Gysi

Gregor Gysi: "Mit Putin bin ich fertig"

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Die Geheimdiplomatie ist das letzte Mittel, um das Blutbad in der Ukraine zu stoppen, sagt Gregor Gysi. Über Abrüstung angesichts der Angst vor Angriffen.

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Die Geheimdiplomatie ist das letzte Mittel, um das Blutbad in der Ukraine zu stoppen, sagt Gregor Gysi. Über Abrüstung angesichts der Angst vor Angriffen.

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Seit dem Fall der Berliner Mauer prägt Gregor Gysi das politische Geschehen Deutschlands auf der Oppositionsbank mit. Angesichts des Krieges in der Ukraine fordert der außenpolitische Sprecher von Die Linke, die parteiinterne Haltung gegenüber Russland zu überdenken. Ein Gespräch über die atomare Bedrohung, die Rolle von China, das Prinzip der nationalen Selbstversorgung und den falschen Umgang mit Putin-Freund Gerhard Schröder.

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DIE FURCHE: Herr Gysi, welche Worte finden Sie zur Situation in der Ukraine?
Gregor Gysi
: Der Einmarsch der russischen Truppen war ein schwarzer Tag für die Welt. Ein Angriffskrieg ist im Völkerrecht immer verboten. Es kennt nur den verbotenen Angriffskrieg und den erlaubten Verteidigungskrieg. Ich bin zutiefst unglücklich, dass wir das erleben müssen.

DIE FURCHE: Abseits der noch ganz jungen Verhandlungen von Delegierten an der Grenze zu Belarus - sehen Sie noch irgendwo einen Anhaltspunkt, um den Einsatz von flächendeckenden Waffen zu verhindern?
Gysi:
Wahrscheinlich müssen wir zu einem Mittel greifen, das ich ansonsten gar nicht mag: Geheimdiplomatie. Da werden Leute, von denen wir das gar nicht wissen, hingeschickt, um Gespräche zu führen, die roten Linien aufzuzeigen. Es geht darum, das eigentliche Motiv herauszufinden. Also, was Russland wirklich will.

DIE FURCHE: Haben Sie eine Idee?
Gysi:
Ich vermute, Putin will die Don-Gebiete. Aber genau das muss man eben herauskriegen. Auch dieser Ausgang wäre völkerrechtswidrig, aber er wäre immer noch weniger dramatisch, als wäre die ganze Ukraine besetzt. Auf Letzteres scheint es im Augenblick hinauszulaufen. Aber: Vielleicht will Putin nur, dass der ukrainische Präsident und alle anderen Regierungsmitglieder aufgeben und er dann die Bedingungen diktieren kann. Aber weil wir das nicht wissen, müssen wir zum Mittel der Geheimdiplomatie greifen. Dafür brauchen wir neutrale Staaten wie Österreich, Finnland oder Schweden.

DIE FURCHE: In einem Interview aus dem Jahr 2014 mit dem Tagesspiegel sagten Sie: "Ich bin Putin nie begegnet, aber mir ist gesagt worden, er würde wenig langfristige Entscheidungen treffen, sondern Entscheidungen nur über die nächsten 48 Stunden hinweg." Wie gültig ist dieses Zitat im Jahr 2022 noch?
Gysi:
Ich kenne Putin immer noch nicht. Doch tatsächlich scheint er zu kurzfristigen Entscheidungen zu neigen. Aber den Krieg gegen die Ukraine muss er ja schon länger geplant haben. Als Olaf Scholz in Moskau war (Februar 2022; Anm.), dürfte Putin ihm bereits ins Gesicht gelogen haben.

Ich identifizierte bei Putin zwei lang gewachsene Motive: Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden aus 27 Millionen Russinnen und Russen, die bis dahin Inländerinnen und Inländer waren, Ausländerinnen und Ausländer. Die wohnten ab diesem Zeitpunkt in den ehemaligen Sowjet-Gebieten. Während sie vorher eine Mehrheit waren, wurden sie plötzlich zur Minderheit. Und diesen Minderheiten wurde es am Ende noch schwer gemacht, Pässe zu bekommen. In Estland wird verlangt, dass man die russische Staatsbürgerschaft abgibt und perfekt estnisch spricht. Und auf diese 27 Millionen bezieht sich Putin immer wieder. Mein Kollege Graf Lambsdorff (FDP-Politiker und Diplomat, Anm.) hat indes gemutmaßt - und das könnte stimmen -, dass Putin in den Grenzen des letzten Zarenreiches denkt, nicht in jenen der Sowjetunion. Das bedeutete dann allerdings, dass er sich die Ukraine ganz holen will.

DIE FURCHE: Dass Putins Verhalten vor allem als eine Reaktion auf die Hilfeschreie von ehemaligen Russen zu verstehen ist, darf angezweifelt werden. Schließlich präsentiert er der Welt gerade, dass es ihm vor allem um sein eigenes Projekt geht.
Gysi:
Nicht ganz. Der Apparat wirft Putin ja vor, dass er nur die Krim geholt hat und den Donbass nicht gleich mit. Stattdessen war es immer ein schwelender Konflikt mit permanenten Todesopfern. Die haben sich über Jahre gegenseitig beschossen. Das darf man nicht unterschätzen: Auch ein Diktator braucht einen Apparat. Denn wenn dieser nicht mehr richtig funktioniert, dann funktioniert auch die autoritäre Struktur nicht mehr richtig.

