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Gedanken eines Nationalen

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„Die Organisationsform und -art des modernen, demokratischen Staates mit seinen politischen Parteien läßt für Grundsätze, umfassende Leitbilder und Prinzipien keinen Raum mehr — lediglich Jnteressen-tengruppen' mit kurzfristigen, rein materiellen Zielsetzungen haben im Spannungsfeld der Politik ihre Aufgaben zu erfüllen.“ So oder so ähnlich lauten die Kommentare, die sich mit dem Problem der „Entideologi-sierung“ der Parteien beschäftigen.

Bilanzen, die anläßlich des 20. Jahrestages der österreichischen Unabhängigkeit gezogen wurden, scheinen diese Meinungen nur zu bestätigen. Die Kriegsschäden wurden weitgehend beseitigt, Häuser, Straßen und Versorgungseinrichtungen neu geschaffen, die äußeren Kennzeichen einer aufstrebenden Wirtschaft, wie Fahrzeuge, Fernsehapparate und Kühlschränke, in nicht vorhergesehenem Ausmaß vermehrt, die soziale Sicherheit auf vielen Gebieten für große Teile unserer Bevölkerung wesentlich erhöht. Das sind Tatsachen, die wir alle miterlebt haben und die dazu beitragen, einen Lebensstandard zu schaffen, der für viele bereits zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Gibt es aber nicht auch andere Entwicklungen, die uns bei genauer Prüfung daran hindern, mit ungeteilter Freude und voll des Lobes das verflossene Jahrzehnt zu überschauen? Gibt es nicht auch noch andere Gradmesser für Erfolg oder Mißerfolg?

Die Stiefkinder

Da scheinen Schulberichte auf, in denen festgehalten wird, daß in steigendem Ausmaß die vorgesehenen Lehrziele nicht erreicht werden konnten, da weisen Budgetziffern darauf hin, daß der Kultursektor in Österreich so schlecht bedacht ist, daß wir im Vergleich mit anderen europäischen Staaten fast an letzter Stelle rangieren; da hören wir das Klagelied unserer Hochschulen, daß Wissenschaft und Forschung einem Verkümmerungsprozeß ausgesetzt sind, der über kurz oder lang die ernstesten Folgen für uns alle bringen kann; da müssen wir feststellen, daß bestimmte Bevölkerungsgruppen von der allgemeinen positiven Entwicklung weitgehend ausgeschlossen sind und daß bestimmte sachliche Probleme in Österreich keine Lösung finden können. So beispielsweise die Fragenkomplexe Wohnbau, Kapital markt, Bundesheer, europäische Integration, Landwirtschaft, Steuerreform, Verwaltungsvereinfachung und vieles andere mehr.

Versucht man nun zu ergründen, warum den sehr beachtlichen Leistungen auf der einen Seite ein ebenso zu beachtendes Versagen auf der anderen Seite gegenübersteht, so kommt man — etwas vereinfachend — wohl zu dem Ergebnis, daß Augenblicksprobleme, die momentan eine hohe Aktualität besitzen, eher gelöst werden konnten, als solche, deren Wichtigkeit zwar anerkannt wird, die aber erst in späterer Zukunft fühlbare oder sichtbare Erfolge bringen können. Die Bereitschaft, auf Annehmlichkeiten oder Vorteile im Augenblick zu verzichten, um damit künftige Entwicklungen zu sichern, ist nicht gegeben, ebensowenig aber die Bereitschaft der verantwortlichen staatlichen Stellen, in diesem Sinn aufklärend zu wirken und verantwortlich zu handeln.

Geistiger Wettbewerb

Bedenkt man weiter, daß Österreich an der Nahtstelle zwischen Freiheit und Unfreiheit liegt, so wird klar, daß wir als „Insel der Unbeteiligten“ nicht bestehen können, sondern auch die Herausforderung des weltweiten geistigen Ringens annehmen müssen.

Um dabei zu bestehen, wird die materielle Interessengemeinschaft nicht genügen, werden neben Produktionsprogrammen auch geistige Programme und Entwicklungsziele, Grundsätze und Leitbilder gesetzt werden müssen.

Natürlich wird, kann und darf es nicht nur ein „Rezept“, eine uniforme Aussage für uns alle geben. Aus allen Lebensbereichen, aus allen Gemeinschaften — mögen sie größer oder kleiner sein — werden

Mosaiksteine der Uberzeugungen, Ideen und Anschauungen geliefert.

So auch aus dem freiheitlich-nationalen Lager, das die Voraussetzungen eines solchen geistigen Wettbewerbes — Objektivität, Diskussion und Toleranz — nicht nur jedem einräumt, sondern auch für sich beansprucht.

