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„Glaubwürdigkeit hat gewonnen ”

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B. Ferrero-Waldner über den VP-Erfolg bei der EU-Wahl, Österreichs Stimme in der Union und die Reformbestrebungen der EU-Regierungskonferenz.

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B. Ferrero-Waldner über den VP-Erfolg bei der EU-Wahl, Österreichs Stimme in der Union und die Reformbestrebungen der EU-Regierungskonferenz.

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DIEFURCHE: Frau Staatssekretärin, die EU-Wahlen sind geschlagen, undman könnte fetzt provokant fragen Ist das Ganze eigentlich nicht relativ bedeutungslos: ob von über 200 Sozialdemokraten im Europaparlament nun zwei Österreicher weniger in Straßburg sitzen, ob die rund 170 europäischen Christdemokraten nun einen ÖVP-Kandidaten dazugewinnen - das ist ja aus EU-Perspektive nicht wirklich bedeutend

Benita Ferrero-Waldner: Wenn Sie es vom Europäischen Parlament her sehen, haben Sie sicher recht. Aber man muß es halt doch vom Land her sehen - ein mittleres Land hat sei -ne 21 Abgeordneten gewählt; und daß wir hier die stärkste Partei geworden sind, ist für uns natürlich ganz wesentlich.

DIEFURCHE: Überwiegt bei Ihnen eigentlich die Freude über den Erfolg Ihrer Partei, der ÖVP, oder doch die Sorge, daß eine massiv auf Anti-EU-Stimmung setzende Bewegung fast genauso stark wie die Regierungsparteien geworden ist?

Ferrero-Waldner: Also ich würde sagen, es überwiegt bei mir sicher die Freude, daß wir die stimmenstärkste Partei geworden sind - deshalb, weil wir immer auf Linie geblieben sind. Aber es erfüllt mich natürlich mit Sorge, daß ein Drittel der Bevölkerung für einen sehr ablehnenden EU-Kurs gestimmt hat.

DIEFURCHE: Wenn ich Sie jetzt frage, ob das VP-Ergebnis nicht in erster Linie ein Efolg der Frau Stemel war, dann werden Sie mir sagen, daß dahinter ein ganzes Team steht, das für bestimmte Inhalte eintritt Aber ist es nicht doch so, daß die Volkspartei diesmal einfach die glücklichste Hand bei der Auswahl des Spitzenkandidaten gehabt hat, die zugkräftigste Person an der Spitze ihrer EU- Wahlliste, und daß das bei der Wahl eben mehr gezählt hat, als europapolitische Themen?

Ferrero-Waldner: Der Effekt Sten-zel hat sicher eine Bolle gespielt. Und den Trend zur Personalisierung in der Politik gibt es nun einmal. Es wurde eben eine bekannte, glaubwürdige Journalistin aus dem außenpolitischen Bereich gewählt. Aber es war sicher auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Partei als solcher. Da haben natürlich die ganzen innenpolitischen Dinge - Sparpaket et cetera -stark hineingespielt. Unsere Partei hat vorher schon immer gesagt: so ist es, und so ist es dann auch gekommen. Das war sicher mit ausschlaggebend für die Wahlentscheidung bei vielen.

DIEFURCHE: Aber müßte nicht ebendies zu denken geben, daß diese innenpolitische Dimension viel mehr Rolle spielt, während wirklich relevante europäische Fragen kaum thematisiert worden sind?

Ferrero-Waldner: Ich glaube, das ist natürlich aus der Sicht eines Menschen, der tagtäglich mit diesen Dingen zu tun hat, schade. Aber es ist auch irgendwie verständlich, denn es ist für den einzelnen Bürger oft sehr schwer, über die vielfach sehr komplexe Materie wirklich gut informiert zu sein. Es ist ja selbst für uns Politiker nicht leicht: wir müssen dauernd dran bleiben. Für diejenigen, die damit aber nicht berufsmäßig zu tun haben, ist es noch viel schwieriger, sich auf europäischer Ebene wirklich genau aus-zukennen: Gentechnik, Umweltschutz, Währungsunion - hier immer halbwegs auf dem aktuellen Stand der Debatte zu sein, ist sehr schwierig.

DIEFURCHE: Gibt es da in puncto Information also eine Bringschuld der Politik? ferrero-Waldner: In erster Linie, würde ich sagen, ja. Aber ich glaube schon auch, daß ein verantwortungsvoller Bürger sich mit diesen Dingen von sich aus auseinandersetzen sollte, und daß es auch dazu Gelegenheit gibt, wenn man will. Also der Vorwurf, daß hier von Seiten der Politik gar nichts passiert, den lasse ich auch nicht gelten.