Gleichzeitig möchte ich schon betonen: Das, was im Krieg immer stirbt, ist die Wahrheit. Ich wollte nicht rechtfertigen, was Putin getan hat, ich wollte nur erklären, wie diese Situation zustande gekommen sein könnte. Das Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer scheint Putin in der Tat völlig gleichgültig zu sein.

Russland ist in der Lage, uns zu zerstören. Wenn eine Atombombe wirklich startet, dann haben wir den dritten Weltkrieg. Dann ist die Menschheit so gut wie beseitigt. Punkt.

Die Furche: Putins Kaltblütigkeit versetzt die Welt in Schrecken. Er hat Russlands Status als Atommacht betont, was einer Drohung gleichkam. Wie ernst nehmen Sie das?
Gysi:
Wenn eine Atombombe wirklich startete, dann hätten wir den dritten Weltkrieg. Dann ist die Menschheit so gut wie beseitigt. Punkt. Ich hoffe, die Drohung war zu verstehen wie das Verhalten eines trotzigen Kindes. Heißt: Um seinen Willen zu kriegen, sind ihm alle Drohungen recht. Er könnte gehofft haben, dass seine Worte den Westen dazu bringen, die ukrainische Regierung zur Kapitulation zu drängen. Aber ich weiß schlicht nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Ich klopfe hier dreimal auf Holz und sage: Ich glaube nicht, dass er eine Atomwaffe einsetzt. Zugespitzt formuliert: Das braucht er auch gar nicht. Militärisch ist er der Ukraine sowieso überlegen. Anders wäre es, wenn es zu einem Krieg zwischen Russland und den USA käme. Dann könnte die Seite, die sich unterlegen fühlt, dazu neigen, die Atombombe einzusetzen.

Ich habe einmal einen langen Aufsatz gelesen, in dem stand: Wenn es wirklich zu einem atomaren Weltkrieg kommt, bleibt von den USA nichts übrig und von Russland doch noch Teile der Taiga. Aber die Menschen würde es dann wohl nicht mehr geben.

Die Furche: Sie sind außenpolitischer Sprecher der Partei "Die Linke", der stets Russlandfreundlichkeit nachgesagt wurde. Sie wurden auch in den vergangenen Tagen scharf angegriffen, von Historikern "Märchenerzähler" genannt. Nun haben Sie sich in einem offenen Brief von früheren Aussagen distanziert und schlagen Ihrer Partei einen Kurswechsel in puncto Außenpolitik vor. Was heißt das konkret?
Gysi:
Ich meine damit, dass wir uns von bestimmten Vorstellungen verabschieden müssen. Russland ist jetzt ein autokratisches Land. Und der Chef von diesem Land hat einen völkerrechtswidrigen verbrecherischen Angriffskrieg begonnen. Ich für meine Person bin mit dieser russischen Führung restlos fertig. Natürlich mag die Aufnahme von 14 Mitgliedsstaaten in die Nato der Bruch eines Versprechens gewesen sein - aber jetzt hat die Nato jedenfalls keinen einzigen Fehler begangen, der den Krieg Putins rechtfertigte. Und das muss auch meine Partei begreifen. Mit anderen Worten: Die Linke steht vor einer Zäsur.

Wenn jetzt Länder wie Finnland oder Schweden darüber nachdenken, ob sie nicht doch Mitglied der Nato werden, um sich vor einem möglichen Angriff zu schützen, dann kann ich das diesen Ländern gar nicht mal übelnehmen. Früher hätte ich das scharf kritisiert. Wir müssen über eine neue Friedensordnung nachdenken.

Navigator mit Faksimile - © Fotobearbeitung: Manuela Tomic

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Die Furche: Braucht man für diese Erkenntnis den Krieg in der Ukraine? Von der Unfreiheit der Medien bis hin zu bewaffneten Konflikten in der Vergangenheit - in demokratiepolitischer Hinsicht ist eine pro-russische Argumentation schon lange problematisch.
Gysi:
Es ist ja nicht so, als hätte ich das nicht kritisiert. Aber der Westen ist in seiner Sicht auch sehr einseitig. Die Menschenrechtsverletzungen in Saudiarabien werden viel schwächer verurteilt als in anderen Ländern. Die Maxime lautet: Wenn es im eigenen Interesse liegt, den anderen zu verurteilen, dann geschieht das rasch. Ist es nicht im eigenen Interesse, dann ist es nicht so eilig. Stichwort Jemen. Und genau davon will ich mich lösen.

Die Furche: Welche Lösungen schlagen Sie vor? Die Linke hat gegen den jüngsten Beschluss des Bundestages gestimmt, das Verteidigungsbudget zu erhöhen und ein Sonderbudget in der Höhe von 100 Milliarden für die Bundeswehr sicherzustellen. Kann man in diesem Fall Ihrer Meinung nach den Frieden ohne Aufrüstung zurückbekommen?
Gysi:
Zwei Dinge dazu. Erstens hat die Ukraine selbstverständlich ein Selbstverteidigungsrecht. Deutschland sollte zwar keine Waffen liefern, was an unserer Geschichte liegt, aber wir können nicht sagen, dass auch die anderen Länder nichts machen dürfen. Das zweite ist: Schon jetzt gibt die Nato für Armeen und Rüstung ein Vielfaches von dem aus, was Russland dafür ausgibt. Hat das den Krieg verhindert? Und wenn man nochmal das Dreifache ausgeben wird, auch dann verhindert das einen Krieg nicht. Wir müssen, so seltsam das in dieser Zeit klingt, so viele Abrüstungsabkommen versuchen wie nur möglich. Man muss also genau den umgekehrten Weg gehen.

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