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Grenzen des Proporzes

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Wiederholt wurde schon festgestellt, daß der Wiederaufbau unseres Vaterlandes nach den Verheerungen des letzten Krieges dem Zusammenwirken der beiden staatstragenden Parteien zu verdanken ist. Auf sich selbst gestellt, hätte keine der Parteien ein so eindrucksvolles Werk vollbringen können.

Nun darf aber nicht verschwiegen werden, daß sich aus der Zusammenarbeit von manchmal sehr gegensätzlichen Kräften Gepflogenheiten entwickelt haben, die in steigendem Maß das Mißvergnügen des Volkes und die ernste Sorge verantwortungsbewußter Mitbürger hervorrufen. Die Parteien präsentieren nämlich für ihr Werk prompt die Rechnung, indem sie nicht nur in der Politik, sondern in allen Zweigen des öffentlichen Lebens eine fein säuberliche Teilung des Einflusses vornehmen. Dadurch erwecken viele öffentliche Einrichtungen bereits den Eindruck, daß sie Unternehmungen einer Partei und nicht mehr des Staates seien.

Zugegeben, daß die Parteien für ihre Mitglieder sorgen und sie nach Kräften fördern wollen, so dürfte dies nicht jenen Rahmen übersteigen, der durch das Gemeinwohl begrenzt wird. Die Parteien entfalten ja keineswegs die alleinigen aufbauenden Kräfte. Die Treue und Gewissenhaftigkeit anderer Gemeinschaften und vieler Einzelner, deren Opferbereitschaft und Verzicht darf ein zwar nicht leicht wägbares, so doch maßgebliches Verdienst an den Erfolgen der letzten Jahre für sich buchen.

Darum gebührt auch dem Wort des einfachen Mitbürgers Beachtung und er kann verlangen, daß seine Bedenken, die zugleich von vielen anderen geteilt werden, gehört und berücksichtigt werden.

Das allgemeine Wohl verlangt von den öffentlichen Berufen, die der Gesamtheit des Volkes zu dienen haben, daß sie ungehindert und ohne Steuerung seitens der Parteien ihren Aufgaben nachgehen können. Dies betrifft insbesondere die Beamten des öffentlichen Dienstes, die Lehrer der Pflicht- und Mittelschulen und die künftigen Angehörigen des Bundesheeres. In die Hand dieser drei Gruppen ist die ruhige Entwicklung eines freien Staatswesens gelegt.

Das Vertrauen in die Beamtenschaft und damit in die,Staatsführung müßte aufs schwerste erschüttert werden, wenn sie sich von parteimäßigen Gesichtspunkten leiten ließe, und der einzelne Bundesbürger, welcher Richtung immer, der ja notwendigerweise mit ihr zu tun hat, nicht mehr die Gewähr hätte, ihre volle Hilfe zu erfahren. Dem Lehrerstand müsserf alle Volksschichten ihre Kinder anvertrauen. Was hat es dann für einen Sinn, gerade die Anstellung der Lehrpersonen von der Zugehörigkeit zu einer Partei abhängig zu machen? Es ist doch grotesk, anzunehmen, daß die politische Ausrichtung des Lehrerstandes und seines Nachwuchses auf die Person genau dem Proporz entspricht. Wird nicht vielmehr immer wieder den Lehrern eine politische Wendigkeit abverlangt und eine Vergewaltigung der Gesinnung vorgenommen, die geradezu den Charakter verderben muß und so das denkbar schlechteste Klima für die Erziehung der Kinder schafft? Mit bitterem Ingrimm äußern sich Lehrer, die noch ein eigenes Rückgrat haben, über diese beschämenden Zustände und wünschen nichts sehnlicher als die Befreiung von den parteipolitischen Fesseln des Proporzwesens. Erst recht sind die Eltern, die ein gewichtigeres Wort zu sagen hätten als die Parteien, daran interessiert, daß die Schulen nicht zu parteipolitischen Vorwerken umgestaltet werden. Sie wünschen, daß die Erzieher ihre Kinder fürs Leben tauglich machen und in der richtigen Staatsgesinnung heranbilden, die wohl mit den verschiedenen Kräften des staatlichen Zusammenlebens vertraut macht, ohne aber die Kinder schon nach einer bestimmten politischen Seite hin festzulegen. Die Eltern wollen in der Schule Erzieherpersönlichkeiten, aber keine Parteifunktionäre.

