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Fünf Minuten vor zwölf

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Im Nahen Osten folgt auf die scheinbar unaufhaltsame militärische Eskalation der letzten Monate jetzt möglicherweise ein neuer internationaler Schlichtungsversuch. In Beirut und anderen arabischen Hauptstädten erregt ein bisher nur in seinen Grundzügen bekanntgewordener angeblicher französischer Friedensplan zunehmendes Aufsehen. Ihm zufolge soll der israelische Truppenabzug gekoppelt werden an die bindende Verpflichtung für die arabischen Verlierer des Sechstagekrieges zur vertraglichen Beendigung des Kriegszustandes. Alle anderen strittigen Fragen will man Zug um Zug regeln. Kenner der Verhältnisse geben einem solchen Plan gegenwärtig größere Chancen als noch vor ein paar Wochen. Sowohl der ägyptische Präsident Abdel Nasser als auch der Palästinenserführer Jassir Arafat führten in letzter Zeit eine bemerkenswert gedämpfte Sprache. In Kairo verlautete, der Staatschef habe direkte Verhandlungen mit dem Gegner nie prinzipiell ausgeschlossen, sondern sie lediglich vom israelischen Truppenrückzug abhängig gemacht. Erst kurz vorher hatte ein offizieller Sprecher der „El-Fa-tach“ erklärt, die Palästinenser seien nicht mehr grundsätzlich gegen eine politische Lösung. Diese Kompromißbereitschaft dürfte auf die Verhandlungen Arafats in Moskau und die Gespräche des stellvertretenden sowjetischen Außenministers Sergei Winogradow in Kairo zurückgehen. Kurz nach diesen Begegnungen hatte der amtliche Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, Leonid Samjatin, dabei bemerkenswerterweise assistiert von dem aus einer jüdischen Familie stammenden Vizeminister Wenjamin Djumschitz, öffentlich festgestellt, der Kreml sei für die fortgesetzte Existenz Israels in friedlichem Nebeneinander mit seinen Nachbarn. Wie ein Echo darauf wirkte die Erklärung des französischen Außenministers Maurice Schumann, keiner der „großen Vier“ sei länger der Ansicht, Israel solle einen bedingungslosen Rückzug antreten.

Diese Ubereinstimmung signalisiert nicht nur die bislang bedeutsamste Einigung bei den New Yorker Viermächtebesprechungen über den Nahen Osten, sondern macht den Arabern zum erstenmal seit dem Junikrieg 1967 wieder unüberhörbar klar, daß keine ausländische Macht ihnen bei der Vernichtung des zionistischen Staates assistieren wird. Es ist offensichtlich, daß dies auch schon Arafat in Moskau und Abdel Nasser in Kairo deutlich gemacht worden sein dürfte. Diese Entwicklung erklärt den kürzlich und, wie es zunächst schien, ganz unmotiviert ausgesprochenen Optimismus des UN-Generalsekretärs U Thant hinsichtlich gewisser Friedensaussichten.

In Nahost spricht man jetzt von

N einem „dreigleisigen Vorgehen“ der Großmächte und der Weltorganisation. Die Sowjetunion macht ihren arabischen Klienten und den palästinensischen Freischärlern die Grenzen ihrer Engagementswilligkeit klar. Die USA versuchen, Israel zu gewissen Zugeständnissen zu veranlassen. U Thant seinerseits dürfte dieser „konzertierten Aktion“ dadurch assistieren, daß er den früheren UN-Beauftragten Jarring, der sich gegenwärtig in New York auf- t hält, zur Wiederaufnahme seiner“ Vermittlungsbemühungen überredet. Der sohwedliscfhe Botschafter beim Kreml machte das bekanntlich abhängig von neuen übereinstimmenden Direktiven der vier Großmächte. \ Die sich nahezu wörtlich deckenden Erklärungen des Moskauer Sprechers Samjatin und des Pariser Außenministers Schumann lassen solche Direktiven in den Bereich des Möglichen rücken.

Wie die wieder zunehmende Aktivität der GuerMeros im Südlibanon und die rasch eskalierenden israelischen Gegenschläge gegen das wehrlose Nachbarland zeigen, ist es im Nahen Osten wieder einmal „fünf Minuten vor zwölf“. Scheitert ein neuer Vermittlungsversuch, heißt die Alternative Krieg. In Beirut ist man sich dabei völlig klar über die Motive des plötzlichen sowjetischen Einlenkens. Je mehr die Initiative im arabisch-israelischen Konflikt von den moskautreuen Araberstaaten auf die Palästinakämpfer übergeht, um so geringer wird der Spielraum für die Einflußnahme des Kremls. Wie sehr er schon zusammengeschmolzen ist, beweist nichts mehr als die unmittelbar bevorstehende Reise des „El-Fatach“-Chefs nach Peking. Die Furcht vor den Ergebnissen eines Arrangements Arafat-Mao erklärt vielleicht am besten die plötzliche Übereinstimmung der „großen Vier“.

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