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Gerechtigkeit für Bosniens Serben

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Nur ein winziger Teil der Mili-ardenhilfe für Bosnien-Herzegowina geht in den serbischen Teil des Landes, in die „Republika Srpska“. Vor kurzem hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gemeinsam mit dem Österreichischen Roten Kreuz (ORK) in einer Pressekonferenz auf das Elend und die sich abzeichnende Katastrophe im serbischen Teil Rosniens hingewiesen.

„In einer Studie über Nationalismus rangieren die Serben an erster Stelle als Feindbilder in Österreich“: Christian Marte vom ORK verteilt dazu Unterlagen an die Journalisten und erklärt damit, warum es so schwierig ist, für Serben Hilfe zu erhalten - nicht nur in Österreich. Es gehört zu den Grundsätzen der Rotkreuzbewegung, allen Seiten nach dem Maß ihrer Not zu helfen, und das Ausmaß der Not ist in der Republika Srpska am größten, vor allem im Norden, im Raum Banja Luka. „Der größte Exodus im Krieg in Ex-Jugoslawien fand im Sommer 1995 statt“, heißt es in einem Bericht des UN-Flüchtlingshochkommissariates. Zirka 200.000 Serben flüchteten nach den kroatischen Angriffen auf Westslawonien und die Krajina im Mai und August 1995; die kroatisch-moslemische Offensive im September darauf vertrieb noch einmal rund 100.000 Serben aus Nordwestbosnien. Der Großteil der Trecks - auf der Flucht beschossen, verprügelt, ausgeraubt - erreicht den Raum Banja Luka. Viele ziehen weiter nach Serbien, aber die Regierung Milosevic sperrt die Grenzen für die im Stich Gelassenen.

Lokalaugenschein im Krisengebiet: Auch nach Ende des Krieges überall das gleiche Bild im Raum Banja Luka: Die Suppenküchen des Roten Kreuzes reichen bei weitem nicht aus, um die über 200.000 Flüchtlinge zu versorgen. Nur etwa jeder Zehnte kann mit einem halben Liter Suppe und einem Viertelkilo Brot täglich versorgt werden. „Nur alten Leuten über 65 und Kindern unter 14 können wir Brot und Suppe geben“, erklärt die Beauftragte des ORK für das Gebiet, Ursula Schöll.

Winters bei minus 20 Grad, ohne ausreichende Bekleidung, in kaum geheizten überfüllten Notquartieren oder Zelten, sommers bei brütender Hitze im Gestank der Latrinen, denn oft gibt es kein Fließwasser - so erlebe ich das Elend dieser Namenlosen, dieser größtenteils unpolitischen, von der Propaganda verhetzten Kleinbauern, die Jahrhunderte auf ihren kleinen Landwirtschaften gelebt haben.

„Die psychische Situation der Angehörigen der rund 16.000 Vermißten ist schrecklich“, sagt Pierre Krähen-bühl, der Beauftragte des IKRK für die Republika Srpska bei der Wiener Pressekonferenz. Es gibt Projekte, in denen versucht wird, Haß, Rachsucht, Verbitterung und Angst bei den Betroffenen abzubauen. Ein mühsamer Weg, es fehlen aber auch Geldmittel für die psychische Betreuung und Heilung dieser Kriegsfolgen - endlose Aufgaben warten auf die Hilfsorganisationen.

Aber in der Republika Srpska arbeiten nur wenige Hilfsorganisationen, in der Föderation sind es mehr als zehnmal so viele. Gerade 1,4 Prozent, nur ein Siebzigstel der Wiederaufbauhilfe des Milliarden-Dollar-Kuchens der Internationalen Gemeinschaft, erhält die Republika Srpska. Von Wiederaufbau keine Spur, es gibt keine Industrieproduktion, die Arbeitslosigkeit nähert sich 100 Prozent, und diejenigen, die Arbeit haben, warten seit Jahren auf ihren geringen Lohn. Die Verbitterung der bosnischen Serben ist unübersehbar.

Letztendlich hat in der Republika Srpska die Regierungspartei des als Kriegsverbrecher angeklagten Serbenführers Karadzic von der Verbitterung profitiert. Die ganze Welt sei gegen das serbische Volk, hieß es in den Wahlreden vor den Wahlen im September 1996, die Serben seien von Feinden umgeben. Hätte die internationale Hilfe die Not der Serben nicht derartig ignoriert, höre ich wiederholt von Kennern der Lage, hätte die Opposition große Chancen gehabt. Aber auch die vielen Friedensgruppen, vor allem in den Städten, fanden während des Krieges kaum Unterstützung von außen.

Und nun soll nach dem Sieg der Karadzic-Partei den unbelehrbaren bosnischen Serben die Hilfe weiter gekürzt werden? Solche Forderungen waren im Gespräch - eine Politik des „big stick“, die aber in Europa nicht verifiziert werden konnte. Aber die Finanzierung der täglichen 2000 Kalorien für 23.000 Menschen reicht nur bis Ende Mai. Um eine Hungerkatastrophe zu verhindern, müßte die Suppenaktion über den nächsten Winter bis 1998 hinaus geführt werden. Das ORK und andere Hilfsorganisationen, die bei den Serben tätig sind, appellieren an alle, die zwischen dem leidenden serbischen Volk und seiner Führungsclique unterscheiden, zu helfen.

Der Autor ist freier Journalist

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