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GEORGE F. KENNAN / PRIVATMANN IN DER WELTPOLITIK

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George F. Kennan darf den Ruhm für sich beanspruchen, jener Privatmann zu sein, dessen Meinung in der Weltpolitik die stärkste Beachtung findet. Keiner kommt um ihn herum: die russischen und amerikanischen, englischen und deutschen Staatsmänner beziehen sich, direkt und indirekt, auf die Meinungen dieses Mannes, der seit Jahren kein öffentliches Amt mehr bekleidet, nachdem er zuerst in Moskau, dann in Washington ausgebootet wurde.

Wer ist der Mann, dessen Einfluß auf die weltpolitische Meinungsbildung ein erstaunliches Phänomen ist? Ein tröstliches Phänomen übrigens: in einem Zeitalter, in dem nur Massen, Großmächte und autorisierte Vertreter gigantischer Interessenverbände Gewicht zu' besitzen scheinen, legt dieser einzelne, hinter dem zunächst nichts steht als eine große Erfahrung, eben seine „Meinung“ mit Nachdruck in die Schalen der Weltpolitik.

George Frost Kennan wurde am 16. Februar 1904 in Milwaukee geboren-, ein sehr junger Mann also in der Weltpolitik, verglichen mit dem respektablen Alter der meisten Prominenten. Seine erste Erziehung genoß er in Deutschland, wo er nicht nur sprechen lernte wie ein Deutscher, sondern auch seine Kenntnisse der zentraleuropäischen Verhältnisse erwarb; eine Kenntnis, die ihn bereits weit hinausschob über die allermeisten amerikanischen Diplomaten und Politiker, die infolge ihrer beklagenswerten Unkenntnis europäischer Verhältnisse nicht wenig beitrugen zur fast heillosen Verwirrung in unseren Räumen. George F. Kennan hat seinen ganzen Ehrgeiz darangesetzt, Washington und der Welt zu zeigen, was ein

Amerikaner leisten kann, wenn er leidenschaftlich sachlich interessiert und gebildet sich mit den heikelsten und immer komplizierten Fragen der großen Politik zumal in Europa und um Europa auseinandersetzt. Nach seiner Rückkehr nach Amerika besuchte er die berühmte Militärakademie von St. Johns und dann die Princetown-Uni-versität.

Nach Abschluß seiner Studien trat Kennan in den diplomatischen Dienst. Seine Lehr-und Wanderjahre in verschiedenen Dienststellen führen ihn bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges nach Prag, Moskau,

Berlin, den baltischen Staaten und unter anderen auch kurz, 1935, nach Wien. In Moskau lernt er Russisch sprechen. 1944 wird er Mitglied der amerikanischen Delegation des Europa-Beratungsausschusses in London, 1945/46 ist er Botschaftsrat in Moskau. Nach dem Kriege wird er unter Statssekretär Marshall Leiter des außenpolitischen Planungsausschusses der amerikanischen Regierung. 3 952 tritt er sein Amt als Botschafter der USA in Moskau an, muß Ende desselben Jahres abberufen werden, da ihn der Kreml als persona ingrata erklärt. Kennan hat mit dem ihm eigenen Freimut in Berlin sich sehr offen über die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit für Diplomaten in der Sowjetunion ausgesprochen.

Kennan kehrt zurück, bleibt bis zum Wahlsieg Eisenhowers die graue Eminenz der demokratischen Regierung in den Fragen Zentraleuropas und Rußlands. Er ist der Verfasser jenes Planes zur Eindämmung der russischen Expansion, der Präsident Trumans Außenpolitik bedeutende Erfolge einbringt. Kennans Gegner und Nachfolger, John Foster Dulles, übernimmt nach harter Kritik Kennans Plan, zeigt sich aber leider nicht genügend elastisch, um ihn den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Kennans Weltruf als politischer Kommentator der Politik der Weltmächte, besonders Rußlands und Amerikas, steigt in den letzten Jahren genau in dem Maße, in dem die Lustlosigkeit und Einfallslosigkeit der offiziellen amerikanischen Weltpolitik erschreckend sichtbar wird. Der Weg aus der Sackgasse wird nicht ohne sachliche Beachtung seiner sachlichen Meinungen gefunden werden.

talen Erkenntnis, daß es in der heutigen weltpolitischen Situation weder eine isolierte Lösung der deutschen (wie viele in Deutschland immer noch hoffen mögen) noch der osteuropäischen (wie sich manche osteuropäische Emigranten im Westen einbilden) Problematik gibt, sondern daß die Lösung beider verknüpft ist und die eine ohne die andere nicht mehr denkbar, beide aber nur in einem größeren mitteleuropäischen Rahmen gemeinsam möglich sind. Wie Paul W. W e n g e r im „Rheinischen Merkur“ schon vor längerer Zeit nachgewiesen hat, war sich die sowjetische Außenpolitik jener „mitteleuropäischen Wechselbezüglichkeit“ zwischen Deutschland und dem mittelosteuropäischen Raum „Zwischeneuropas“ (zwischen Deutschland und Rußland) mit freilich umgekehrtem Vorzeichen im Gegensatz zu den Amerikanern schon längst bewußt und verhinderte wohl gerade deshalb immer wieder eine im westlichen Sinne allzu einseitige Deutschlandlösung, weil sie nur zu genau wußte, daß damit zugleich auch eine für Moskau unerträgliche Situation in seinem derzeitigen osteuropäischen Vorfeld verknüpft war. Aus dieser Erkenntnis, die der amerikanischen Politik so lange verborgen war, zieht nun Kennan die eine — militärstrategische — Konsequenz. Gibt es da aber nicht auch noch eine andere politische Konsequenz zu ziehen?

