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Friede kommt von Dorf zu Dorf

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Anarchie herrscht in vielen Dörfern Bosniens. Doch der lange Weg des Friedens von Familie zu Familie, von Dorf zu Dorf, wird beschritten - berichtet Peter Quendlen.

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Anarchie herrscht in vielen Dörfern Bosniens. Doch der lange Weg des Friedens von Familie zu Familie, von Dorf zu Dorf, wird beschritten - berichtet Peter Quendlen.

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Mit dem Friedensabkommen von Dayton wurden in Bosni-.en nun Orte zugänglich, die bislang von der Außenwelt abgeschnitten waren. Kurz vor Weihnachten traf der erste Konvoi mit 100 Tonnen Hilfsgütern, vorwiegend Lebensmittel, von „Nachbar in Not" in Banja Luka ein. Caritas Koordinator der Aktion „Nachbar in Not", der La-vanttaler Peter Quendler, ist heilfroh: „Für mich war das sicherlich ein Weihnachtserlebnis, das hinzubringen, wo der Bischof selbst voll Freude Hand anlegt beim Abladen, weil sie nichts mehr haben." In Banja Luka waren nur wenige Moslems und Kroaten, großteils Serben, „denen es genauso schlecht gegangen ist." Durch den Überbelag von Flüchtlingen aus der Krajina habe es dort große Spannungen gegeben. Die Lieferung diente auch als Zeichen, daß „Nachbar in Not" allen Betroffenen hilft, ohne Ansehen von Beligion und ethnischer Zugehörigkeit.

Ganz zwischen alle Fronten geraten sind die Flüchtlinge aus Velika Kladusa, die von dem mit bosnischen Serben verbündeten Moslemführer Fikret Abdic politisch mißbraucht und praktisch im Stich gelassen wurden. Zwar seien 2.000 von ihnen nach Velika Kladusa zurückgekehrt, aber an die 15.000 kampierten noch immer, obwohl der Winter schon ein-gbrochen ist, im Freien ohne Zelte, alleine auf sich gestellt. Diesen Menschen zu helfen, die bereits dem zweiten Winter im Freien trotzen, ist für Quendler das brennendste Problem.

Peter Quendler ist zwar skeptisch, ob der Vertrag von Dayton mehr als ein Stück Papier ist, machte aber die Erfahrung, daß sein Transport ohne größere Schwierigkeiten, ohne Wegezölle, nach Banja Luka gekommen ist. „Es ist nur der Weg weit und die Straßen sind schlecht", übt er sich im Understatement. Über Ungarn ging es nach Belgrad und von dort erst über den serbischen Korridor nach Banja Luka. Die Zusammenarbeit mit dem serbischen Roten Kreuz habe hervorragend funktioniert. In den Dörfern herrsche Anarchie, niemand weiß, wer das Sagen hat und wie sich die Kriegerfürsten verhalten werden. Aber bedrohliche Zwischenfälle habe es keine gegeben. Der Friede sei nur von Dorf zu Dorf, von Familie zu Familie möglich, und, so Quendler, „das ist ein langer Weg". Diesen Weg verbessert die Caritas durch ihr Aufbauhilfsprogramm, das schon lange vor dem Friedensabkommen begonnen hat. Die Aktion „Dach über dem Kopf" läuft schon über drei Jahre. Quendler warnt davor, das Rad neu zu erfinden: „Wir haben ein bewährtes System, das schon seit drei Jahren funktioniert. Man braucht nur fortzusetzen, was wir getan haben." Bereits 500 Familien in Zentralbosnien wurde geholfen, ihre Häuser zu reparieren. Helfer von außen werden dazu allerdings nicht benötigt, denn „es gibt so viele Leute, die arbeitslos sind, die ihre Häuser selbst erbaut haben, die Gastarbeiter in Deutschland und in Österreich waren und handwerklich perfekt sind."

Quendler setzt ganz auf die Hilfe zur Selbsthilfe: „Der Transport nach Bosnien ist wahnsinnig teuer. Die Materalien, die wir für die Reparaturen der Häuser brauchen, gibt es vor Ort. Wir haben auch die Hilfsmittel, um die bodenständige Kleinindustrie in Bewegung zu setzen. Es arbeitet wieder die Fensterproduktion, die Türenproduktion, das Sägewerk arbeitet für Bauholz. Wir haben sogar eine Textilfa-bnk."

Peter Quendler legt Wert darauf, daß beim Wiederaufbau die Volksgruppen zusammenarbeiten. In den Dörfern Lasva und Busovaca wurde je ein Vertrag zwischen der moslemischen und der kroatischen Bevölkerung abgeschlossen, daß sich die einst verfeindeten Volksgruppen sich beim Aufbau gegenseitig helfen. In Vitez wird eine Molkerei eingerichtet mit Maschinen, die in Österreich nicht mehr gebraucht werden. Auch hier finden die verschiedenen Volksgruppen wieder zueinander.

Quendler sieht für Österreich die Hauptaufgabe in der Hilfe beim Aufbau des Klein- und Mittelgewerbe und appelliert an die Bundesregierung, gemeinsam mit den privaten Hilfsorganisationen entsprechende Schwerpunkte, sei es in einer bestimmten Region oder in einer bestimmten Tätigkeit, zu setzen. Mit den zugesagten elf Millionen Dollar Beteiligung an der internationalen Aufbauhilfe für Bosnien wäre Österreich bezogen auf die Bevölkerungszahl zwar der größte Geber, doch Peter Quendler hat noch keine Informationen darüber, was mit diesem Geld geschehen soll.

Von der schnellen Rückführung von bosnischen Flüchtlingen in Österreich hält Peter Quendler nichts, denn „das geht auch nicht, bis auf wenige vielleicht". Stattdessen soll die Zeit für die Vorbereitung der Wiederaufbauhilfe im Frühjahr und im Sommer genutzt werden. Es soll erst einmal erhoben werden, wer will freiwillig zurückkehren, kann er /sie überhaupt zurückkehren, ist die Wohnung zerstört, ist die Arbeitsstätte zerstört? Mit Rückkehrwilligen solle dann eine Vereinbarung über die Wiederaufbauhilfe getroffen werden.

Peter Quendler jedenfalls hat sich über Weihnachten zurückgezogen und neue Energien für die Herausforderungen im Frühjahr getankt. Bleibt nur zu hoffen, daß auch von Seiten der hoffentlich bald arbeitenden neuen Regierung kräftige Impulse für den Wiederaufbau in Bosnien kommen.

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