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Gefährliche Experimente

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Österreich erlebt gegenwärtig wieder einmal eine ernste Zuspitzung der innenpolitischen Lage außerhalb von Wah-lzeiten. In den letzten Jahren war es schon mehrmals so, daß der geängstigte Bürger sich geradezu die „normalen“, geordneten Verhältnisse einer Wahlkampfzeit gewünscht hätte. In einem offenen Wahlkampf sind die Positionen und die Ziele klar. Das Ende ist so oder so in Sicht. Wie war es aber zur Zeit der sogenannten Habsburg-Krise? Was waren deren Gründe? Wann ging sie oder besser geht sie zu Ende? Und was ist mit den heutigen, jüngsten Kampfparolen?

Die offizielle Parteipropaganda derer, die diese Kampfparolen jeweils nach der Tageskonstellation ausgaben, weiß auf alle diese Fragen gewiß eine passende Antwort. Sie kann nur nicht annehmen, daß man ihr außerhalb des Kreises der naivsten Parteigänger auch glaubt. Sie rechnet also damit, daß man sie durchschaut. Sie bezieht in ihre Erfolgsberechnung das Demoralisiertsein, die Verwirrtheit und die Angstgefühle vieler Staatsbürger mit ein, mit allen möglichen Folgen eines solchen Verhaltens. Daß Experimente mit der staatsbürgerlichen Moral und der Angst gefährlich sind und sich niemals bezahlt machen können — es sei denn, für eine Sehr kurze Frist —, liegt auf der Hand.

Niemand sollte die Inneren Schwierigkeiten übersehen, mit denen die Sozialistische Partei in Österreich infolge der bereits zwanzigjährigen Dauer der Koalition zu kämpfen hat. Diese Koalition ist aus mehreren Gründen für die Sozialistische Partei schwerer zu ertragen als für die Volkspartei: die Rolle des ewigen Zweiten widerstrebt dem Presitigebedürfnis einer Partei, die, in ihren marxistischen Wurzeln, sozusagen per definitionem eine siegreiche -ist. Daß die Diskrepanz zwischen Ideologie und Wirklichkeit gerade infolge der zwanzig Jahre, di man in eine Siegesserie umdeuten muß, Konfliktstoffe in sich birgt, ist leicht einzusehen. Gerade deshalb hat es vor dem 23. Mai dieses Jahres nicht an unparteiischen Stimmen gefehlt, die den Sieg des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten gewünscht haben, denn sonst, meinten sie, triebe der Verlust eines wichtigen politischen Besitzstandes dl SPÖ in die Verzweiflung ...

Der Fall ist nicht eingetreten. Und Optimisten rechneten nach dem 23. Mai bereits mit der Aufnahme einer Regierungstätigkeit im Sinne der Regierungserklärung beziehungsweise des Arbeitsübereinkommens der beiden Koalitionsparteien

aus dem Jahre 1963, In dem bekanntlich auch mehrere fix terminisierte Verpflichtungen enthalten sind; daß die Termine bereits ins Ungewisse verlängert werden mußten, enthebt niemanden von seiner Verpflichtung, die Dinge zu einem guten Ende zu führen. Es gibt keine wichtigere moralische Legitimation für eine Partei, Regierungspartei zu sein, als diese.

Die Zeit ist überdies sehr knapp. Selbst wenn man annimmt, daß die nächsten Nationalratswahlen nicht vorverlegt, daß sie also erst im Herbst kommenden Jahres stattfinden werden, muß man bis dorthin mit zwei naturgemäß heißen Budgetberatungen rechnen, während deren Dauer jede andere konzeptive Re-gierungs- und gesetzgeberische Tätigkeit ausbleibt. Das bedeutet für das laufende Jahr kaum mehr als einige wenige Wochen zunächst bis zu den Sommerferien als sonstige Arbeitszeit; während dieser Zeit müßten unter anderem folgende alte, nichtsdestoweniger aber wichtige Streitfragen durchdiskutiert, entschieden und schließlich in Form von Gesetzen verabschiedet werden: Wohnungsfrage, wirtschaftliche

Wachstumsgesetze, Sanierung der verstaatlichten Industrie, Rundfunkreform auf Grund des Volksbegehrens. Es gibt auch noch genug weitere offene Probleme, darunter auch solche, auf deren dringende Lösung sich insbesondere die Sozialistische Partei in einem früheren Zeitpunkt laut und vernehmlich festgelegt hat. Es ist undenkbar, daß man es wagt, neuerlich vor die Wähler zu treten, ohne daß zumindest ein Teil dieses lautstark verkündeten und auch ansehnlichen Programms zu Ende geführt worden wäre.

