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Gesellschaftspolitische Aspekte

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Ein an finanzpolitischen Problemen reiches Jahr neigt sich seinem Ende zu und gibt Anlaß, Bilanz zu ziehen und den Weg zu erkunden, der im kommenden Jahr gegangen werden soll.

Jedes Konzept ist auf die Zukunft abgestellt und hat daher eine nur schwer bestimmbare Wahrscheinlichkeit, nie aber eine Gewißheit für sich. Die Wahrscheinlichkeit des künftigen Ablaufs des Wirtschaftsprozesses, des politischen, gesellschaftlichen Lebens zu vergrößern und in eine bestimmte Richtung zu lenken, ist der Sinn menschlichen Planens. Die gesellschaftliche Entwicklung wird durch keinen unsichtbaren, ständig wirkenden Mechanismus gesteuert, sondern wir müssen sie gestalten und in jene Bahnen lenken, die wir als vernünftig und zweckmäßig für unsere Zeit erkennen. Je sorgfältiger die Konzepte ausgearbeitet, je besser die gesellschaftlichen Zusammenhänge durchleuchtet werden, je realistischer die Ideen sind, die die Zukunft gestalten sollen, um so größer muß die Wahrscheinlichkeit werden, sie auch verWirk-

'liehen zu können. Das fast abgelaufene Jahr stand — finanzpolitisch gesehen — im Zeichen der Konsolidierung der Staatsfinanzen. Es zeigte sich, daß den wirtschaftspolitischen Wünschen und Absichten durchaus reale Grenzen gesetzt sind. Man kann nicht gleichzeitig ununterbrochen in starkem Maße die Staatsausgaben ausweiten, Senkung der Steuern verlangen, die private Investitionstätigkeit begünstigen und fördern, eine starke Kreditexpansion zulassen, vom Staat also im gleichen Atemzug durchaus widersprechende wirtschaftspolitische Maßnahmen und trotzdem eine vernünftige Wirtschaftspolitik verlangen. Das gruppenegoistische Denken, das die Politik in der „Gesellschaft der Interessentenhaufen“ bestimmt, trübt den Blick für die Realität. Im Kreuzfeuer der Forderungen mächtiger Interessentengruppen ist es nur schwer möglich, einen sachgerechten, vernünftigen wirtschaftspolitischen Kurs zu steuern. Eines der Ventile, durch die sich dann der Überdruck in einer Volkswirtschaft entlädt, ist die Preis- Lohn-Spirale; sie bedeutet gewissermaßen eine Flucht nach vorne. Wenn es schon real nicht möglich ist, alle Forderungen zu verwirklichen, so soll es zumindest nominell geschehen. Nicht nur in Österreich, auch in vielen anderen Ländern ist die Situation ganz ähnlich.

1961 mußte das österreichische Budget konsolidiert werden. Ausgaben waren zu kürzen, der inländische Kapitalmarkt, auf dem sich der Bund in den Jahren vorher beträchtliche Mittel beschafft hatte und der für Staatspapiere fast keine Aufnahmefähigkeit mehr zeigte, wurde vom Bund heuer in einem kaum nennenswerten Maße in Anspruch genommen, die Verwaltungsschulden des Bundes wurden abgebaut, die kurzfristige Verschuldung ebenfalls vermindert.

Aber schon die Verhandlungen, die zur Erstellung des Budgets 1962 führten, haben gezeigt, daß man kaum bereit war, die Konsequenzen aus der recht unangenehmen und dem internationalen Prestige unseres Landes nicht gerade förderlichen angespannten Budgetlage 1961 zu ziehen. Eine Flut von Forderungen brach über das Finanzministerium herein. Die Budgetverhandlungen dauerten, obwohl zwei Monate früher begonnen, wieder fast bis zur letzten Stunde, die der Vorlage des Budgets an das Parlament von der Verfassung vorgeschrieben ist. Jede Interessentengruppe versuchte mit aller ihr zu Gebote stehenden Macht ihre Wünsche durchzusetzen. Die Budgetverhandlungen wurden nach der alterkannten Formel „Weniger zahlen — mehr bekommen“ geführt. Das Resultat dieser zähen Verhandlungen war aber doch ein einigermaßen tragbares Budget, das zwar von Idealvorstellungen erheblich weit entfernt ist, aber doch ein einigermaßen brauch-

bares Instrument sein wird. Die Schwierigkeiten, ein sachgerechtes Budget zu erstellen, überhaupt eine zweckentsprechende Wirtschaftspolitik zu treiben, sind nur Symptome eines gesellschaftlichen Zustandes, der für den unorganischen Pluralismus in den Gesellschaften der demokratischen Industriestaaten charakteristisch ist. Unsere Gesellschaft wird in zunehmendem Maße von Interessentengruppen, Großgruppen geprägt, die politische Macht ausüben, deren politisches Verhalten sich im Prinzip nur wenig unterscheidet und deren politische Einstellung von Stereotypen längst vergangener Epochen noch sehr stark beeinflußt ist. Wit müssen das fclaįf'įehen aih 3usį echen wenn wir in einer freien demokratischen Gesellschaft leben wollen. Die Demokratie ist eine schwierige Regierungsform, die ohne Diskussion nicht leben kann. Je offener sie ihre Probleme diskutiert, um so fester wird ihr Bestand sein.

