Gefängnis Georgien - © Foto: APA / AFP / Vano Shlamov

Georgien: Hoffnungsträger im Gefängnis

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Die Rückkehr und Verhaftung von Ex-Präsident Saakaschwili spitzt die politische Krise in Georgien weiter zu. Der Machtkampf zwischen Regierungspartei und Opposition lähmt das Land und bringt es um seine Chancen.

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Die Rückkehr und Verhaftung von Ex-Präsident Saakaschwili spitzt die politische Krise in Georgien weiter zu. Der Machtkampf zwischen Regierungspartei und Opposition lähmt das Land und bringt es um seine Chancen.

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Das Gefängnis Nr. 12 steht am Rande einer staubigen, halb verfallenen Industriezone in Rustawi, einer Kleinstadt 20 Kilometer südlich der georgischen Hauptstadt Tiflis. Seit Anfang Oktober füllen Bilder vom Wachturm, der stacheldrahtbewehrten Mauer und dem Eingangsbereich die Medien Georgiens – dank eines Insassen: Ex-Präsident Michail Saakaschwili.

Geht es nach dem Willen der Regierungspartei „Georgischer Traum“, verbringt er mindestens die nächsten sechs Jahre in Haft. Geht es nach seinen Anhängern, kommt er alsbald frei. Seit mehr als 18 Jahren beeinflusst Saakaschwili das Schicksal der Südkaukasusrepublik. Auch nachdem seine Amtszeit 2013 abgelaufen und er in der Ukraine Politiker geworden war, blieb er als Feindbild der Regierungspartei präsent. In Abwesenheit wurde er 2018 unter anderem wegen Machtmissbrauchs verurteilt, seitdem lag ein Haftbefehl gegen ihn vor. Das hinderte ihn nicht, immer wieder vor Wahlen seine Rückkehr in die Heimat anzukündigen. Als sich seine Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ (VNM) in den vergangenen Monaten von ihm abzunabeln begann und sich für Kooperation mit anderen Parteien öffnete, ging er das Risiko ein: Unerkannt reiste er auf einem Frachtschiff von der Ukraine nach Georgien und postete Videos aus mehreren Städten. Schließlich führten ihn Polizisten am 1. Oktober, am Vorabend der Kommunalwahl in der Hauptstadt Tiflis, ab.

Er trat sogleich in einen Hungerstreik. Seitdem halten sein Gesundheitszustand, seine Posts in sozialen Medien und die Reaktionen darauf die Politik in Atem. Neue Betrugsvorwürfe Dies half offenbar seiner Partei, aber auch der Regierungspartei, jedenfalls interpretierten Politikexperten wie Gia Nodia es so: Viele Gegner Saakaschwilis hätten sich erst zur Wahlteilnahme entschlossen oder ihre Stimme dem „Georgischen Traum“ gegeben, weil sie gegen eine Rückkehr des Ex-Präsidenten an die Macht sind. Anfangs zeigten Saakaschwilis Aufrufe zum Protest auch keine überragende Resonanz. Drei Tage nach seiner Verhaftung erschienen kaum 1000 Menschen vor dem Gefängnis in Rustawi. Am 14. Oktober, einem Feiertag, kamen jedoch mehr als 10.000 Menschen zu einer gut organisierten Protestdemo auf den Freiheitsplatz nach Tiflis. So viele und noch mehr Menschen kamen zuletzt nur zu Demos einer Protestbewegung, die gegen den Bau von Wasserkraftwerken gerichtet war. Die Regierungspartei versucht, in den kommenden Tagen ebenfalls zu mobilisieren.

Betrugsvorwürfe und Zwist

Bei der zweiten Runde der Kommunalwahl am 30. Oktober standen Bürgermeisterposten in größeren Städten und der Hauptstadt auf dem Spiel. In Tiflis bildete ein Oppositionsbündnis bereits ein „Schattenkabinett“, um Einigkeit gegen den „Georgischen Traum“ zu demonstrieren, dem sie Wahlmanipulation vorwerfen. Schon die Parlamentswahl 2020 war von Betrugsvorwürfen überschattet. Am 10. November dann soll Saakaschwili vor Gericht erscheinen. Es soll um weitere Fälle angeblichen Machtmissbrauchs gehen. Auch wegen illegaler Einreise könnte er verurteilt werden. Premier Irakli Garibaschwili machte keinen Hehl daraus, dass die Regierung den Ausgang zu beeinflussen beabsichtigt: „Wenn er sich nicht benimmt, werden wir weitere Anklagen erheben“, sagte er kürzlich. Trotz zahlreicher Reformen gilt das Justizsystem Georgiens auch 30 Jahre nach der Unabhängigkeit noch nicht als frei.

Das verhindert die Aussöhnung zwischen den Leidtragenden von Saakaschwilis autoritärer Politik und seiner Anhängerschaft, die in ihm einen politischen Gefangenen sieht. War der „Georgische Traum“ 2012 mit dem Versprechen angetreten, die demokratischen Defizite der Zeit Saakaschwilis zu korrigieren und das Land weiter in Richtung Rechtsstaat, EU und NATO voranzubringen, ist die Partei in den Augen vieler ein Machterhaltungsverein für dessen Gründer und Hintermann, den schwer vermögenden Geschäftsmann Bidsina Iwanischwili, und seine Getreuen geworden. In ihrer nunmehr dritten Amtszeit kontrollierten sie die Machtpositionen im Staat – von „State Capture“ spricht beispielsweise Helen Khoshtaria, einst Mitstreiterin, heute Kritikerin Saakaschwilis mit eigener Partei namens „Droa“ („Es ist an der Zeit“). Sie hält deshalb einen regulären Machtwechsel für kaum mehr möglich. Auch Giorgi Tsereteli von „Europäisches Georgien“, einer Abspaltung von Saakaschwilis Partei, spricht von Strukturen, bei denen administrative Ressourcen langfristig für den Machterhalt eingesetzt würden: Amtsträger in der Provinz versorgten Getreue mit bezahlten Posten ohne wirkliche Aufgabe.

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