Griechenland - © Foto: APA / AFP / Sakis Mitrolidis

Flüchtlinge: Griechischer Alleingang

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Griechenland will die Flüchtlingslager auf den Inseln Lesbos, Chios und Samos künftig durch geschlossene Zentren ersetzen. Menschenrechtler schlagen Alarm. Droht der EU eine neue Krise?

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Griechenland will die Flüchtlingslager auf den Inseln Lesbos, Chios und Samos künftig durch geschlossene Zentren ersetzen. Menschenrechtler schlagen Alarm. Droht der EU eine neue Krise?

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Die Menschen leben in dürftig zusammengezimmerten Hütten und Zelten, die sie aus Plastikplanen selbst errichtet haben. Es fehlt an allem, vor allem an der medizinischen Versorgung, die nur dürftig von NGOs zur Verfügung gestellt wird. Die Menschen sind frustriert und angespannt, Suizid – auch unter Kindern – ist fast an der Tagesordnung. Und nun erschwert auch der ankommende Winter die Lage für die Asylwerber, die auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios und Samos festsitzen.

Die Flüchtlingslager sind restlos überfüllt. Und eines steht fest: Griechenland kann die Migrationsbewegungen nicht alleine bewältigen. Bereits mehrmals beklagte der neue, konservative griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis, dass Europa Griechenland als „bequemen Parkplatz für Flüchtlinge und Migranten“ betrachte und kritisierte die EU dafür, noch immer keine nachhaltige Lösung für die Verteilung von Geflüchteten gefunden zu haben. „Die neue griechische Regierung hatte mehrmals um mehr Solidarität innerhalb der Europäischen Union gebeten“, sagt Adriana Tidona, Researcherin für Migration in Europa bei Amnesty International, „jedoch wurden die Rufe von Seiten der EU noch nicht erhört“.

Seit Jahren treten die Verhandlungen über die gerechte Unterbringung von Flüchtlingen in allen EU-Ländern auf der Stelle, weil sich Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien querlegen. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel, dass eine Verteilung von Flüchtlingen in Europa keine Lösung darstelle. Und er betonte, er wolle keine weiteren Geflüchteten aufnehmen. Das Fehlen einer gemeinsamen EU-Linie in dieser Sache hat nun jedoch fatale Folgen: Griechenland will jetzt im Alleingang handeln und Ankommende in geschlossenen Zentren unterbringen, die diese nicht verlassen dürfen.

Die griechische Regierung hatte mehrmals um mehr Solidarität innerhalb der EU gebeten, die Rufe wurden nicht erhört.

Bereits vergangenes Jahr hat Mitsotakis, der der liberal-konservativen Partei „Nea Dimokratia“ angehört, die Asylgesetze im Land verschärft. Das oberste Ziel sei es, die Asylverfahren zu beschleunigen und Flüchtlinge schneller wieder abzuschieben, erklärte der Regierungschef. Griechenland muss sich seit Mai 2019 wieder einer stärker wachsenden Zahl an ankommenden Flüchtlingen – vor allem aus der Türkei – stellen. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) kamen dieses Jahr bis 22. Dezember etwa 73.000 Menschen über die Türkei nach Griechenland. Das seien knapp 23.000 mehr als im Vorjahr. Die für 7500 Migranten ausgelegten Registrierlager auf den Inseln sind daher heillos überfüllt.

Türkei stellt Forderungen an die EU

Ziel des griechischen Premiers ist es, die Antragssteller im Rahmen des Flüchtlingspakts rascher zurück in die Türkei zu schicken. Dazu sollen Asylanträge künftig nach sechs anstatt nach neun Monaten geprüft werden. Der wohl kritischste Punkt ist die Errichtung neuer „Abflug- und Identifikationszentren“, die je 5000 Menschen aufnehmen können. Bei den neuen Einrichtungen soll es sich nämlich um geschlossene Lager handeln, welche die dort untergebrachten Asylsuchenden nicht verlassen dürfen. So soll, laut Regierung, eine unbemerkte Weiterreise aufs Festland vermieden werden. In den neuen Zentren sollen jene Migranten untergebracht werden, die keine Aussicht auf Asyl haben und zurück in ihre Herkunftsländer gebracht werden.

Dazu wurde auch die Liste der so genannten „sicheren Herkunftsländer“ erweitert. Alle Flüchtlinge, die Aussicht auf Asyl haben, sollen aufs griechische Festland gebracht werden. „Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat im vergangenen Jahr bereits häufiger angekündigt, die Grenze nach Griechenland für Menschen auf der Flucht zu öffnen“, sagt Tidona, „die Türkei hat zweifellos eine sehr große Anzahl von Geflüchteten aufgenommen.“ Dennoch dürfen Menschen auf der Flucht niemals als politischer Spielball verwendet werden, so Tidona. Erdoğan möchte mehr Unterstützung von Seiten der EU. Die Türkei könne die Krise nicht alleine meistern, so der türkische Präsident. Immer wieder machen sich neue Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, auf den Weg in die Türkei, wo sie vor den Toren Europas zurückgehalten werden. Wie lange sich Erdoğan noch an den EU-Türkei-Deal hält, bleibt fraglich. Europa steckt in der diplomatischen Dauerkrise.

Kinder in Lebensgefahr

In Griechenland sind es vor allem die Kinder, deren Lage sehr dramatisch ist. „Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern sind alles andere als kindergerecht“, sagt Tidona, „erst kürzlich sind drei Kinder aufgrund der Überfüllung und schlechter Zustände im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos gestorben. Eines wurde beim Spielen außerhalb des Camps von einem LKW überfahren, ein afghanischer Jugendlicher ist gestorben, weil er bei einer Schlägerei, die im geschützten Teil des Lagers ausbrach, tödlich verletzt wurde, und ein Baby ist in einem der Lager dehydriert.“

Es sind Zustände wie diese, die Menschenrechtler Alarm schlagen lassen, um die 14.000 Kinder und Jugendlichen aus den Lagern zu befreien. Viele von ihnen sind unbegleitet oder von ihren Familien getrennt, erklärt Tidona. „Die EU sollte endlich Verantwortung für Asylwerber übernehmen“, sagt die Menschenrechtlerin Tidona, „das Asylwesen muss umstrukturiert werden, um eine faire Verteilung von Asylwerbern zwischen den EU-Staaten zu garantieren.“ Die EU wird das Migrationsthema so schnell nicht los. Fluchtursachen vermeiden ist die eine Sache. Doch nach wie vor fehlen vor allem Lösungen für jene Menschen, die bereits jetzt in Europa auf eine bessere Zukunft warten.

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