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Geschmack des Lebenssinns

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Die Suche nach Leben verbindet die prominenten Toten des September - und die um sie trauern.

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Die Suche nach Leben verbindet die prominenten Toten des September - und die um sie trauern.

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Das Bild berührte: Schwester um Schwester trat zum Leichnam und küßte der Toten die nackten Füße. Mutter Teresas Sterben stand am Ende jener Woche „öffentlicher Tode”, die viele nachdenklich zurückließ.

Anders die Bilder desselben Tages aus London; auch sie von großer Kraft: Fünf Männer (oder: drei Erwachsene und zwei Jugendliche) folgten dem Sarg mit der toten Frau - im Beisein der halben Welt. Die durch den Tod Lady Di's entfachte Dynamik der Ereignisse brachte eine Flut von Bewertungen. Psychologen, Historiker, Medienkritiker, Journalisten geizten nicht mit Worten. Auch die behauptete mediale Inszenierung des Dramas „ Prinzessin Dianas Glück und Ende” legte vieles offen, was über die Medienfrage hinausgeht.

Als dann Mutter Teresa verstarb, inspirierte das viele Kommentatoren, ihren Tod und jenen Dianas in einem Atemzug zu bewerten (siehe auch diese Furchk, Seite 4,5,21).

Dabei zeigte sich, was die gemeinsame Auseinandersetzung mit den beiden gegensätzlichen Gestalten rechtfertigte. So wurde sichtbar - mit unterschiedlichem Gewicht - wie sehr Globalisierung nicht nur im Kommunikationssektor virulent ist, sondern auch in der Verbreitung kollektiver Emotion: Der Tod im fernen Indien berührte; ungleich stärker schlug das Pariser Sterben Lady Di's aufs globale Gemüt. Fragen wie: Echt? Falsch? Inszeniert? werden lange Anlaß zur Reflexion bieten; einig sind sich die meisten Bewerter, daß zumindest auch echte Gefühle laut wurden.

Zudem kam gemeinschaftliche Religiosität auf. Bei Mutter Teresa, die authentisch den Glauben als Basis ihres Engagements benannte, überraschte dies kaum. Aber auch Lady Di's Verabschiedungszeremonien stellten ihren Tod in einen religiösen Zusammenhang, der der Jet-Set-Society nicht so recht zuzutrauen war: Was an Synthese von Weltlichem und Geistlichem gelang, überraschte. Popsong „Candle in the Wind” und der Psalm „Der Herr ist mein Hirte” hatten nebeneinander Platz.

Religiosität blieb aber nicht im Konfessionellen. Für Diana gab es ein katholisches Requiem ebenso wie jüdische Kaddisch-Gebete; daß Mutter Teresa in Indien mit einem Staatsakt begraben wird, ist Zeichen besonderer Art: der Staat bereitet der großen Persönlichkeit aus einer religiösen Minderheit solchen Abschied.

Zudem hinterlassen beide Toten den Nachgeschmack der Sinnsuche: Lebensbewältigung - anhand von geglückten wie mißglückten Beispielen greifbar. Beide Gestalten weisen persönliche Aspekte vor.

Auch Mutter Teresa war in Kalkutta nicht unumstritten: Es gibt etwa Kritiker, die das Engagement europäischer Freiwilliger in ihrem Haus für Sterbende als „Herz-Schrittmacher für die frustrierten Europäer” bezeichnen. Andererseits wurde Mutter Teresa als zupackend, als einfach in ihrer Sicht der Welt charakterisiert - in der Welt, die derart komplex ist. Einem Armen die Würde zu geben, im anderen das Antlitz Jesu zu sehen - also aus religiöser Kraft zu schöpfen, um ihm Menschsein zu ermöglichen: welch eine Botschaft! Grenzenloses Gottvertrauen (auch dies in einem Maß, daß Kritiker mehr Realitätsverhaftung einmahnten) als entwaffnendes Werkzeug eingesetzt. Doch das System Mutter Teresas funktionierte, ohne Banken oder den Apparat großer Institutionen.

Vielleicht ist dieser „naive” Zugang zur Welt zumindest auch Ansporn zur Suche: Einfaches Denken, unkomplizierte Sicht und eine mitunter leichtsinnige Hoffnung sind Ingredienzen, die einen Teil der Faszination der Ordensgründerin ausmachen. Die, so darf gemutmaßt werden, über den Tod hinweg gültig bleiben wird.

Die um vieles jüngere Diana erreichte nach ihrem Sterben den Höhepunkt der Popularität. Ihr wurde ungleich mehr Aufmerksamkeit zuteil als der Ordensfrau in Kalkutta. Daß Mutter Teresa im Alter und als Quasi-Heilige fortging, macht ihren Tod weniger schmerzlich. Helmut Zilks Kommentar bei „Zur Sache”, ungeschützt wie eh und je, beschreibt im Kern den Unterschied für die öffentliche Wahrnehmung: „Vielleicht ist Gutes tun zu wenig. Die Mutter Teresa hat ,nur' Gutes getan.” Im Nachsatz: „Aber sie hat den Dodi nicht gekriegt.”

Trotzdem ist schlichte Anteilnahme, wie Mutter Teresa sie lebte, auch einer der Mosaiksteine der Welttrauer um Di: Das Suchen und die Sehnsucht nach der Bewältigung von Leben und Sterben - exemplarisch verdeutlicht an der übergroßen Lady aus England ebenso wie an der übergroßen Menschenfreundin aus Indien - benötigen den Anker der Trauer; diese (siehe oben) ging bei Diana, Prin-cess of Wales, tiefer, wenn auch nur für den Augenblick.

Dürfen zu „Good-bye England's rose”, das Elton John bei Di's Begräbnis sang, also Tränen fließen (wie die BBC mit Bildern aus den Straßen Londons erzählte), und das in echter Trauer?

Letztlich verbindet Anteilnehmende und Verstorbene die Suche nach geglücktem Leben - die Prinzessin wurde auf dem Weg weggerissen, die Ordensfrau in Indien hat es erreicht.

In derselben Septemberwoche starb Viktor Frankl, der zeitlebens für Sinnerfüllung und für Hilfe zur Sinnfindung stand. Auch wer die Koinzidenz der Todesfälle nicht näher bewertet, wird nicht umhin können, sich den hier offenbar gewordenen Lebensfragen nachdenklich und neu zu stellen.

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