Freispruch, aber das Sterben geht weiter

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Das „Schandverfahren“ gegen die Cap-Anamur-Lebensretter Elias Bierdel und Stefan Schmidt endet in erster Instanz mit Freispruch – doch die abschreckende Wirkung des Prozesses für Seeleute hält an.

Als der antike Tyrann Phalaris in der sizilianischen Stadt Agrigento regierte, ließ er ihm verhasste Personen in einen bronzenen Stier sperren; auf einem darunter angezündeten Feuer röstete er sie dann zu Tode – die Schreie der Unglücklichen klangen wie das fürchterliche Brüllen eines Stieres.

In der modernen Form dieser staatlicherseits angeordneten Tragödie hat es sich fürs Erste einmal ausgebrüllt. Über fünf Jahre lang wurden Elias Bierdel und Stefan Schmidt von Italiens Staatsmacht und Justiz geröstet: Zuerst eingesperrt, dann angeklagt, weil sie im Juni 2004 ein havariertes Schlauchboot im Mittelmeer gesichtet, die völlig erschöpfte Besatzung, 37 Afrikaner, gerettet und trotz Widerspruch der Behörde nach Sizilien gebracht haben.

Mit telepathischer Hilfe aus Japan

Seit Mittwoch vergangener Woche 13 Uhr ist der Ofen aus – ob er wieder angezündet wird, die Staatsanwaltschaft in Berufung geht, ist noch ungewiss. In erster Instanz hat das Gericht in Agrigento Bierdel und Schmidt jedenfalls vom Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einwanderung freigesprochen. Applaus brandete nach der Urteilsverkündigung auf, erzählten Zaungäste der Verhandlung.

Zahlreiche Unterstützer der beiden „Cap-Anamur-Helden“ waren nach Sizilien gereist, Kerzen wurden am Vorabend der Urteilsverkündung am Stadtplatz von Agrigento angezündet, beim Präfekten der Stadt hat man vorgesprochen, ein japanischer Shinto-Hohepriester schickte sogar als telepathische Stärkung einen „goldenen Wind“ und in einem Schweizer Frauenkloster wurde für die Angeklagten täglich gebetet.

Himmel und Erde wurden für die Angeklagten in Bewegung gesetzt, sichtbare und unsichtbare Welt mobilisiert. Zurecht, denn beim Prozess gegen den früheren Chef der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur, Elias Bierdel, und den Kapitän des gleichnamigen Schiffes, Stefan Schmidt, ging es um weit mehr als um Einreise-Verordnungen. Die Menschlichkeit schlechthin saß in Agrigento auf der Anklagebank.

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hat die menschenverachtende Kulisse, vor der das Cap-Anamur-Tribunal abgehalten wurde, in der letztwöchigen FURCHE beschrieben: „Seit Menschengedenken war es menschlicher Instinkt, Menschen in Seenot zu retten. Dagegen fahren heute Schiffe in der Annahme, dass Boote in Seenot Migranten und Flüchtlinge an Bord haben, vorbei und ignorieren deren Bitten um Hilfe. Hafenbehörden zwingen sie zurück auf die hohe See und nehmen dabei Notlagen, Gefahren, wenn nicht sogar den Tod von Menschen in Kauf, als ob sie Schiffe mit Giftmüll abweisen würden.“ Und Pillay fordert: „Vor allem aber müssen diejenigen, die keine Hilfe leisten, zur Verantwortung gezogen werden.“

Jahrelang am Pranger standen stattdessen die Helfer, die Lebensretter. Bei Bierdel macht sich deswegen auch nach dem Freispruch noch keine wirkliche Freude breit: „Erleichtert ja, glücklich nein – und erschöpft“, beschreibt er im Telefoninterview mit der FURCHE seinen Gefühlszustand. Der 48-jährige Berliner, der mittlerweile im Burgenland lebt und sich dort in der Flüchtlingsbetreuung engagiert, ist vorsichtig geworden.

Am 12. Juli 2004, als die Cap Anamur in den Hafen von Porto Empedocle eingefahren ist, nach drei Wochen ohne Einfahrtsgenehmigung in einen italienischen oder maltesischen Hafen, nach einer Odyssee mit 37 hungerstreikenden und bis hin zu Selbstmordversuchen verzweifelten Flüchtlingen an Bord – da war Elias Bierdel überglücklich: Legendär das Foto, als er beide Arme wie ein Boxer nach dem K.o.-Sieg über seinen Gegner in die Höhe streckt, ein Megaphon in der Hand: Gerettet! Geschafft! Gewonnen! – Mitnichten, wie sich kurz darauf schon herausstellte.

Zu vorsichtig für neue Siegerpose

Am vergangenen Mittwoch, nach dem Freispruch, wieder aus dem Gerichtssaal draußen, bekam Bierdel von einem Freund erneut ein Megaphon angeboten, wollte man ihm erneut die Siegerpose entlocken. Doch Bierdel lehnte ab, seine Arme blieben unten. Wer weiß, vielleicht heizt jemand schon wieder den nächsten Ofen ein?

Im Sommer 2004 gaben der deutsche Innenminister Otto Schily und sein römischer Amtskollege Beppo Pisanu eine gemeinsame Erklärung zum Fall Cap Anamur ab: „Es geht hier darum, einen gefährlichen Präzedenzfall zu verhindern!“, sagten sie. Heute distanziert sich der einstige RAF-Verteidiger Schily davon, behauptet, die Rettungsaktion immer schon unterstützt zu haben. Bierdel glaubt das nicht: „Von staatlicher Seite hat es in dem Fall ein Drehbuch gegeben, ein Skript“, sagt er, „und das ist in Rom entstanden.“

Und so wird in Italien der Freispruch für Bierdel und Schmidt im Zusammenhang mit der ebenfalls vor Kurzem getroffenen Entscheidung gegen die absolute Immunität vor juristischer Verfolgung von Premier Silvio Berlusconi gesehen. Beide Male habe sich die italienische Justiz gegen die italienische Politik durchgesetzt.

Wurde aber jetzt mit diesem Freispruch für die Cap Anamur ein anderer als von der Politik geplanter Präzedenzfall geschaffen – ein Musterfall, der die Rettung und nicht das Ignorieren von schiffbrüchigen Bootsflüchtlingen zum Maßstab macht? Bierdel ist skeptisch: „Der jahrelange Prozess war Abschreckung genug und diese abschreckende Wirkung hält auch nach dem Freispruch an.“

Im Gericht von Agrigento, das Bierdel und Schmidt freigesprochen hat, sind zudem immer noch sieben tunesische Fischer angeklagt. Auch sie werden vom Staatsanwalt der Schlepperei und des Menschenhandels bezichtigt, weil sie 44 Afrikaner aus Seenot gerettet haben. Mit der Beschlagnahmung ihrer Boote als „Tatwerkzeuge“ wurden sie und ihre Familien zudem ihrer Lebensgrundlage beraubt. „Das schreckt jeden Fischer ab“, sagt Bierdel, „trotz unseres Freispruchs.“

Und das Sterben im Mittelmeer geht weiter. In der Nacht vor der Urteilsverkündung wurden wieder einmal Leichen am Strand bei Agrigento angeschwemmt.

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