Bei der nunmehrigen Neubegründung des Bundesheeres scheint sich die Einsicht durchzusetzen, daß von seinen Angehörigen die Parteipolitik fernzuhalten sei, weil das Heer dem Staat und Volk ungeteilt zu dienen hat. Diese Absicht legt es nahe, die gleichgearteten Wünsche weitester Kreise hinsichtlich der beiden anderen Stände zur Sprache zu bringen.

Niemand wird es den Parteien verargen, wenn sie nicht selbst die Initiative dazu ergreifen. Auch andere öffentliche Gremien werden sich kaum dazu entschließen, vor allem, wenn ihnen eine gewisse Zuordnung zu einer Partei anhaftet. Fast scheint es so, als hätte der einfache Bundesbürger in Fragen, die über den Parteien liegen und auch liegen sollen, kein Vertretungsorgan; so sehr ist der Monopolcharakter der Parteien zu ihrem eigenen Schaden angewachsen.

Da meint nun ein Vertreter der Kirche, das Wort ergreifen zu sollen, beileibe nicht, um politische Geltung zu suchen, sondern um einmal offen zu sagen, was soviele denken. D i e Kirche in Oesterreich, die seit langem ihre Priester aus seelsorglichen Gründen aus dem aktiven politischen Leben zurückgerufen hat, denkt nicht daran, von dieser Linie abzugehen. Den politischen Aufgaben sollen sich tüchtige und charakterlich hervorragende katholische Laien widmen und sie aus gläubigem Gewissen zu bewältigen trachten. Aber vielleicht schafft gerade die Distanz der Hierarchie zum politischen Leben das Vertrauen, auf Anregungen zu hören, die ansonsten in der Oeffentlichkeit keine Fürsprecher finden. Wenn Laien diese Anregungen aufgreifen und nachdrücklich verfolgen, dann ist der Zweck dieser Zeilen erreicht.

Die Bestellung der höheren Beamten des öffentlichen Dienstes und der Lehrpersonen könnte durch unabhängige und unparteiische Senate von Fachleuten nach fachlichen und charakterlichen Gesichtspunkten erfolgen. Das Amt wäre nach dem Urteil des Senates dem Tauglichsten zu übertragen. Auch darüber müßte dem Senat noch ein Spruch möglich sein, ob die in Dienst Genommenen bei Ausübung ihres Berufes stets das allgemeine Wohl des Staates und des Volkes im Auge behielten.

Darüber hinaus darf es den Amtsträgern ge-. wiß freistehen, sich nach Neigung und Ueber-zeugung einer bestimmten Partei anzuschließen. Nur dürfte nicht die Zugehörigkeit die Voraussetzung ihrer Bestellung werden. Vielmehr dürften erst umgekehrt die Parteien durch die Kraft ihrer Ideen die Leute ansprechen und in Freiheit gewinnen, wie es ja auch in anderen Bereichen der Fall ist. Wenn Terror und drohende Anspielungen wegfallen, werden auch den Parteien ehrlichere und verläßlichere Anhänger zufallen.

Nach den herrschenden Gepflogenheiten müßten nun die Parteien vereinbaren und beschließen, daß die genannten Standesgruppen eine unabhängige Institution in Dienst nimmt. Das bedeutet zweifellos einen Verzicht der

Parteien, den man aber im Interesse des allgemeinen Wohles und im Hinhören auf viele Stimmen nahelegen darf. Die Selbstbescheidung der Parteien könnte eine weithin verfahrene Situation auflockern und ein beklemmendes Uebel aus dem öffentlichen Leben zu aller Nutzen entfernen.

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