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Für Europa wählen! Wozu?

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Etwas angestrengt, um nicht zu sagen verkrampft, wirkt der Wahlkampf der Parteien fürs Europäische Parlament, nachdem schon die Auswahl der Kanditaten da und dort nicht ganz so glatt vor sich gegangen war. In Wien steht die Europawahl sowieso im Schatten der Gemeindewahlen, da sind die Stimmbürger wohl leichter zum Urnengang zu bewegen als in den Bundesländern. Vor allem, weil wohl kaum alle Wahlberechtigten wissen, wozu die Sache gut ist, und vielleicht dadurch in zusätzliche Unsicherheit geraten, daß die Parteien ja nicht, wie sonst bei überlokalen Wahlen, klare Wahlprogramme vorgelgt haben, von der Präsentation eines Bewerbers um die politische Führung (als Bundeskanzler oder Landeshauptmann) ganz zu schweigen.

Steht sich's also wirklich dafür, die Europawahl so ernst zu nehmen, wie die Parteien es uns nahelegen - wenn sie etwa die Wählerinnen und Wähler mehr oder weniger flehentlich beschwören, die Sache weder zu ignorieren noch zur Denkzettelaktion umzufunktionieren?

Etwas anderes als die sonstigen Parlamentswahlen sind die nun bevorstehenden schon. Die Europäische Union ist kein Staat, sondern eine Staatengemeinschaft; daher spielt in ihrem Organsystem der „Bat" nach wie vor die Hauptrolle; in ihm reden und raufen sich die Vertreter der Begierungen zusammen, zwar nach Maßgabe der Vertragsbestimmungen, die sozusagen die Verfassung der Union bilden und sowohl Ziele der Integration wie auch Verfahrensregeln festlegen. Die Brüsseler Kommission hat die Aufgabe, ausgewogene und daher allen Beteiligten zumutbare Beschluß vorlagen zu erarbeiten; je nach dem Thema verlangt die Verfassung einstimmige oder mehrheitliche Zustimmung der Staaten.

In der Frühzeit der seinerzeitigen EWG war das in Luxemburg tagende Parlament fast nur ein Dekorationsstück: es arbeitete kluge Studien und Berichte zu europapolitischen Fragen aus, nahm zu den von Kommission und Bat beabsichtigten Maßnahmen Stellung, aber niemand war verpflichtet, sich an diese Stellungnahmen zu halten.

Damals hieß das Parlament noch „GemeinsämeVersamm-lung" und setzte sich aus Delegierten der mitgliedstaatlichen Volksvertretungen zusammen. Daß es nicht gänzlich einflußlos war, beruhte darauf, daß diese auch zu Hause, in den heimischen Fraktionen, für die in Luxemburg entwickelten Ideen Stimmung machen und für die europäische Perspektive gewinnen konnten. Für die Arbeitsweise des Parlaments war es übrigens von Anfang an bedeutsam, daß es sich in nationalübergreifende Fraktionen gliederte - mit der Folge, daß die Aufmerksamkeit mit Vorrang der sachlich politischen „Wichtigkeit" und „Bichtigkeit" eines Anliegens o"der einer Problemlösung galt, und nicht so sehr einzelstaatlichen Sonderwünschen.

Erst seit 1979 werden die Abgeordneten direkt gewählt; Österreich durfte für eine Übergangszeit, so wie früher alle Mitgliedstaaten, eine Delegation von nationalen Abgeordneten entsenden; nun aber holt es die Direktwahl nach.

Das früher geläufige Wort von der Ohnmacht des Parlaments trifft aber längst nicht mehr zu. Die Abgeordneten haben ein erhebliches Mitbestimmungsrecht in Budgetangelegenheiten; Assoziationsund Erweiterungsvereinbarungen können überhaupt nur mit Zustimmung rechtskräftig werden; die Kommission ist vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängig; vor allem aber gibt es ein breites Spektrum von Politikbereichen, für das der EG-Vertrag die „Mitentscheidung" des Parlaments vorsieht, vor allem dort, wo die Batsentscheidung nicht einstimmig sein muß. In den entsprechenden Angelegenheiten - bisher vor allem solche der Ausgestaltung des Rinnenmarktes - muß sich der Rat bemühen, eine parlamentarische Mehrheit für die vorgesehene Maßnahme zu gewinnen; zur Remühung um akzeptable Kompromisse gibt es einen „Vermittlungsausschuß" nach dem Vorbild des deutschen Grundgesetzes (dort ist er aus Rundestagsabgeordneten und eben so vielen Rundesratsvertretern, also Abgesandten der Länder, zusammengesetzt). So heißen entsprechende Rechtsakte heute bereits „Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates". Viele Mitgliedstaaten gehen darauf aus, den Anwendungsbereich dieses Mitent-

Scheidungsverfahrens auszuweiten, und das Parlament tritt, ebenso wie die Kommission, ohnehin dafür ein, und damit für eine weitere Stärkung des Unionsparlaments. Vor allem die Briten sträuben sich gegen diese Beform.

Die Bedeutung des Parlaments beruht aber nicht nur auf seinen „verfassungsmäßigen" Entscheidungsbefugnissen. Es hat sich immer wieder als politischer Impulsgeber betätigt - schon in der Vergangenheit wären wichtige Vertragsreformen ohne seine Initiative und Kampagnen nicht zustandegekommen. In seinen Diskussionen kristallisiert sich heraus, was an europapolitischen Vorstellungen und Projekten Zukunft hat und die Zustimmung der Bürger finden kann, manchmal in deutlichem Kontrast zu den Standpunkten der Bürokratien, der gemeinschafltichen und der mitgliedstaatlichen (so hat zum Beispiel das Parlament in Umweltfragen seit langem eine deutlich fortschrittliche Position eingenommen und in diesem Sinn versucht, Druck auf die anderen Entscheidungsorgane auszuüben).

Schon aus diesem Grund ist seine Zusammensetzung alles andere als gleichgültig. Gerade jetzt freilich, mitten in der Phase einer abermaligen Vertragsreform, ist es aber von besonderer Bedeutung, ob und wie die österreichischen Bürgerinnen und Bürger sich als Wähler engagieren.

Erstens stärkt es die österreichische Position, wenn deutlich wird, daß das Land den Verhandlern bei der Be-formkonferenz Bückendeckung gibt. Zweitens bedeutet ein starkes und konstruktives Votum ein Zeichen zugunsten der Demokratisierung der Union: AVenn die Bürger der AVahl fernbleiben oder ihre Stimme eher abseitigen Kanditaten geben, stärkt das nicht gerade die Neigung, die Befugnisse des Parlaments zu erweitern.

Zugegeben, das sind andere Gesichtspunkte als jene, unter denen man seine Stimme bei der Nationalratswahl abgibt. In einem parlamentarisch-demokratisch verfaßten Staat entscheiden die Parlamentswähler mehr oder weniger direkt darüber, wie die Begie-rung zusammengesetzt ist (im Zweiparteiensystem direkt, im A'ielparteiensystem kommt es erst zu Koalitionsverhandlungen). So verhält es sich freilich mit den Europa-Parlaments wählen nicht - und insofern ist das AVählervotum, so wie die EU jetzt verfaßt ist, nur von „relativer" Bedeutung. Aber es war der große österreichische Nationalökonom Erich Schumpeter, der geagt hat, es sei ein Merkmal von Kultur, wenn man sich auch dann ernsthaft für eine Sache engagiert, wenn man ihre Belati-vität erkannt hat.

Der Autor ist

Professor für Politik wissen -schaft und Europaexperte (siehe auch Buchbesprechung auf Seite 20).

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