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Globale Medieninszenierung und revolutionäres Pathos

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Es ist nicht zuletzt dem österreichischen Botschafter Artur Schuschnigg zu verdanken, daß alle Europäer kurz vor Weihnachten aus der Geiselhaft in der japanischen Botschaft in Lima entlassen wurden. Dies erfuhr die furche aus deutschen diplomatischen Kreisen.

Schuschnigg, der als sogenannte „VIP-Geisel“ im ersten Stock der von linksgerichteten Terroristen der „Revolutionären Bewegung Tupac Amaru“ (MRTA) besetzten Rotschaft untergebracht war, hatte als dienstältester europäischer Diplomat die Sprecherrolle für die europäischen Geiseln übernommen. Zu dieser Zeit befanden sich noch Diplomaten aus der Rundesrepublik Deutschland, Spanien, Schweden, Tschechien, der Slowakei und Rulgarien in der Hand der Geiselnehmer. Schuschnigg machte den Terroristen erfolgreich klar, daß er die Botschaft erst verlassen würde, wenn ausnahmslos alle -auch nicht aus EU-Ländern stammenden - Europäer freigelassen würden. Der 61 jährige setzte seine Forderungen durch und erreichte, daß alle europäischen Geiseln am 22. Dezember aus der Geiselhaft entlassen wurden. Ein Diplomat des deutschen Außenamtes bestätigte, daß diese Initiative vor allem die drei Diplomaten aus Tschechien, der Slowakei und Bulgarien - deren Länder als Nicht-EU-Staaten sehr wenig Verhandlungsgewicht hatten - vor weiteren Tagen und Wochen der Angst bewahrt habe. Der österreichische Botschafter wurde als Vertreter eines EU-Mitgliedsstaates von der MRTA sehr ernst genommen. Die Kooperation zwischen Bonn, Wien und den anderen EU-Staaten hat laut deutschem Außenministerium vorbildlich funktioniert.

Die Geiselnahme, die in der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember begann und seitdem die Welt in Atem hält, wird von absoluten Profis durchgeführt. Die Gefangennahme von mehr als 600 Menschen, darunter Spitzen funktionäre aus Politik und Wirtschaft, hat bisher eines bewirkt: selbst wenn die prokubanische MRTA keines ihrer als unrealistisch geltenden Ziele durchsetzt (die Änderung der peruanischen Wirtschaftspolitik, Entlassung Hunderter inhaftierter Gesinnungsgenossen sowie die Zahlung einer „Kriegssteuer“), so ist es den Terroristen jedenfalls gelungen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nachhaltig auf sich zu lenken. So setzten Rebellenführer Nestor Gerpa und seine Mitstreiter nicht nur die Pressekonferenzen aus dem besetzten Botschaftsgebäude wirkungsvoll in Szene. Daß die Entlassung von 225 Geiseln am 22. Dezember gerade zur Hauptsendezeit der peruanischen Nachrichten um 21 Uhr Ortszeit erfolgte, zeigt, wie professionell die Terroristen agieren. Es war auch kein Zufall, daß die Freigabe der europäischen Geiseln genau rechtzeitig passierte, um die gute Nachricht auf den Titelseiten der Weihnachtsausgaben aller wichtigen Tageszeitungen Europas plazieren zu können. Die Geiselnehmer haben Fingerspitzengefühl für eine globale Medieninszenierung bewiesen.

Dabei ist die MRTA eigentlich die kleinere und mit ein paar hundert Anhängern bei weitem schwächere Guerillabewegung Perus. Seit der Festnahme ihres Gründers und Führers Victor Polay im Juni 1992 galt sie außerdem als besiegt. Die wesentlich größere, maoistisch orientierte peruanische Untergrundbewegung, der „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad), hat nach Schätzungen internationaler Reobachter über 20.000 Mitglieder. Den Sieg über den Terrorismus hat Perus Staatspräsident Alberto Fujimori wohl zu voreilig ausgerufen.

Der japanischstämmige Fujimori („El Chino“ genannt) hatte 1990 ein - völlig heruntergewirtschaftetes Land von Alan Garcia übernommen. Mit der Hilfe einer umstrittenen neo-liberalistischen Wirtschaftspolitik und internationaler - vor allem japanischer - Geldgeber brachte es Peru innerhalb eines halben Jahrzehnts zum wirtschaftlichen Vorzeigeland Lateinamerikas. Die Hoffnung, der neue Reichtum der Oberschicht und deren verstärkter Konsum käme nun langsam auch der armen Bevölkerung zugute, wurde bisher bitter enttäuscht. Fujimoris Wirtschaftspolitik vergrößerte die soziale Kluft zwischen Arm und Beich, ein idealer Nährboden für Terrorakte.

Fujimoris rigorose Antiterrorpolitik hatte das gespaltene Land vorerst nach innen befriedet. Erkauft hat sich Präsident Fujimori diesen Erfolg laut amnesty international (ai) auch mit schweren Menschenrechtsverletzungen. Immer noch dokumentiert ai Fälle von entführten und getöteten Menschen in Peru, nach wie vor gibt es Hinrichtungen ohne ordentliche Verfahren, steht Folter in den Gefängnissen des Landes auf der Tagesordnung.

Trotzdem können die 'Terroristen der Tupac Amarü nicht auf die Unterstützung der peruanischen Bevölkerung zählen. Zu tief sind die Wunden, die im jahrelangen Bürgerkrieg zwischen Regierung und Guerilla den Menschen in Peru gerissen wurden. Beide Seiten haben sinnlos Zivilisten getötet und verschleppt. Zwei bis drei Personen sollen es täglich gewesen sein, 15 Jahre lang. Experten sprechen von insgesamt bis zu 100.000 Opfern seit Beginn der achtziger Jahre.

Das Schicksal der 74 in der besetzten Botschaft verbliebenen Geiseln -darunter auch Fujimoris Bruder Pedro, Perus Außenminister Tudela, japanische Geschäftsleute und rund 25 aktive oder pensionierte Kadermitglieder der peruanischen Sicherheitsbehörden - ist nach wie vor völlig unklar. Für diplomatische Beobachter aus dem Ausland ist sowohl eine friedliche lÄung wie auch ein Eingreifen der Sicherheitskräfte denkbar. Im Kampf gegen die Guerilla hat sich Präsident Fujimori bisher immer als unnachgiebiger Gegner erwiesen. Scheinbar wartet man nur auf einen Fehler der Terroristen, um die Botschaft stürmen zu können.

Experten hoffen trotzdem aufgrund des starken internationalen Druckes auf eine Kompromißlösung. Den Weg hierfür hat das Geiseldrama von 1980 in Bogota vorgezeigt: die Geiselnehmer durften damals nach der Freilassung aller Geiseln unbehelligt nach Kuba ausreisen.

Der Autor ist freier Journalist.

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