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Gegen rachegierigen Nationalismus

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Gewaltsam und unbarmherzig wurde Kroatien nach dem i. Weltkrieg dem Balkan einverleibt. Heute geht es den schweren Weg nach Europa.

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Gewaltsam und unbarmherzig wurde Kroatien nach dem i. Weltkrieg dem Balkan einverleibt. Heute geht es den schweren Weg nach Europa.

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Von seinem europäischen Kern wurde Kroatien im Jahre 1919 gewaltsam weggerissen und durch den Willen Londons, Paris und Belgrads dem Balkan einverleibt. Das bedeutete eine Umleitung des gesamten Volkslebens auf die Paradigmen eines militaristischen und auf Siegermythen basierenden Staates. Dadurch bekamen nicht nur Markt und Wirtschaft, sondern auch Kultur und politische Ideen eine andere, den kroatischen europäischen Traditionen entgegengesetzte Richtung. Im Volk verbreitete sich damals Kleinmütigkeit und das Gefühl tiefen Zweifels. Es war nicht leicht, den Weg zu finden, um die Auslöschung des europäischen Geistes zu verhindern, und Mittel zur Sicherung seines Fortbestandes zu entdecken, die Jacques Maritain die Gefühls- und Moralgemeinschaft eines Volkes nennt. Es ist schwer zu sagen, warum man die verzweifelten Versuche mancher kroatischer Gruppen nicht verstehen kann, auf irgendeine Art und Weise aus dem jugoslawischen Balkanismus herauszukommen und in die Gemeinschaft der europäischen Völker zurückzukehren. Als der europäische Faschismus und der Nationalsozialismus erschienen, wirkten die Dämonen der Rache und des Todes auch in Kroatien. Viele ungebildete Kroaten dachten daran, ein solches Europa sei besser als die balkanische Identität.

Die kommunistische Periode kon-te ebenfalls nicht die europäische Identität Kroatiens vernichten. An Christentum, europäische Tradition und die Idee der Freiheit und Unabhängigkeit tief gebunden, leisteten die Kroaten moralischen und intellektuellen Widerstand gegen die Ent-europäisierung. Die Vernichtung der Bücher, die Auslöschung der Überlieferung, die Verfolgung der Intellektuellen, Patrioten und Priester, die Herrschaft von Unrecht und Angst sowie politische und ideologische Gewalt waren der Weg, um eine antieuropäische Wertmatrize herzustellen.

Rückkehr ins europäische Quellgebiet

Je brutaler und öfter diese Erscheinungen hervortraten, desto stärker wirkte im Volk die Hoffnung auf Bückkehr ins eigene europäische Quellgebiet. Keiner der westlichen Theoretiker, Kenner und Prognostiker ahnte, daß der Kommunismus so schnell und gründlich durch die Massenvolksbewegung zerfallen wird. Das ist nicht schwierig zu erklären. Der gewaltige Wunsch der mittel-und osteuropäischen Völker nach Freiheit und europäischer Lebensart hat einfach, wie eine Explosion des Willens, die Angst, auf der die kommunistische Herrschaft beruhte, zerrissen. Manchen gelang das gewaltlos. Slowenien mußte gewissermaßen mit Mut und Selbstvertrauen vorangehen. Kroatien, noch mehr Bosnien-Herzegowina mußten ihre Freiheit fast wie einst Irland, Finnland und noch früher die Niederlande oder Griechenland bezahlen. Kroatien ist noch nicht befreit, Bosnien-Herzegowina ist ganz zerstört und zerschlagen. Europa fand keinen Weg, um das Gemetzel der serbischen Armeen in Kroatien und Bosnien zu stoppen. Es ist vor dem aggressiven serbischen Nationalismus zurückgewichen.

Mit allen Kräften strebt Kroatien nach seinem Recht, Selbständigkeit aut europäiscüe und zivilisierte Art zu erreichen. Die Frage ist, wie mit einem Gegner, der unzivilisierte Kampfmittel verwendet, zu kämpfen? Auf die Frage, ob Kroatien die

Prüfung mit einer zivilisierten und disziplinierten Verteidigungskriegsführung bestanden hat, kann man nur mit Ja antworten.

Der Kern der kroatischen Frage ist, ob die europäische Identität oder der kroatische Nationalismus stärker ist. Um bei der Wahrheit zu bleiben, müssen wir feststellen, daß als Gegenteil zum aggressiven serbischen Nationalismus und grausamen Krieg gegen Kroatien bei den Kroaten ein „rachgieriger oder verbitterter Nationalismus” entstanden ist, wie der Papst das nannte. Der Zuschauer von außen sieht aber nicht, wie sich in Kroatien christlicher Geist und eine bürgerlichhumanistische Weltanschauung dem rachegierigen Nationalismus widersetzen, der vorherrschende geistige Kraft kroatischer Politik und Kultur werden könnte. Manchmal ist der Kampf gegen den Nationalismus schwieriger als der Kampf gegen extreme Ideologien wie Kommunismus oder religiöser Fundamentalismus. Die rachegierigen Triebe erscheinen in Kriegsumständen spontan auf unzählige Arten, an unzähligen Orten -besonders bei Menschen, deren Liebste getötet und massakriert wurden. Vom europäischen Mittelpunkt aus betrachtet könnte man auf die Idee kommen, daß sich der europäische und christliche Geist vor dem Ansturm des Nationalismus verflüchtigt hat, daß Kirche und Kulturinstitutionen viel zu schweigsam und verängstigt sind durch das Getöse der Rache-Nationalisten. Diese Vorstellung stimmt nicht. Die Humanisierung des Nationalgefühls und die Demokratisierung der nationalen Bewegung, manchmal mehr, manchmal weniger verborgen, ereignet sich gründlich und tief.

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