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Guerillas im Rückzug

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Unmittelbar nach Ablauf des den libanesischen Behörden durch den USA-Botschafter übermittelten

Ultimatums der Jerusalemer Regierung, in dem gefordert wurde, das Nachbarland möge sofort die Terroraktionen palästinensischer Freischärler unterbinden, oder man werde sie selbst verhindern, überschritt ein etwa zweihundert Mann starkes israelisches Kommando — einem Beiruter Armeekommunique zufolge — die Grenze und verwüstete ein Dorf im Südlibanon. Die „Zahal“-Soldaten trafen die Guerilleros, denen ihr „Gegenschlag“ gelten sollte, allerdings nur noch auf der Flucht.

Obgleich Außenminister Scheich Nissim Medschdalani die feindlichen Vorwürfe, die Freischärleraktionen von libanesischem Territorium aus hätten wieder besorgniserregenden Umfang angenommen, am Donnerstag in Noten an die Botschafter der vier Großmächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich entschieden zurückgewiesen hatte, räumten die Guerilleros noch am gleichen Tag eilig das Grenzgebiet. Innenminister Kemal Dschumblat, der sich immer klarer als der „starke Mann“ des amtierenden Kabinetts Raschid Ke-rami qualifiziert, hatte das in vertraulichen Verhandlungen mit den

Beiruter Regionalkommandanten der vom Südlibanon aus operierenden Gruppen erreicht.

Angehörige der „El-Fatah“ und anderer Organisationen überschritten in „geordnetem Rückzug“ die syrische Grenze in Richtung Jordanien. Vorausgegangen war eine Sitzung ihres „Vereinigten Oberkommandos“, auf der entsprechende Beschlüsse gefaßt wurden. Nach Angaben aus Guerillakreisen sollte Israel durch diese taktische Maßnahme der Vorwand zu einem Gegenschlag und zu der befürchteten Annexion eines ungefähr zehn Kilometer breiten libanesischen Gebietsstreifens genommen werden. Offenbar wurde der israelischen Armee der Rückzug der Freischärler jedoch nicht mehr rechtzeitig genug bekannt, um die vorbereitete Kommandoaktion noch abblasen zu können.

In Beirut hat der an sich nicht sehr bedeutende Zwischenfall wahrscheinlich weitreichende Konsequenzen. Die Regierung H61ou-Kerami konnte sich in den letzten Monaten gegenüber den Palästinensern erstaunlich gut behaupten. Das Hauptverdienst daran erwarb sich der derzeitige Innenminister Dschumblat; also gerade jener Mann, der bei den Wirren von 1955, die jedem Liba-

nesen noch heute tief in den Knochen stecken, die Sicherheit und territoriale Unversehrtheit des eigenen Landes durch den maßgeblich von ihm entfesselten Drusenaufstand am meisten aufs Spiel setzte. Dschumblat ist es auch, der argwöhnt, Israel sei an dem innerlibanesischen Abkommen zwischen Regierung und Partisanen, das in den letzten acht Wochen zur fast völligen Aufgabe der Infiltrationsbestrebungen durch die Guerilleros führte, nicht interessiert. In Jerusalem suche man vielmehr nach einem Vorwand für die Besetzung eines libanesischen Gebietsstreifens. Die Beiruter Behörden bringt das in eine schwierige Lage. Sie konnten die Freischärler nur dadurch zum Nachgeben veranlassen, daß sie auf die Gefährdung der territorialen Integrität ihres Landes bei etwaigen israelischen Vergeltungsschlägen hinwiesen. Die Guerilleros dämpften daraufhin widerwillig ihre Aktivität, ohne daß die Vergeltungsschläge jedoch ausblieben. Folglich fühlen sich jetzt jene Kreise in Bevölkerung, Parlament und Kabinett bestätigt, die schon vor zwei Monaten verlangten, der Libanon müsse, ohne Rücksicht auf die Folgen, eng mit den Palästinensern zusammenarbeiten und sich in die antiisraelische Araberfront einreihen.

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