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Gehen am Ballhausplatz die Lichter aus?

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Wer in den letzten Wochen zu später Stunde in Wien durch die Innere Stadt dem Ring zustrebte, dem wiesen nicht selten die hell erleuchteten Fenster des Ballhausplatzes den Weg. Hinter ihnen redeten sich die Männer des Verhandlungskomitees der Volkspartei und der Sozialisten die Kehlen heiser und die Köpfe rot. Bis zur Stunde ohne letztes Ergebnis. Noch immer werten der politisch interessierte Österreicher und das allmählich aufmerksam gewordene Ausland auf das Aufsteigen des weißen Rauches, auf die Nachricht: Die Bildung einer neuen Bundesregierung ist gelungen!

Vorige Woche schien es beinahe so weit! „Wir dürften über den Berg sein“! so hörte man es von Mitgliedern des Verhandlungskomitees, und Optimisten erklärten damals, daß es nun möglicherweise sehr rasch gehen könnte. Wie so oft haben in Österreich die Optimisten unrecht bekommen, denn unsere kühnen Gipfelstürmer haben sich anscheinend auf der Spitze des Verhandlungsberges erneut zu einem großen Palaver niedergelassen.

Thema des ermüdenden Gespräches ist nach wie vor das Außenministerium. Seine Teilung dürfte beschlossene Sache sein. Der Streit geht nun aber darum, welche Kompetenzen dem neuen Bundesministerium für Außenhandel aus dem Bundeskanzleramt, dem Außen- und dem Handelsministerium herausgeschält werden und welche Partei letzten Endes dessen politische Führung übernehmen soll. Neigten die Unterhändler der Volkspartei vor einer Woche dazu, ihren Widerstand gegen einen Sozialisten als Chef des Außenamtes aufzugeben, wenn dafür das neue Ministerium, das selbstverständlich unter der Leitung eines I Vertrauensmannes der Volkspartei stehen sollte, mit genügend Kompetenzen bestückt wird, so hat inzwischen die Szene abermals gewechselt. Nun wird von Seiten der Volkspartei die Forderung nach Übergabe des Außenamtes erneuert, während den Sozialisten das neue Außenhandelsministerium zugestanden werden soll. An einer Ausweitung der Kompetenzen des neuen Ministeriums ist man unter solchen Umständen im Lager der Volkspartei nun nicht mehr besonders interessiert. Um so mehr aber — im Falle des Falles - bei den Sozialisten. Darüber geht also derzeit der neue — alte Streit.

Bundeskanzler Gorbach hat kein angenehmes Wochenende hinter sich. Er hat es erleben müssen, daß gerade jene Kreise, die sich auf sein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihm etwas zugute hielten, eine Kampagne inszenierten, die in ihren letzten Auswirkungen dem persönlichen Ansehen und dem Vertrauen auf das Wort des Regierungschefs bei Freund und Feind bestimmt nicht gerade förderlich war. Auch brüderliche Umarmungen in Graz bekommen einen eigentümlichen Charakter, wenn sie den so stürmisch Umarmten die Luft zum freien Atemholen nehmen.

Und für all das wird immer wieder der „Wählerauftrag“ bemüht, der die Forderung nach Übergabe des Außenministeriums — koste es, was es koste — „unabdingbar“ mache. Koste es, was es koste! Wir haben von der Fixierung auf diesen einen Punkt, der weniger in dem Wahlkampf als in dessen Prolongierung nach dem Tag der Wahl den Ursprung hat und mit Grundsatztreue nicht verwechselt werden sollte, gewarnt. Der Preis könnte zu teuer sein. Jetzt ist es bald so weit. Nachdem es Kanzler Gorbach nicht gelungen ist, sich gegenüber manchen seiner Parteifreunde einen weiteren Spielraum zu erkämpfen, wird man letzten Endes vielleicht noch die Übergabe eines total abgeräumten Außenministeriums an die Volkspartei als großen Triumph verkünden, während mit dem Außenhandelsministerium den Sozialisten eine Kontrolle auf Gebiete der Wirtschaftspolitik zugestanden wird, die ihnen bisher verschlossen waren. Wahrhaftig, auch ein Triumph der „Härte“. Es wäre nicht uninteressant, zu wissen, wie man nicht zuletzt in Kreisen der Wirtschaft und der Industrie von ihm denkt.

Mit den Worten „hart“ und „weich“ ist überhaupt in diesen Wochen viel Schindluder getrieben worden. Es hat schließlich dazu geführt, daß eine Reihe gewichtiger Persönlichkeiten der Volkspartei, deren Wort noch immer die übergroße Mehrheit des Parteivolkes folgt, praktisch zum Schweigen verurteilt war. Wer darf sich schon der „Weichheit vor dem Feind“ zeihen lassen? Auch Altkanzler Raab wird amüsiert sein Spiegelbild betrachtet haben. Ginge es nach der Meinung gewisser Veröffentlichungen, dann sähe ihm, dessen „harter Hand“ sich noch vor kurzem so mancher zu entziehen versuchte, plötzlich ein „weicher Politiker“ entgegen. Womit hinlänglich bewiesen ist, was es mit dem Gehalt gewisser politischer Schlagworte auf sich hat. Immerhin gelingt es ihnen mitunter, die Vernunft, mindestens für einige Zeit, auf Urlaub zu schicken.

In der Zwischenzeit kann freilich einiges passieren. Deshalb wird man gut tun, noch einmal, unter Zurücksetzung propagandistischer Augenblickseffekte, gründlich im Lager der Volkspartei zu prüfen, welches Ressort meritorisch wichtiger ist: das Außenoder das neue Außenhandelsministerium. Dann allerdings empfiehlt es sich, die Diskussion über diese Frage zu schließen. Dagegen wäre es allmählich an der Zeit, vom kommenden Budget zu reden; und auch ein Regierungsprogramm ist eigentlich mehr als eine einmalige Deklamation vor dem versammelten Nationalrat.

So weit ist es aber noch nicht. Noch stehen die Unterhändler vor der großen Koalitionswaage und tarieren sorgfältig die rechte und die linke Waagschale aus, wobei erstere selbstverständlich auf Grund des Nationalratswahlergebnisses einiges „Übergewicht“ nicht nur haben darf, sondern auch haben soll. Ein paar Sektionen dort, einige

Kompetenzen hier ... Was dabei herauskommt? Eine neue, den Problemen der Gegenwart und den Aufgaben der Zukunft gewachsene Bundesregierung oder ein Zweiparteienregime, das nicht einmal eine Arbeitsgemeinschaft ist, sondern nur durch den Kitt des Mißtrauens verbunden wird.

Wenn es auch heute, Mittwoch früh, nach der ergebnislosen Sitzung um die Geisterstunde wieder recht düster aussieht, so scheut man doch auf beiden Seiten letzten Endes den Bruch. Mit Recht. Zu unübersehbar ist die Wegstrecke, die sich nach einem solchen eröffnen würde. Ein Erlöschen der Lichter in den Verhandlungszimmern des Ballhausplatzes könnte fürs erste nur zu einem neuerlichen Appell an den Wähler führen, den man sich überall — auch in der Kärntner Straße — doch mehr als einmal überlegen dürfte.

Sind auch die Fenster am Ballhausplatz zur abendlichen Stunde nach wie vor erleuchtet, so brennen die Lichter dahinter — wer dürfte es,sich verhehlen — schon seit längerem auf halber Flamme.