Das Grundproblem aller Politik, auch der Finanzpolitik in unserem wie auch in anderen demokratischen Industriestaaten, liegt daher darin, den unorganischen durch einen organischen Pluralismus zu ersetzen, die gesellschaftlichen Großgruppen in eine Ordnung zu integrieren, die einerseits der dynamischen Entwicklung nicht hinderlich ist, anderseits aber die Handlungen dieser Großgruppen der Gesamtheit verpflichtet; man könnte dies als einen Zustand eines „dynamischen gesellschaftlichen Gleichgewichts“ bezeichnen. Ohne Mobilisierung der ethischen und sittlichen Kräfte wird sich eine derartige Aufgabe aber nicht bewältigen lassen. Die Machtkonzentration in unserer Gesellschaft ist bereits derartig fortgeschritten, daß das Zusammenspiel der entscheidenden gesellschaftlichen Kräfte ohne ein an ethischen Momenten orientiertes Verhalten nur noch sehr schwer möglich ist; dies um so mehr, als der Staat durch die gesellschaftlichen Großgruppen repräsentiert wird und „staatspolitisches Verhalten“ seiner Repräsentanten nur noch möglich ist, wenn sie sich dem Gemeinwohl, dem Ganzen und nicht mehr ihrer Großgruppe verpflichtet fühlen. Das aber bedingt Überwindung des Gruppenegoismus und Orientierung an ethischen Prinzipien.

Es würde zu weit führen, in einem kurzen Aufsatz alle Fragen, denen sich die Finanzpolitik im kommenden Jahr gegenübersieht, auch nur zu streifen. Es sollen daher nur einige grundsätzliche Probleme berührt werden. Die Wirtschaftsund daher auch die Finanzpolitik leiden darunter, daß der Abstand zwischen unserem Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge und der praktischen . Politik zu, Wait auseinanderklafft. Wenn -auch in den Jähren seit dem Weltkrieg nsm uxrts s&smsuAviel erreicht worden ist, sehen wir uns doch ständig im politischen Leben Situationen gegenüber, wo man versucht, Problemen unserer komplizierten Industriegesellschaft mit wirtschaftspolitischen Methoden zu Leibe zu rücken, die vielleicht vor einigen Menschenaltern zureichend gewesen sein mögen. Die Budgetverhandlungen sind ein charakteristisches Beispiel dafür. Es läßt sich aber leicht eine ganze Reihe weiterer Beispiele anführen.

Wir müssen uns daher um eine Aufklärung über wirtschaftliche Zusammenhänge, frei von interessentenpolitischen und wahltaktischen Überlegungen, bemühen. Das ist eine schwierige, kaum lösbar erscheinende Aufgabe, aber sie muß unternommen werden.

Konkret geht es im nächsten Jahr darum, unter der Voraussetzung, daß die Konjunktur gut bleibt, das Konsolidierungsprogramm fortzusetzen. Einsparungen dort vorzunehmen, wo dies möglich ist, und zu versuchen, den Staatshaushalt stärker als bisher zu einem konjunktur- und wachstumspolitischen Instrument zu machen. Der steuerpolitische Kurs soll beibehalten werden. Keine Steuererhöhungen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt Steuersenkungen, vor allem unter Wahrung familienpolitischer Gesichtspunkte. Wir müssen im Hinblick auf die europäische Integration auch trachten, ein zweckentsprechendes Kapitalmarktkonzept zu verwirklichen. Besonderes Augenmerk müssen wir der Ausbildung von Fachkräften zuwenden. Fleiß und Können sind nach wie vor die Basis für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung. Die Zukunft der freien Welt wird aber auch nicht zuletzt davon äbhängen, ob es gelingt, die Entwicklungshilfe für die jungen Staaten Afrikas und Asiens zu intensivieren und auszubauen. Österreich ist kein großes Land, unser Beitrag zur Entwicklungshilfe wird daher auch nie mit den Beiträgen der großen Staaten verglichen werden können. Österreich als neutraler Staat h’ä't1'abei‘ 'gute' MolichkeHbfil 'auf eineni Gebiet zu wirken, das vielleicht etwas zu sehr vernachlässigt worden ist: bei der Bereitstellung von Fachleuten für die und bei der Ausbildung von Fachleuten aus den Entwicklungsländern. Hier könnte Österreich zum Vorteil der Entwicklungsländer, aber auch zu seinem Vorteil, viel leisten.

Es ist unmöglich, alle Fragen, die die Wirtschafts- und Finanzpolitik betreffen, in einem kurzen Beitrag auch nur zu streifen, denn schließlich gibt es kaum ein Problem, das nicht irgendwo mit finanzpolitischen Überlegungen verknüpft ist.

Wir müssen uns aber immer eines vor Augen halten: Wir haben in Österreich in den vergangenen Jahren viel erreicht, und wir haben die Chance, auch im kommenden Jahr den recht glücklichen Zeitabschnitt der Geschichte unseres Vaterlandes um ein Jahr zu verlängern. Wir werden dies um so leichter zuwege bringen, je mehr wir uns bemühen, unser Tun und Handeln auf das Gemeinwohl auszurichten, je offener und ehrlicher wir in demokratischer Weise unsere Probleme diskutieren und gemeinsam losen.

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