tun hat, einen nationalen Aspekt haben kann, insofern als es in einem bestimmten Land bestimmte Wissenschaftstraditionen gibt. In Österreich ist das zum Beispiel die Asienforschung, speziell Indologie, Buddhismusforschung.

DieFurche: Wissenschaft und Forschung sollen, das ist eines Ihrer

Werner Welzig ist fest davon überzeugt, daß heute, angesichts der europäischen Vereinigung, die Stunde der Geistes- und Sozialwissenschaft schlägt.

Hauptanliegen, einen höheren Stellenwert in der österreichischen Öffentlichkeit bekommen Welzig: Das ist ein ganz großes und entscheidendes Problem. Als die deutsche Freiheitliche Partei einen neuen Vorsitzenden gewählt hat, ist man übereingekommen, daß die viel größere Begierungspartei, die CDU/CSU, den Freiheitlichen die Möglichkeit gibt, das war ein Wunsch der Freiheitlichen, im Forschungsbereich neue Initiativen zu setzen. Wenn ich mir vorstelle, daß in Österreich eine Partei, eine kleine Partei, zu reüssieren versucht, indem sie der Forschung neue Impulse und neue Ressourcen erschließt - das ist völlig undenkbar. Ein Parteiführer, der heute sagt, ich schreibe die Anliegen der Forschungspolitik auf meine Fahnen, würde wahrscheinlich als Selbstmörder betrachtet werden. Ein anderes Beispiel: Die ÖVP hat einen neuen Obmann, Vizekanzler. Ich habe die programmatischen Äußerungen des Vizekanzlers Schüsser in der letzten Zeit verfolgt. Das Wort Forschung dürfte für ihn zur Zeit noch ein Fremdwort sein, ein sehr schwer aussprechbares Fremdwort. Ich glaube also, daß Forschung in Österreich mit ganz großen Widerständen zu kämpfen hat, daß im öffentlichen Bewußtsein, im Bewußtsein der politisch Verantwortlichen die Forschung irgendein Luxus von Bandgruppen ist, wo man sich überhaupt keine Vorstellung macht, daß Forschung und technischer Fortschritt und Industrie miteinander verbunden sind, daß aber Forschung im Hinblick auf die Kapazität der wissenschaftlich geschulten Köpfe etwas ist, das wesentlich heute den Rang eines Landes ausmacht.

DieFurche: Worin besteht heute die Aufgabe der Geisteswissenschaften? welzig: Sie hat eine zentrale Aufgabe, wie ich vorhin schon gesagt habe, für das Gemeinwesen Österreich, in Europa und auf dieser Welt, auf dieser Erdkugel und für den einzelnen Menschen. Man kann diese Frage nicht aus dem Handgelenk schüttelnd hinreichend gut beantworten, aber doch wohl in der Weise, daß Geisteswissenschaften auch dazu beitragen können, mir als Einzelwesen, mir als Kommunität zu sagen, wer ich bin, wo ich stehe, was ich kann, wovor ich Angst haben muß, wovor ich keine Angst zu haben brauche. Literaturwissenschaftliche Fächer etwa helfen Menschen, einen Text zu lesen, da geht es ja nicht nur um hermetische Dichtungen, es geht auch darum, daß ich eine Zeitung lesen können muß, ich muß wissen, wie ein Redakteur Titel setzt und wie er Titel textiert, ich muß Plakate lesen können, ich muß dieses Verweissystem, Zeichensystem der Werbung, der Presse ja dechiffrieren und beurteilen können. Und da sind die Geisteswissenschaften aufgerufen, ich will das Wort Lebenshilfe nicht gebrauchen, aber Orientierungsbeiträge zu unserem aktuellen und historischen Selbstverständnis zu liefern.

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