Die wahre Ursache

Diese Voraussetzungen sind aber zweifelsfrei dort außer acht gelassen, wo mit einer Handbewegung nationale Ideen als „Auslassungen ewig

Gestriger“ abgetan werden. Richtig ist, daß an der Wiege nationaler Politik die Forderung nach dem Nationalstaat stand, daß im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn von der deutschen Volkstumsgruppe der „Traum vom Reich“ geträumt wurde. Warum? Weil in einem solchen Staat die Erhaltung der völkischen Eigenart gesichert erschien — weil er die einzige, damals vorstellbare Organisationsform zur Erhaltung der völkischen Substanz war. Damit wird aber auch klar, daß immer die Auswirkung (Forderung nach dem Nationalstaat) für die Ursache nationaler Politik gehalten wurde und die einzig wahre Ursache: Erhaltung der völkischen Substanz, dabei in Vergessenheit geriet. Bejaht man jedoch das bisher Dargelegte, so muß man auch die daraus abgeleitete Folgerung bejahen: Die Herbeiführung eines Nationalstaates ist heute kein geeignetes Mittel mehr, um die Erhaltung, den Bestand und die Entwicklung des eigenen Volkstums zu sichern. für Sie und Ihre Freunde

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Die Größenordnungen der Maoht und die Größenordnungen der technischen Entwicklung führen auch in Europa zwangsläufig zur größeren

Gemeinschaft — zu den „Vereinigten Staaten Europas“.

Es gibt für Europa gar keine Wahl! Entweder kommt es auf freiwilliger Basis zum europäischen Staatenbund und damit zu einer gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Potenz, die es überhaupt erst möglich macht, an der technischen Entwicklung aktiv Anteil zu nehmen (kein europäischer Staat ist für sich allein in der Lage, die finanziellen Mittel für Atomforschung und Weltraumflug bereitzustellen), oder es bleibt unfreiwillig in der Rolle des Satelliten von West oder Ost. Der „moderne Sklave“ wird dadurch gekennzeichnet, daß er an der technischen Entwicklung nur mehr aus zweiter Hand Anteil nimmt und nur mehr die Hilfskräfte für Forschung und Fortschritt liefert.

Das europäische Konzert

Ja, so könnte man fragen, gibt man mit dieser Erkenntnis nicht überhaupt den nationalen Gedanken auf? Was soll er, wenn das Ziel Europa heißt? Gerade diese Frage hat Bernt von Heiseler so überzeugend beantwortet, daß ihm hier das Wort gegeben sei: „Zugegeben, daß es in einem vereinigten Europa nicht mehr lebenswichtig sein müßte, wo eine Landesgrenze — die dann nur mehr Verwaltungsgrenze wäre — verläuft. Aber nur dann ist das nicht lebenswichtig, wenn links wie rechts von diesen Grenzen wirklich die Macht so verwaltet wird, daß das andere Volkstum, und auch das andere Bekenntnis, geschützt bleibt!

Das heißt: daß der Bürger Europas sein Recht gewährleistet weiß — und im Notfall den Richter findet, der ihm dazu verhilft —, das Recht, seine Kinder in diejenige sprachliche und konfessionelle Schule zu schik-ken, die er sich für sie wünscht.“ Und weiter schreibt Heiseler: „ ,Das europäische Konzert.' Ich muß auf den altbekannten, beispielhaften Gedanken zurückkommen; die Aufgabe, die uns in einem vereinigten Europa, darüber hinaus in einem künftigen Weltstaat gestellt wird, läßt sich nicht glücklicher als durch dieses Bild bezeichnen. Ein Konzert bedeutet: Zusammenspiel. Das Zusammenspiel entsteht, indem jedes Instrument seine Stimme rein zu Gehör bringt. Keines hat sich einem anderen zu unterwerfen, aber jedes hat sich einzuordnen. Jedem ist seine Zeit zugewiesen, wo es führt, wo es nur begleitet, wo es schweigt. Und indem das einzelne Instrument spricht, will man es gerade in seiner Eigenheit hören, man will hören, wie es sich zur Ganzheit verhält und was es zu ihr beiträgt. Es wird in seiner Wesenhaftigkeit zugleich bestätigt — und begrenzt.“

Im Wandel der Zeiten

Uberträgt man dieses Beispiel auf die kommende Entwicklung, so erkennt man: Europa wird nicht als völkisches Mischgut zweifelhaften Wertes, sondern aus den Bausteinen der europäischen Völkerschaften entstehen! Kein Volkstum wird abgekapselt durch Schutzbestimmungen, ausgeschlossen vom Leistungswettbewerb der Völker seinen Bestand gesichert sehen — sondern nur im engsten Kontakt mit anderen Völkerschaften, in Achtung und Anerkennung anderer Eigenarten, im echten und friedlichen Wettbewerb des Besseren mit dem Guten! Wie alle Gedanken, Meinungen und politischen Ideen war auch die „nationale Politik“ den Wandlungen der Zeiten unterworfen. Sie kann aber ihrer Aufgabe nur gerecht werden, ihren positiven Beitrag zur Entwicklung unseres österreichischen Staates nur dann leisten, wenn sie mit ihrer Problemstellung, mit ihrer Aussage die Fragen beantwortet, die unsere Zeit und unsere Zukunft stellen.

Die Antwort lautet: Erhaltung der Volkssubstanz, Mitwirkung bei der Schaffung der Vereinigten Staaten Europas, Einsatz aller Talente und Kräfte, um für den geistigen Wettbewerb besser gerüstet zu sein — also wesentlich verstärkte und verbesserte Ausbildung, um aktiv den Weg von der industriellen Massengesellschaft zur freiheitlichen Bildungsgesellschaft gehen zu können.

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