DIEFURCHE: Aber man müßte dann bei künftigen EU-Wahlkämpfen wohl auch mehr Mut haben, zentrale europapolitische Fragestellungen anzusprechen.

Ferrero-Waldner: Ja, das ist absolut richtig.

DIEFURCHE: Vizekanzler Schüssel hat erklärt, das gute Abschneiden der VP freue ihn auch als Außenminister, schließlich sei er ja „die Stimme Österreichs” in der Union. Genau diese Stimme wird gerade von Befürwortern der Integration oft vermißt Die österreichische Europapolitik zeichnet sich ja derzeit nicht gerade durch Engagement oder gar Visionen aus. Ferrero-Waldner: Das eben sehe ich überhaupt nicht so. Der Eindruck mag so sein, da haben Sie recht. In der Presse werden vor allem die Dinge herausgestellt, die besonders wichtig für Osterreich sind, oder die konflik-tiv sind. Aber die Themen sind da, und wir arbeiten daran. Und wir haben auch zu den einzelnen Themen eigene Stellungnahmen erarbeitet, die so etwas wie eine österreichische Position widerspiegeln.

B. Ferrero-Waldner:

Maastricht ii wird nicht die große Reform. Aber Europa hat sich auch bis jetzt immer in kleinen Schritten entwickelt.

DIEFURCHE: Wo müßte denn Österreich Ihrer Meinung nach künftig besonders deutlich seine Stimme erheben Was sind die Themen, wo wir sagen, da sind wir ganz vorn dabei? ferrero-waldner: Beispielsweise die Osterweiterung, beispielsweise der Umweltschutz. Oder: es hat eine Initiative von Außenminister Schüssel gemeinsam mit den Italienern in Sachen Menschenrechte auf Unionsebene gegeben; Beschäftigung, haben war schon gesagt, ist für uns ein wichtiges Thema. Es ist so, daß jeder seine Ideen einbringt, und auch wir bringen unsere Ideen ein. Wir versuchen so etwas wie eine Österreichisierung der EU — warum denn eigentlich nicht?

DIEFURCHE: Das erinnert mich ein bißchen an das - mittlerweile auch in Vergessenheit geratene - Wort vom „Feinkostladen Europas” ... Ferrero-Waldner: Nein, ich kann auch aus eigener Erfahrung unsere Einflußmöglichkeiten einschätzen und kenne die Position eines kleinen Landes. Das hat nichts mit Präpotenz zu tun, das wäre auch völlig falsch. Aber um diesen Einfluß muß man sicher kämpfen. Es gibt ja beispielsweise die Bestrebungen, die Zahl der Kommissare zu limitieren, und da muß ich sagen: ein EU-Kommissar ist für Österreich völlig unverzichtbar.

DIEFURCHE: Muß man da aber nicht ehrlicherweise sagen man kann nicht gleichzeitig für die Erweiterung und für die Beibehaltung der Strukturen sein, wenn die Union handlungsfähig bleiben soll? Werden da nicht auch die kleinen Länder Abstriche machen müssen?

FerreRO-WaI-DNER: Bichtig ist sicher, daß wir da was reformieren müssen. Aber ich würde sagen, ein Vertreter in der Kommission steht für uns nicht zur Disposition. Dafür sind wir etwa bei der Frage der Mehrheitsentscheidungen sehr gesprächsbereit.

DIEFURCHE: Die Vorbereitungen Österreichs auf seine erste EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 1998 laufen bereits auf Hochtouren Bis dann sollten sich auch bei der Regierungskonferenz konkrete Ergebnisse abzeichnen Bislang sieht die Bilanz dieser Reformkonferenz noch nicht sehr glorreich aus ... Ferrero-Waldner: Da darf ich aber schon sagen, daß das auch nicht zu erwarten war. Da wurden vielleicht von vornherein schon überzogene Erwartungen produziert. Vorgesehen war zunächst ein langsames Vortasten und Abklären der Positionen.

DIEFURCHE: Würden Sie sich also auch zu denen zählen, ndie prophezeien Maastricht II wird kein großer Wurf? ferrero-waldner: Nein, das habe ich damit nicht gesagt. Ich meine, ich glaube nicht, daß es die große Beform wird. Aber Europa hat sich auch bis jetzt immer in kleinen Schritten entwickelt.

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