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Gibraltar bis Oktober räumen?

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In Kürze wird die spanische Regierung erneut mit dem Ersuchen an Großbritannien herantreten, die Gespräche über die Zukunft Gibraltars wiederaufzunehmen. Die Zeit rückt nämlich näher, da Spanien höchstwahrscheinlich wieder einmal auf Großbritannien und den Felsen sozusagen „Jagd machen wird“. Was Gibraltar angeht, so scheint es, als versetze der Frühling Madrid in einen unbezwingbaren Tatendrang. Dieser Zug hat sich in den drei letzten Jahren regelmäßig wiederholt, und es besteht kein Grund zu der Annahme, daß Spanien die Briten in diesem Jahr unbehelligt lassen wird.

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In Kürze wird die spanische Regierung erneut mit dem Ersuchen an Großbritannien herantreten, die Gespräche über die Zukunft Gibraltars wiederaufzunehmen. Die Zeit rückt nämlich näher, da Spanien höchstwahrscheinlich wieder einmal auf Großbritannien und den Felsen sozusagen „Jagd machen wird“. Was Gibraltar angeht, so scheint es, als versetze der Frühling Madrid in einen unbezwingbaren Tatendrang. Dieser Zug hat sich in den drei letzten Jahren regelmäßig wiederholt, und es besteht kein Grund zu der Annahme, daß Spanien die Briten in diesem Jahr unbehelligt lassen wird.

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Als Jagdwaffe hat Spanien eine Resolution in Händen, die von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde und auf die es sehr stolz sein muß. Spanien verdient Anerkennung dafür, daß es die Mehrheit der Vollversammlung auf die eine oder andere Weise zur Verabschiedung dieser Resolution bewegen konnte. Nichtsdestoweniger wird diese im Dezember 1968 verabschiedete Entschließung (Nr. 2429) ine der unrealistischsten der Vollversammlung bleiben. Es heißt darin, die Beibehaltung des kolonialen Status in Gibraltar sei unvereinbar mit den Grundsätzen der UN-Charta. Folglich wird Großbritannien aufgefordert, sich bis spätestens 1. Oktober 1969 aus Gibraltar zurückzuziehen.

In einer Welt der Vernunft ist es undenkbar, daß Spanien die Stirn besitzen könnte, einer geordneten, demokratischen Gemeinschaft Loyalität gegenüber einer Regierung abzuverlangen, die durch Verhängung des Ausnahmezustands über das ganze Land Unruhen, wenn nicht gar Revolution der einen oder anderen Art vorzubeugen sucht. Es ist wohl kaum eine sichere Heimat für eine Gemeinschaft, die eine demokratische Lebensweise ohne jegliche Vorschriften seitens des Staats gewohnt ist, unter dessen Oberhoheit sie steht.

Aus Gründen, die wohl nur die spanische Regierung selber kennt, hat sie einen Kollisionskurs gegenüber Großbritannien eingeschlagen, aus dem sie nun kaum noch heraus kann. Unter Ausschalten der Vernunft wendet sie jetzt ihren ganzen politischen Scharfsinn auf, um Großbritannien in ein Netz von Argumenten zu verstricken, die einfach zu keiner positiven Lösung führen können. Das logische Ergebnis eines solchen Kurses wäre zwangsläufig die Anwendung von Gewalt, falls alles andere versagt. Ob Spanien so weit gehen würde, ist zweifelhaft. Absolut sicher hingegen ist, daß Spanien unter Anwendung jeder nur denkbaren Taktik seine eigene Bedeutung in den Augen der Welt so zu steigern suchen wird, daß man ihm schließlich keinerlei Widerstand mehr entgegensetzen kann. Die Mittel, deren es sich bei seinen Versuchen-bedient, Gibraltar wirtschaftlich zu ruinieren, sind noch lange nicht erschöpft.

Spaniens Gibraltarkomplex, der in manchen Aspekten fast pathologisch ist, wird verdeutlicht durch die Art und Weise, wie es mit West und Ost gleichzeitig flirtet. Es kam bereits zu einigem harten Feilschen bei den Verhandlungen über eine Erneuerung des Abkommens, dem zufolge die Vereinigten Staaten Stützpunkte auf spanischem Boden unterhalten. Wahrscheinlich wird das Abkommen erneuert, jedoch nicht zu den Bedingungen, die Spanien forderte. Die Tatsache, daß diese Basen keinem anderen Zweck dienen als zur Unterstützung der amerikanischen Strategie im Mittelmeerraum als Teil von Amerikas Beitrag zur Verteidigung der westlichen Welt, hat Spanien nicht davon abgehalten, sowjetischen Schiffen die Benutzung südspanischer Häfen zum Bunkern und zur Versorgung mit Nahrungsmitteln anzubieten. Sucht Spanien möglicherweise auf diesem Weg sowjetische Handelsschiffe von Gibraltar wegzulocken, wo sie seit vielen Jahren sowohl Gastlichkeit genießen wie auch zum Handel des Felsens beitragen?

Die neue Verfassung für Gibraltar nähert sich jetzt ihrer Vollendung und wird in den nächsten Monaten verkündet werden. In einer Präambel, die mit der jetzigen Regierung von Gibraltar und mit alle Schichten der Bevölkerung vertretenden Delegationen vereinbart wurde, wird ausdrücklich erklärt werden, daß Gibraltar Teil der britischen Dominien ist und so lange bleiben wird, bis ein Parlamentsgesetz etwas anderes bestimmt. Darüber hinaus wird darin niedergelegt werden, daß die britische Regierung die Bewohner Gibraltars niemals gegen ihre frei und demokratisch zum Ausdruck gebrachten Wünsche einem anderen Staat überantworten wird. Das ist Großbritanniens letztes Wort, und dahinter stehen sowohl Regierung wie Opposition. Jetzt ist es Sache der Welt, und dazu kann man ja wohl auch die Vollversammlung der Vereinten Nationen rechnen —, zu beurteilen, was an erster Stelle kommt: Humanität oder Herrschaftsanspruch.

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