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Freiheit und Integration

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Zwischen dem Prinzip der persönlichen Freiheit des einzelnen und dem wirtschaftspolitischen Vorgang der Integration Europas gibt es eine Vielzahl äußerst entscheidender Querverbindungen. Wollen wir die Integration vom Standpunkt der Freiheit des einzelnen Österreichers wie auch Österreichs betrachten, so scheinen einige grundsätzliche Überlegungen, die heute jedermann anstellen sollte, mehr denn je am Platze.

Zunächst haben wir die Freiheit, am wirtschaftlichen Integrationsprozeß Westeuropas teilzunehmen. Wir haben auch die Möglichkeit, uns beiseitezustellen und nicht mehr Bestandteil Westeuropas zu bleiben. Doch das will die überwiegende Anzahl — wahrscheinlich sind es 90 bis 95 Prozent — der Österreicher nicht. Daher soll hier nur davon die Rede sein, wie Freiheit und Integration zu vereinbaren sind, nicht ob sie in Übereinstimmung gebracht werden können.

Österreich ist der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) beigetreten, einer Staatengemeinschaft, die dem Vertrag von Stockholm die Entschlossenheit an die Spitze gestellt hat, so bald wie möglich eine gesamteuropäische Lösung zu finden (,,to facilitate the early establishment of a multilateral association”).

Unser Denken in Fragen der Integration scheint heute befangener denn je. Technische Sehlagworte, die von 99 Prozent der Bevölkerung überhaupt nicht verstanden werden (wer weiß schon wirklich, was ein ,.bilateraler Assoziationsvertrag”, ein „beschleunigter EFTA-Zollabbau” [Akzeleration] oder eine „Harmonisierung der Zollpositionen” bedeutet?), beherrschen die Diskussion und beeinträchtigen die klare Sicht für die großen Zusammenhänge.

Was wir wollen, ist eine Wirtschaftsintegration in Freiheit: eine Integration, die Bedingungen schafft, unter denen unsere persönlichen „Grundfreiheiten” nach Möglichkeit besser gewährleistet sind, als dies schon heute der Fall ist. Eine Integration, die uns selbstverständlich die Freiheit (Souveränität) beläßt, völker- rechtsverbindliche Verträge wie insbesondere den Staatsvertrag, zu erfüllen und der Neutralitätsverpflichtung nachzukommen. Allein aur diesen beiden Wünschen, die vom Standpunkt der Freiheit ausgesprochen werden müssen, ergeben sich eine Vielzahl von Konsequenzen, die für das wirtschaftspolitische Handeln maßgeblich sein sollten.

Dies ist Ort und Zeit, mit aller Deutlichkeit darauf aufmerksam zu machen, daß mit dem Gedankengut des Kollektivs und der Übernahme von dirigistischen, auf nationalstaatlicher Intervention aufgebauten Prinzipien eine Integration in Freiheit nicht zu erreichen ist. Man muß hier ganz deutlich werden: Wenn die österreichische Integrationspolitik durch Motive bestimmt sein sollte, hinter denen die Einstellung steht, „der Staat ist für alles verantwortlich”, „jede, auch vorübereehende, Einschränkung materieller Bequemlichkeiten kommt nicht in Frage”, „Opfer für den gesicherten Verbleib im westlichen System werden keine gebracht”, dann ist es um unsere Chancen, das zu erreichen, was ohne Zweifel eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in bezug auf die Integration will, schlecht bestellt.

Hier besteht eine tiefe Analogie zwischen vielem, was wir selbst in unserem kleinen Bereich einsehen können, und dem. was auch ‘m internationalen Zusammenspiel Gültigkeit hat. So wie diejenigen, sei es in der Familie, in der Gemeinde, im Staat oder wo immer, alles Gute und Angenehme versprechen, schließlich durch die Entwicklung der Wirklichkeit bald der Unmöglichkeit ihrer Versprechungen überführt werden, weil die Mittel zur Erfüllung von Versprechen überall begrenzt sind, so werden auch diejenigen, die in bezug auf internationale Segnungen dasselbe tun, in gleicher Weise von der Wirklichkeit zurechtgewiesen werden. Die Bewahrung der Freiheit verträgt sich nur mit einer beschränkten Zahl von Erwartungen. Das sei am Beispiel der Notenbank erläutert:

Ich halte es für wichtig, daß wir uns über die Stellung der österreichischen Notenbank im klaren sind. Im § 2 des Nationalbankgesetzes heißt es: „Sie — die Österreichische Nationalbank — hat mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, daß der Wert des österreichischen Geldes in seiner Kaufkraft im Inland sowie in seinem Verhältnis zu den wertbeständigen Währungen des Auslandes erhalten bleibt.”

Man konnte nun in letzter Zeit in der Zeitung lesen, ein sozialistischer Politiker habe verlangt, die Generalräte der Notenbank hätten sich in irgendeiner Form den Beschlüssen des Koalitions- ausschusses zu fügen. Dies würde das Ende einer unabhängigen Notenbank bedeuten und auch ZUT Folge haben, daß ich mein Amt sofort zur Verfügung stelle, da ich nicht Zusehen würde, daß die Unabhängigkeit der Notenbank einer geld- und währungspolitischen Bequemlichkeit geopfert wird. Die Beschränkung in diesem Falle besteht darin, daß man entweder eine wirkungsvolle, den Geldwert mit ihrem ganzen Einsatz verteidigende Notenbank haben kann oder eine bequeme, die weder der Regierung noch den Kreditinstituten oder dem Kreditnehmer jemals wehtut.

Die Unabhängigkeit der Notenbank ist insofern entscheidend für ein westliches System der Wirtschaft, als sie gegenüber der Regierung, in deren Schoß sehr oft politische Kompromisse geschlossen werden müssen, ein zweites Gewissen im Staate idarstellt. Nicht ein universelles Gewissen freilich, sondern eine Meinung, die dann zur Geltung gebracht werden soll, wenn im Bereich des Geld- und Währungswesens Entwicklungen eintreten, die Gegenmaßnahmen der Nationalbank in der Diskont-, Offenmarkt- oder Mindestreservenpolitik notwendig machen. Eine Eliminierung dieser zweiten Meinung, die außerhalb der Regierung Verantwortung und Freiheit dazu hat, die Lage unabhängig zu beurteilen, würde einen Schritt zur Volksdemokratisierung bedeuten.

Eine Zusammenarbeit in der Geld- und Währungspolitik gibt es in Europa bekanntlich seit 1950, seit dem Funktionieren der Europäischen Zahlungsunion (EZU). Niemand wird behaupten, daß Österreich durch die Mitgliedschaft an der Europäischen Zahlungsunion und ihrer Nachfolgeinstitution, dem Europäischen Währungsabkommen (EWA), in seiner Freiheit beschränkt worden sei.

Im Gegenteil: Die Vorteile, die dem österreichischen Außenhandel wie dem österreichischen Fremdenverkehr durch die Teilnahme an diesen der europäischen Wirtschaftsintegration dienenden Institutionen zuteil geworden sind, haben die Grundlagen unserer staatlichen Souveränität wie der mit der privaten Vermögens- und Eigentumsbildung zusammenhängenden persönlichen Freiheit enorm g e- stärkt. Nun zeichnen sich auf währungspolitischem Gebiet schon seit längerem Notwendigkeiten neuer und weitergehender Zusammenarbeit ab. So wie die Ströme von Wären, Touristen, Zahlungen innerhalb der europäischen Länder im Zeitalter der Integration immer dichter werden, so muß auch die Zusammenarbeit mit jenen Ländern, mit denen sich alle diese Kontakte auf Grund gegenseitiger Freizügigkeit verdichten, auf allen Linien intensiviert werden.

Theoretisch gibt es zwei Ordnungsprinzipien für die wirtschaftliche Integration Europas: Das eine ist das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft, das andere das der sozialistischen Planwirtschaft. Das erste ist aufgebaut auf der eigenen Verantwortung der Wirtschafttreibenden, die sich nach den Erfordernissen der Nachfrage auf den Märkten zu richten haben, die in eigener Verantwortung Entscheidungen über die notwendigen Investitionen zu treffen haben, kurzum das dezentralisierte System der freien Marktwirtschaft, in dem durch eine entsprechende Gesetzgebung dafür gesorgt wird, daß die sozialen Belange nicht zu kurz kommen. Das andere System, das einer sozialistischen Planwirtschaft, setzte zentrale Lenkungsinstitutionen voraus, die über den Einsatz der Produktionsmittel entscheiden, den Bereich der privaten Leistungen und auch den Anreiz dazu aber immer mehr einengen und schließlich zu einem internationalen Zentralismus mit ungeheuerlichem Verwaltungsapparat führen müßten.

In der Praxis gibt es Mischfonmen. Merkwürdigerweise sind gerade in jener Institution, die von den österreichischen Sozialistenführern als „Bürgerblock” und „Kartellkapitalismus” gebrandmarkt worden ist, nämlich der EWG, zentrale Mechanismen errichtet worden, die Eingriffe in das marktwirtschaftliche Geschehen darstellen. Im großen und ganzen gesehen aber verläuft die Integration eindeutig nach dem Prinzip der Marktwirtschaft, der freien Wirtschaft, nach Grundsätzen, die im Wirtschaftsleben und — wegen der Unteilbarkeit und Fernwirkung der Freiheit — darüber hinaus für jene nicht günstig sind, die offen oder insgeheim ein durch die Macht von nationalbürokratischen Verfügungen bestimmtes Leben herbeisehnen.

Jene werden es auch sein, die am lautesten protestieren werden, wenn es gilt, dem großen Ziel der europäischen Einigung einmal ein materielles Opfer zu bringen. Die kleinste Umschichtung auf irgendeinem Markt wird ihnen willkommener Anlaß sein, um ihre Stimmen zu erheben; nicht in erster Linie um den „Betroffenen” beizustehen, sondern um die Bereiche, in denen Unfreiheit und Parteiwillkür entscheidend sind, auszubauen und zu verhüten, daß ihre Macht schwindet. Man merke auf, welche Töne noch laut werden, um Europas wirtschaftliche Einheit hintanzuhalten!

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