Das hat man inzwischen auch im Ausland registiert, „Österreichs Uhren stehen still“: Dies der Grundtenor nicht immer nur nachsichtig gutmütigen Spottes, sondern auch schon beißend-ironischer Kommentare. Für künftige Historiker wird das Studium der Berichte, welche die in Wien akkreditierten Botschafter in diesen Wochen und Monaten an ihre Minister schreiben, bestimmt einmal instruktiv sein. Ob für Österreich schmeichelhaft, wagen wir füglich zu bezweifeln. Ja, wir gehen nicht fehl in der Annahme, daß der Kurs Österreichs auf den politischen Börsen der Welt in den letzten Wochen und Monaten um etliche Punkte gefallen ist. Und im Innern wächst unter der da und dort schon ein wenig fadenscheinigen Wohlstandsdecke das Unbehagen. Es fehlt an klarer Führung, es fehlt an Ziel und Richtung unserer Politik. Es fehlt aber auch an ihren Fundamenten. Zu früh hat man den in viel Kleinarbeit zu vollziehenden mühevollen Aufbau einer konsequenten Staatspolitik zu Gunsten der Waldhüterrolle für die diversen Interessendschungel zurückgestellt. Das liberale „Nacht-w.xiuerideal“ vom Staate erlebte so seine zeitgemäße Variante. Sein Kurs ist aber der gleiche. Das beginnt sich nun zu rächen. Und zwar mit Gewalt. In der Welt ist einiges in Bewegung geraten. Im Osten wie im Westen. Allmählich kommt der Wellenschlag dieser fernen Ereignisse auch an unsere Küste. Können wir es uns etwa leisten, dem permanenten Zwist einer „französischen“ und einer „englischen“ Partei gleich jener der „Mützen“ und der „Hüte“ in Schweden der Dekadenzzeit unser Land zu überlassen? Als dritte wäre eine „russische“ Fraktion bald mit von der Partie.

General de Gaulle hat einige alte und viele neue Bewunderer in Österreich. Sie wie seine Kritiker können alle miteinander von diesem Mann eines lernen: historisches Denken und Verwurzelung in der Geschichte seines Landes sowie das Bekenntnis zum Primat der Politik über die anonymen wirtschaftlichen Gewalten. Mag das Sendungsbewußtsein des General-Präsidenten „überentwickelt“ sein, mit dem der meisten österreichischen Politiker ist“ es leider genau das Gegenteil. Und gerade das ist der letzte Grund vieler Übel und auch die Ursache der „Müdigkeiten der Guten“. Wozu? Es lohnt sich nicht. Es will ja niemand. So geht der Alltag seinen Trott.

Vor uns liegt eine Zuschrift aus dem Leserkreis der „Furche“. „Ein fast schon verzweifelter Österreicher“ klagt sein Leid, „wohin wir gekommen sind, seitdem es der SPÖ nicht gelang, eine Staatspartei zu werden, die ÖVP aber aufhörte, eine zu sein ...“ Das Urteil mag vorschnell sein. Es ist gewiß auch zu hart. Zahlreich sind jedoch die Gespräche mit Freunden aus der rechten Reichshälfte und die Begegnungen mit Leuten von der linken, die im letzten immer wieder in dem münden: „Wir leben vom Abbau der Substanz, die wir uns in der Zeit, als der Name des Landes von der Landkarte getilgt war und in dem harten Jahrzehnt zwischen 1945 und 1955 erarbeitet haben. Wie lange das noch gut geht?“ Achselzucken ist die Antwort. Schweigen, Resignation? Daneben freilich auch der Funke Hoffnung, ohne die es kein Leben gibt. Er verbindet sich mit den Namen von einzelnen, die noch nicht restlos vor dem, was heute in Österreich als Politik ausgegeben wird, kapituliert haben. Ist dies aber genug?

Die Koalition als Deckmantel für die Herrschaft einer Oligarchie, als Tarn-anstrichfürpolitischeund andere Geschäftemacherei, war uns nie auch nur eines Schwertstreiches der Verteidigung wert. Allein als. Korisens aller positiven Kr äffe, die der österreichische Katholizismus und auch der dem okratische Sozialismus dieses Landes hervorbringt, hat sie noch immer nichts, was mit der gleichen Tragkraft an ihre Stelle treten könnte. Auch nicht jene „neue Partei“, für die man an der Salzach die Trommel rührt und die letzten Endes nur das Monstrum einer völlig entideologisierten Volkspartei, die sich die FPÖ inhaliert hat, ergeben müßte.

Die Lichter am Ballhausplatz sind trügerisch geworden. Sie können über Nacht erlöschen, sie können auch langsam herunterbrennen, weil es an Kraft, an Substanz, an geistigen Reserven fehlt.

Daran zu denken, ist in diesen Tagen nicht abwegig. Noch dazu, wo — wieder einmal — die „Iden des März“ vor der Tür stehen.

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