7107609-1995_38_06.jpg
Digital In Arbeit

Gewaltige Unterschiede

19451960198020002020

Die Reformstaaten Mittel-und Osteuropas sind religiös noch unterschiedlicher als westliche Staaten.

19451960198020002020

Die Reformstaaten Mittel-und Osteuropas sind religiös noch unterschiedlicher als westliche Staaten.

Werbung
Werbung
Werbung

Auch wenn man nur die Situation der Katholiken betrachtet, zeigt sich, daß die Unterschiede etwa zwischen Polen und Tschechien noch größer sind als jene zwischen dem traditionell katholischen Irland und dem weitgehend religiös gleichgültigen Frankreich. Selbst in den einzelnen Ländern gibt es regional große Unterschiede.

Am wenigsten religiös ist Tschechien. Bei einer Meinungsumfrage 1994 gaben 24 Prozent der Tschechen an, an Gott zu glauben. In Nordböhmen, nach dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend von Zuwan-derern besiedelt, nennen sich sogar nur zehn Prozent gläubig. Höhere Zahlen gibt es von Südböhmen und Mähren. Eine Untersuchung weist bei einer Rangordnung über Religiosität, Christlichkeit und Kirchlichkeit von 26 Staaten in Europa und Nordamerika Tschechien den letzten Platz zu. In letzter Zeit ist oft zu hören, die Kirche habe die hohe moralische Autorität, die sie zur Zeit der Wende gehabt hatte, verspielt. Zu lange war nur über Streitigkeiten mit der liberalen Regierung über die Rückgabe des von den Kommunisten enteigneten Kircheneigentums zu lesen. Hier ist nach wie vor keine Lösung erzielt worden.

Wesentliche Gründe für die Entchristlichung stammen aus der vorkommunistischen Zeit (Hussitenkriege, Ablehnung der Habsburgerherrschaft). Die besonders strenge Verfolgung in der ersten Phase des Kommunismus und in den siebziger Jahren scheint weniger prägend gewesen zu sein, da in der Slowakei die Situation ganz anders ist.

In der Slowakei gaben 1993 33 Prozent der Bevölkerung an, jeden Sonntag zur Messe zu gehen (Tschechien neun Prozent). Auffallend ist die hohe Zahl an Seminaristen. Sowohl in Tschechien als auch in der Slowakei herrscht eine relativ starke Angst vor westlicher Theologie. „Ex Oriente lux, ex occidente luxus” heißt ein Schlagwort. Es scheint, daß das Zweite Vatikanum nur sehr zögernd rezipiert wird - abgesehen von der Liturgieform.

Hingegen gibt es in Polen weniger Berührangsängste mit dem Westen. Die Kirche genoß während der späteren kommunistischen Zeit mehr Freiheit als in anderen Ostblockländern und konnte Theologen zum Studium ins Ausland schicken. 97 Prozent der Polen sind katholisch, 65 Prozent gaben 1991 an, mindestens wöchentlich zur Messe zu gehen. In einer Pfarrkirche in einem Warschauer Außenbezirk kann man sogar an Werktagen acht Messen finden, bei allen sind die Sitzplätze voll besetzt. Die Kirche besuchen in den Großstädten vorwiegend ältere Leute. Die Zahl der Seminaristen ist zurückgegangen. Derzeit ist jedenfalls Polen das Land mit der höchsten Kirchlichkeit in Europa, gefolgt von Irland.

In Kroatien, wo 76 Prozent der Bevölkerung (78 Prozent sind Kroaten) angeben, katholisch zu sein, gilt, wie in Polen, daß die Kirche fast immer auf der Seite des Volkes stand, was neben der Nachbarschaft zur Orthodoxie und zum Islam wesentlich zur Identifikation der Kroaten mit der katholischen Kirche beigetragen hat. Gegenden mit starkem kirchlichen Leben, wie etwa der Za-grebacka Okolnica, stehen aber die religiös weitgehend desinteressierten Hafenstädte Rije-ka und Split gegenüber.

Auch in Slowenien bilden die Katholiken die Mehrheit (69 Prozent), 23 Prozent der Bevölkerung besuchten 1991 sonntags die Messe. Für den ganzen katholischen Teil des ehemaligen Jugoslawien gilt, daß das II. Vatikanum verhältnismäßig sorgfältig rezipiert wurde, wenngleich die Landeskirchen nach wie vor eher klerikal'geprägt sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung