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Freude am Contra

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Die Christlichsoziale Union, die im 6. Deutschen Bundestag unvermindert mit 49 Abgeordneten vertreten ist und in Bayern trotz der Einbuße von 1,2 Prozent der Wählerstimmen noch immer ihre absolute Mehrheit behauptet, scheint sich augenblicklich in der neuen Oppositionsrolle besser zurechtzufinden als ihre Schwesterpartei CDU. Und dies nicht nur wegen der bajuwarischen „Freud am Kontragebn“, die wieder einmal Urständ feiert.

Ihre Beschränkung auf ein einziges Bundesland, das sie mit absoluter Mehrheit regiert, sowie die damit verbundene einzige, noch uneingeschränkte Ländervertretung der CDU CSU in Bonn — die im Vergleich zur CDU kleinere und straffer organisierte Partei unter der unbestrittenen Führung von Franz Joseį Strauß, der seine Kanzleranwart- schaft sowieso erst im nächsten Bundestag angemeldet hätte, und schließlich die thematische Konzentration auf die für die jetzige Regierung brisanten Gebiete Außenpolitik und Landwirtschaft ergeben insgesamt eine Konstellation, die sich auf den Oppositionsbänken günstig auswirken und der Partei einen relativ breiten Spielraum zubilligen dürfte.

Freimütige Selbstkritik

Nun stehen Landtagswahlen vor der Tür, bei denen die Wiedererringung der absoluten Mehrheit nicht mehr so sicher sein dürfte wie bei den

Bundestagswahlen. Mitte Oktober hat sich die Junge Union Bayerns auf einer außerordentlichen Landesversammlung energisch in die Kulturpolitik eingeschaltet und in heißen Debatten über den persönlich anwesenden Kultusminister Huber ein Scherbengericht gefällt Mit 89 gegen 78 Stimmen wurde der Minister aufgefordert, unverzüglich entweder sein Amt als Kultusminister oder als Fraktionsvorsitzender zur Verfügung zu stellen. Wenn auch diese Forderung rein rhetorisch blieb, die Landtagsfraktion sich einstimmig zu ihrem Fraktionsvorsitzenden bekannte und Ministerpräsident Goppel sich voll mit der Kulturpolitik Hubers identifizierte, der seine Ämterhäufung erst nach den Landtagswahlen im November 1970 aufgeben will, so zeigt doch dieser Vorfall, daß innerhalb der CSU eine bisher ungewohnte freimütige Diskussion begonnen hat Selbst der „Bayernkurier“, bisher ausschließlich das Sprachrohr des rechten Parteiflügels, mußte sich in letzter Zeit dazu bequemen, in den eigenen Spalten den Widerspruch andersdenkender Parteimitglieder zuzulassen.

Weit energischer freilich als im eigenen Revier beabsichtigt die CSU publizistische Freizügigkeit in parteifremden Massenmedien durchzusetzen. Schon während des Wahlkampfes tauchte immer wieder die Klage über ein Phänomen auf, das die NPD kurzum als „Rotfront der Massenmedien“ bezeichnete. Jetzt

baut die CSU nachdrücklich ihre Positionen in Presse, Radio und Fernsehen aus, und es ist kein Zufall, daß der frühere Postminister Dollinger noch in den letzten Amtstagen unmißverständlich für die Errichtung privater Fernsehanstalten plädierte.

Außenpolitische Akzente setzte die CSU nach den Wahlen mit einigen Auslandsreisen prominenter Mitglieder. Strauß besuchte den Mittleren Westen der USA, wo „Amerika — nach den Worten des Leitartiklers im ,Bayertnkurier', Marcel Hepp — noch am meisten mit sich identisch ist, wo die Kräfte der Regeneration schlummern“. Und es war wohl die dort vertretene Meinung seines Herrn und Meisters, Strauß, wenn Hepp schreibt, daß die beiden Re- gierungskoalitionäre die Bedeutung einer deutschen Unterschrift unter den Atomsperrvertrag nicht überschätzen sollten. Dieser sei im Vergleich zur europäischen Sicherheitskonferenz, einem „Kapitalattentat auf Deutschlands Sicherheit“, nur ein Präludium.

Neben den Reisen von Ministerpräsident Goppel nach Chile und Bolivien und einem Besuch der Jungen Union in Italien, verdient auch der Flug des Staatssekretärs Sackmann nach Athen Beachtung.

Die CSU ist somit dabei, ihr eigenständiges Programm rechts der Mitte tatkräftig und auf möglichst vielen Ebenen auch in der Opposition auszubauen.

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