Was aber sehen und hören die Wähler heute? Es wird ihnen erklärt, daß der Sieg des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten ein absoluter Erfolg der österreichischen Republikaner und Demokraten war. Man deutet damit an, daß ein Erfolg Dr. Gorbachs der Erfolg der Anti-republikaner und Antidemokraten gewesen wäre. Diese haltlose Behauptung bildet Unterlage und Ausgangspunkt einer neuen Aktion des Parteivorsitzenden der SPÖ, die vielleicht nur als taktisches Manöver gedacht ist. Schließlich steht der Parteitag vor der Tür. Es spricht sich daher über Interne Probleme der Partei etwa auf dem personalpoliti-schen Sektor — siehe den Fall Olah und noch andere Vorkommnisse aus der jüngsten Vergangenheit — zweifellos leichter, wenn unterdessen Gefahr im Verzug ist...

In diesem Zusammenhang wurde die Vermutung ausgesprochen, Pittermann bereite eine innenpolitische Atmosphäre vor, an der eine Aktionsgemeinschaft zwischen Sozialisten und Kommunisten auch auf hoher Ebene möglich wäre. Diese „Volksfront“, eine in Österreich noch nicht gekannte und nicht einmal erwogene Verwirklichung allgemein bekannter kommunistischer Konzeptionen, hätte dann zur Folge, daß der nächste Bundeskanzler Dr. Pittermann oder ein von ihm nominierter Parteigenosse wäre.

Dieser Nervenkrieg — denn Im Augenblick handelt es sich um nichts anderes — wird nun durch eine zweite Aktion ergänzt, die, auf einer anderen Ebene und scheinbar von geringerer Brisanz, zunächst ebenfalls nur einem taktischen Ziel dienen mag. Der Vizekanzler hat im Ministerrat Berufungen auf Profes-

sorenpo9ten, die von den betreffenden Fakultäten der Wiener beziehungsweise der Innsbrucker Universität vorgeschlagen wurden, vereitelt, und zwar mit Begründungen, die man in zuständigen Kreisen als unsachlich und willkürlich herangeholt bezeichnet hat. Die Stellungnahmen des Vizekanzlers haben zahlreiche Proteste ausgelöst, in denen darauf hingewiesen wird, daß Pittermann mit seinem Einspruch gegen Profes-sorenernennumgen die durch die Verfassung garantierte und im entsprechenden Hochschulgesetz verankerte Autonomie der Hochschulen verletze. Wer Gelegenheit hat, unter Professoren oder Studenten herumzuhören, wird bestätigen, daß die Reaktion auf die Aktionen Pitter-manns eine äußerst bittere ist.

Beide Fronten, die imaginäre und trotzdem drohende Front zwischen „Rechtsextremisten“ und „Republikaner und Demokraten“, aber auch die ebenso unwirkliche und ebenso gefährlich drohende Front zwischen Sozialisten und Hochschulen, sind

gegenwärtig in starker Bewegung; eine Zukunftsprognose zu erstellen, zumal vor dem sozialistischen Parteitag, ist unmöglich. Aber wenn man auch annimmt — und man nimmt es gerne an —, daß es sich bei diesen Bewegungen nur um ein taktisches, auf Nahziele gerichtetes Spiel handelt, selbst dann sind es äußerst gefährliche Experimente, von denen dringend abzuraten wäre. Sie erregen Unruhe, verhindern jedes vernünftige Zusammenwirken der dazu berufenen, verpflichteten und dafür verantwortlichen Kräfte in und außerhalb der Regierung und des Parlaments; sie werten Grundsätze ab, erheben den Machiavel-lismus zum nachahmenswerten Prinzip, erschüttern das Vertrauen gerade der besten in jede demokratische Politik und untergraben damit das, was sie zu schützen vorgeben. Hingegen würde ein Leistungswettbewerb der Parteien alle Gefahren bannen, und er hätte alle Vorteile für sich. Warum gibt man nicht dazu endlich das Startzeichen?

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