UM EINE AKZEPTABLE VERHANDLUNGSGRUNDLAGE

Diese Sicht macht es deutlich, wie wichtig also die Frage: „Was ist eigentlich Mitteleuropa?“ in diesem Zusammenhang ist und wie recht Franzel hat, wenn er weiter fragt:

„Also Mitteleuropa? Mit Polen oder ohne Polen? Und die Tschechoslowakei? Als einst Berija, kurz vor seinem unerwarteten Sturz, eine breite Ost-West-Verständigung erwog, wollte er zwar die böhmischen Länder räumen, nicht aber die Slowakei und die übrigen Länder des Karpaten-bogens. Also wieder eine Teilung der CSR? Gehört aber nicht auch Ungarn zu Mitteleuropa? Und was ist mit Rumänien? Wie wird es mit Jugoslawien? Ist etwa nur Kroatien oder aber ganz Jugoslawien in diesem Sinne noch Mitteleuropa? Welche Rolle soll in dieser Kombination schließlich Oesterreich spielen? Fragen wir also zunächst einmal in Moskau an, was man dort unter Mitteleuropa versteht: die beiden Deutschland, Polen, die CSR, Ungarn, Rumänien, Oesterreich und Jugoslawien — das wäre immerhin eine akzeptable Verhandlungsgrundlage ... Die Gefahr, Deutschland zwar zu neutralisieren, Böhmen, Polen und Ungarn aber praktisch dennoch weiter in sowjetischer Härid zu belassen5, muß Unbedingt gebannt '-•“W'tnteul.vs*'~~~—........-in..!........ i. j

Diese Erwägungen sind richtig und nur wenn man sie entsprechend berücksichtigt, könnten Kennans Theorien über die Deutschlandfrage wirklich zu einer Lösung auch der osteuropäischen Problematik führen, wovon er ausgeht und was er ja will...

RAPACKIS MINIMALPROGRAMM

In diesem Sinne stellt natürlich die räumliche Begrenzung des Rapacki-Planes, den wir vor kurzem den Lesern der „Furche“ * ausführlich darstellen konnten — beide Deutschland, Polen und die Tschechoslowakei —, als gleichsam östliches Gegenstück zu den westlichen Kennan-Vorschlägen nur ein Minimum dar, von dem man zwar ausgehen könnte, das aber nicht als Endziel der Lösung der Ost-West-Spannung in Europa betrachtet werden kann. Immerhineines ist bei Rapacki wichtig: es ist dies der erste östliche Vorschlag, der sich mit Kennan darin trifft, daß er das Wort „wirksame Kontrolle“ verwendet, was die Räumung angeht — eine Bezeichnung, die bisher sowjetischerseits immer vermieden, wenn nicht geradezu abgelehnt worden war ... Auch ist beachtlich, wenn Rapacki in diesem Zusammenhang seinen Stellvertreter O g r o d z i n s k i in der Warschauer „Trybuna Ludu“ ausdrücklich nochmals betonen ließ: „Wir denken, daß die .Frankfurter Allgemeine Zeitung' in ihrer Bewertung dieser Frage durchaus recht hat, wenn sie hervorhebt, daß ohne eine tatsächlich wirksame Kontrolle dieser ganze Plan nichts wert ist...“

Nun — wenn wir schon von „wirksamer Kontrolle der Räumung“ schreiben, dann müssen wir zu der ersten Frage, was eigentlich geräumt werden soll, noch die zweite hinzufügen, wovon geräumt werden soll. Die Rote Armee hat nämlich bekanntlich in Mitteleuropa nicht nur ihre Garnisonen, Flugplätze, Raketenbasen und Stäbe, sondern außerdem auch noch ihre Aufsichtsorgane — als „Berater“ getarnt — in den Ministerien, Generalstäben, Truppenteilen, Kommandostellen und Rüstungsbetrieben seiner derzeitigen osteuropäischen Satelliten sitzen. Unter „Räumung“ müßten also auch jene Sowjetrepräsentanten erfaßt werden, die nicht direkt zu den Truppen gehören, denn ihnen kommt in Wahrheit eine ganz bedeutende Schlüsselposition bei der Gleichschaltung jener Staaten auf Moskau zui Aehnliche Fragen wären dann natürlich auch im Westen zu lösen, da ja bekanntlich auch die NATO die westdeutsche Armee eingegliedert hat; aber die Verflechtung der militärischen Dienststellen im Westen ist leichter zu lösen als die unübersichtliche Verfilzung der Kompetenzen im Ostblock.

Von allen diesen Fragen würde also die Realisierbarkeit der Kennan-Theorie maßgeblich mitbestimmt werden. Schließlich ergibt sich aber — und das wäre der. letzte und entscheidendste Punkt für, ihre realpolitische Verwirklichung — nach gelungener militärischer Räumung die politische Frage des Was dann? Dazu macht man-sich' in letzter Zeit nicht zuletzt in Oesterreich Gedanken, die Kennans Thesen erst so richtig abrunden. Davon aber ein anderes Mal mehr...

* „Furche“ Nr. 2 vom 11. Jänner 1958.

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