Gekaperter Staat am Kap

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"Ein früherer Finanzminister schätzt die Plünderung der Staatskassen auf bis zu 15 Mrd. Euro, das wären fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts Südafrikas."

In der Vilakazi-Straße von Soweto, dem größten Township der südafrikanischen Wirtschaftsmetropole Johannesburg, feierten die Menschen ausgelassen, als die Wahl von Cyril Ramaphosa bekannt wurde. Dort, wo die Polizei des Apartheid-Staates 1976 über 150 demonstrierende Schulkinder massakriert hatte, gilt der ehemalige Gewerkschaftschef als Held. An die 5000 Delegierte des African National Congress hatten den 65-Jährigen am 17. Dezember zum neuen Vorsitzenden der Regierungspartei gewählt. Mit höchster Wahrscheinlichkeit wird er damit 2019 auch zum nächsten Präsidenten Südafrikas.

Gefeiert wurde nicht nur in der Vilakazi-Street, wo auch Nelson Mandela zuletzt wohnte. Auch in den Chefetagen der Unternehmen knallten die Sektkorken. Die Ratingagentur Moody's prophezeite einen Kurswechsel, der nach Jahren der Stagnation die südafrikanische Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs führen würde. Der Wechselkurs der Landeswährung Rand schloss sich dieser Euphorie an.

Aufstieg unter Mandela

Ramaphosa hatte einst die Bergarbeitergewerkschaft NUM gegründet und galt als eines der mächtigsten Mitglieder des Gewerkschaftsdachverbandes Cosatu. Bei den Verhandlungen beim Übergang vom rassistischen Apartheid-Staat zur multiethnischen Demokratie in den frühen 1990er-Jahren spielte er eine tragende Rolle. 1997 zog er sich allerdings aus der Politik zurück, weil er nicht zum Nachfolger Nelson Mandelas ernannt wurde. In der Wirtschaft, wo Schwarzen bei der Privatisierung privilegierter Zugang zu Aktienpaketen gewährt wurde, machte er binnen weniger Jahre ein Vermögen. Als Vizepräsident an der Seite des noch amtierenden Staatschefs Jacob Zuma kehrte er in die Politik zurück. Zuma hat zuletzt aber alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu verhindern, dass ihn sein Stellvertreter beerbt. Denn Ramaphosa hat der Korruption den Kampf angesagt.

Der Präsident, so behaupten seine Kritiker, habe private Bereicherung auf die Spitze getrieben. Ein früherer Finanzminister schätzt die Plünderung der Staatskassen auf 150 bis 200 Milliarden Rand (bis zu 15 Mrd. Euro), das sind fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Eine freie Presse, die noch dazu großteils von der Opposition kontrolliert wird, hat jeden einzelnen seiner Skandale vor der Öffentlichkeit ausgebreitet.

Nicht weniger als 783 Klagen wegen Korruption sind gegen ihn anhängig. Und sobald er die mit seinem Amt verbundene Immunität verliert, wird die Justiz ihre Mühlen in Bewegung setzen. Jacob Zuma hatte seine Karten auf die 68-jährige Nkosazana Dlamini-Zuma gesetzt. Sie war von 2012 bis Jänner dieses Jahres die erste Frau an der Spitze der Afrikanischen Union. Die Anti-Apartheid-Kämpferin hatte zuvor mehrere Ministerämter inne -und war bis 1998 mit Jacob Zuma verheiratet.

Das System der Ausbeutung

Der Begriff "corporate capture" oder auch "state capture" gehört in Südafrika zum gängigen Wortschatz. Er bezeichnet die Einflussnahme der Privatwirtschaft auf den Staat und seine Institutionen. Im Prinzip ist das nichts Neues und es gibt kaum Konzerne im Land, die ihre wirtschaftliche Macht nicht missbrauchen, um auf die Regierung oder das Parlament Einfluss zu nehmen. Die meisten tun das aber diskret. Anders die indischen Gupta-Brüder, gegen die das FBI und britische Behörden wegen Verdachts der Geldwäsche ermitteln. Ihre Verstrickungen mit Präsident Zuma sind so eng, dass die Presse für diese symbiotische Verbindung den Terminus "Zuptas" geprägt hat. State capture hat sich zur systematischen Plünderung von Institutionen entwickelt. Die Gesetze und hochrangige Politiker werden für den privaten Vorteil Einzelner missbraucht, wie Lawson Naidoo, der Chef des Council for the Advancement of the South African Constitution, in einem Interview sagte: "Es geht um institutionellen Vandalismus in massivem Ausmaß."

Die Brüder Ajay, Atul and Rajesh "Tony" Gupta gehören nicht zur alteingesessenen indischen Minderheit in Südafrika, sondern sind indische Staatsbürger, die einen Standort gefunden haben, wo sie offenbar nach Belieben Kapital verschieben können. Über komplizierte Netze von Scheinfirmen und Strohmännern erwerben sie Immobilien. Besonders bekannt wurde die Vrede Farm in der Provinz Free State, die als Molkereiprojekt eigentlich Einkommensmöglichkeiten für arbeitslose Schwarze schaffen sollte.

Nicht zuletzt am Umgang mit den Guptas wird sich zeigen, wie ernst es Cyril Ramaphosa mit dem Kampf gegen die Korruption meint, und ob er in den Strukturen von Staat und Partei genügend Verbündete findet, die ihn dabei unterstützen. Der Gründer und Vorsitzende der Berg- und Bauerbeitergewerkschaft AMCU Joseph Mathunjwa hat den Economist gelesen und sagt: "Es ist klar, wo das herkommt. Die wollen den afrikanischen Kontinent weitere hundert Jahre ausplündern und brauchen dafür ein schwarzes Gesicht."

Dass Ramaphosa mit dem vom Apartheid-Staat übernommenen Wirtschaftssystem nicht brechen will, habe er 2012 während des Minenarbeiterstreiks in der Platin-Grube in Marikana des britischen Lonmin-Konzerns bewiesen. Ramaphosa, damals Aktionär und Vorstandsmitglied von Lonmin, soll den Schießbefehl gegen die Streikenden zumindest mitgetragen haben. 34 Arbeiter starben und weitere 78 wurden verletzt. Einzig ein echter Systemwandel, so Mathunjwa, könne mit der Korruption aufräumen. Und dafür sieht er im ANC derzeit keine Anzeichen.

Elitenwirtschaft

Ähnlich urteilt auch die New York Times in einer jüngst veröffentlichten Reportage. Danach kontrolliere eine kleine -fast ausschließliche weiße -Minderheit von zehn Prozent 90 Prozent des Vermögens. Unter den ANC-Regierungen habe sich zwar die schwarze Mittelschicht verdoppelt und eine winzige schwarze Elite gebildet, doch für die große Mehrheit habe sich nichts verändert. Jeder zweite schwarze Jugendliche sei arbeitslos.

Ramaphosa sieht sich dem Nationalen Entwicklungsplan von Präsident Thabo Mbeki (1999-2008) verpflichtet, der die Parole "Wachstum, Beschäftigung, Entwicklung" ausgegeben hat. "Es ist ein Deal, der darauf abzielt, Lebensumstände zu verbessern, ohne das rassistische Muster der Kapitalanhäufung anzutasten", schreibt die politisch aktive Autorin Malaika wa Azania, "und das in einem Land, das noch immer gegen das Vermächtnis der Apartheid ankämpft".

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