"Haben vergessen, was vor 1989 war"

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Erhard Busek, Vizekanzler a. D. und Sonderkoordinator des Balkan-Stabilitätspaktes, über die Vorgänge in der Ukraine und die Parallele zu den Ereignissen von 1989, die drohende Vernachlässigung Südosteuropas durch die EU sowie - am Vorabend der historischen Entscheidung - die heikle Annäherung der Türkei an die Europäische Union.

Die Furche: Die jüngsten Vorgänge in der Ukraine haben Erinnerungen an die Wende vor 15 Jahren wachgerufen; es wurden Parallelen gezogen: Prag 1989 - Kiew 2004. Ist eine solche Sichtweise berechtigt?

Erhard Busek: Ich kann nur hoffen, dass sich die Dinge in dieselbe Richtung entwickeln wie vor 15 Jahren in Prag und anderswo. Wir erleben gerade die Rückkehr eines russischen Imperialismus, der wieder zur Zweiteilung des Kontinents zu führen droht. Der europäische Integrationsprozess ist anders, da steht kein Imperium dahinter. Ich glaube, dass die demonstrativ zur Schau gestellte Freundschaft mit Russlands Präsident Wladimir Putin in einigen europäischen Ländern zu Fehlannahmen bezüglich der russischen Entwicklung führt. Hoffentlich lernt auch Russland daraus und orientiert sich auf Kooperationen und nicht Konfrontationen.

Die Furche: Wie sieht es mit der europäischen Perspektive für die Ukraine aus?

Busek: Wenn es in Richtung einer Wiederanbindung an Moskau geht, dann sieht es dafür nicht gut aus. Ich möchte aber die Hoffnung nicht aufgeben. Es besteht allerdings die Gefahr, dass diese Frage - und mehr noch jene der Türkei - die vordringliche Auseinandersetzung mit Südosteuropa überdeckt.

Die Furche: Lässt sich nach der großen EU-Erweiterungsrunde vom Mai dieses Jahres schon eine erste Bilanz ziehen? Haben sich Hoffnungen erfüllt oder Befürchtungen bestätigt?

Busek: Das Verhalten der neuen Mitgliedsländer ist, generell gesprochen, tadellos. Und weil ich gerade Südosteuropa erwähnt habe: es gibt bei den Neuen diesbezüglich zum Teil mehr Engagement als bei so manchen der alten 15, weil sie begriffen haben, was der Transformationsprozess bedeutet. Die EU muss lernen, mit 25 Mitgliedern zu leben - und sie steht letztlich vor der Frage, ob sie die Integration fortsetzen oder zur bloßen Freihandelszone werden will. Momentan deutet alles auf die Freihandelszone hin, und das gefällt offensichtlich einigen sehr gut, nicht nur den Briten.

Die Furche: Manche meinen, die EU habe sich schon mit der letzten Erweiterung übernommen - nun sei Konsolidierung angesagt, bevor über weitere Erweiterungsschritte nachgedacht werden könnte ...

Busek: Ich kann nur die analytische Schärfe jener bewundern, die jetzt, nach sieben Monaten, schon wissen, dass sich die EU übernommen hat. Entscheidend bei der Erweiterung ist doch die Stabilisierung der europäischen Friedensordnung. Mir scheint, dass viele schon vergessen haben, was vor 1989 war.

Die Furche: Trotzdem könnte man sagen: die letzte Runde war ein großer Brocken, vor allem wegen Polen - 2007 für Rumänien und Bulgarien sei nach dieser Kraftanstrengung ein zu ehrgeiziges Ziel ...

Busek: Das hat nichts mit der Erweiterung vom Mai zu tun, sondern es stellt sich die Frage: Hat man genau genug hingesehen, ob die Kandidaten die Bedingungen erfüllen. Diese Frage gilt generell, nicht nur bei bestimmten Ländern. Die Gesetzgebung ist überall in Ordnung, bei der Implementierung hapert es freilich sogar in manchen der Uraltmitglieder. Das Trauerspiel rund um den Stabilitätspakt für die Budgets der Mitgliedsstaaten zeigt das ja sehr deutlich.

Die Furche: Was sind die Perspektiven für Südosteuropa?

Busek: Die Probleme sind hier wesentlich kleiner als bei der Türkei. Es geht um eine Bevölkerung, die rund die Hälfte jener von Polen ausmacht. Die EU wird draufkommen, dass 2005 ein kritisches Jahr für die Region ist: Es steht die Frage an, ob es Gespräche über den Status des Kosovo gibt; es ist zu entscheiden, wie es in Bosnien-Herzegowina weitergeht; es ist offen, ob die Union zwischen Serbien und Montenegro bestehen bleibt; und es ist auch nicht gesichert, dass Mazedonien stabil bleibt. Sich auf all diese Fragen nicht vorzubereiten, wäre ein gravierender Fehler der Europäischen Union.

Die Furche: Ende dieser Woche wird die EU über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entscheiden. Hat man da zu früh zu viel versprochen?

Busek: Ich glaube, die Staats- und Regierungschefs sind hier Schritt für Schritt hineingerutscht, ohne zu Hause die Wahrheit zu erzählen. Die Sache war beschlossen, man hat nur den Termin vor sich hergeschoben. Es hat lange keine ordentliche Diskussion in den Mitgliedsstaaten gegeben; jetzt kommt sie - aber unter falschen Vorzeichen, nämlich im Kontext der Fragen des Terrorismus, des Fundamentalismus und der Multikulturalität. All dies hat aber nur sehr begrenzt mit der Türkei zu tun: Die Türkei ist ein Opfer des Terrors; es handelt sich um keine islamische Gesellschaft, sondern um eine säkulare; und es stellt sich die Frage, wie weit Multikulti vorbereitet wurde. Ich halte alle diese Schlagworte wie "Christenclub" für verfehlt. Ich würde mich freuen, wenn die EU wirklich ein "Christenclub" wäre. Wir leben aber leider in einer Gesellschaft, wo die Christen in der Minderheit, wenn nicht gar in der Diaspora sind.

Die Furche: Wo liegen dann die Probleme?

Busek: Wird Ankara EU-Mitglied, bekommen wir Syrien, Irak, Iran, Armenien und Georgien als Nachbarstaaten. Und da stellt sich die Frage, ob die EU dafür reif ist. Wir haben weder eine Regierung, noch eine Armee; wir würden damit noch stärker von den USA - und von der türkischen Armee - abhängig werden. Damit sind wir wieder bei der Frage: Wohin will die EU? Geht es nur um eine Freihandelszone, dann ist die Türkei hier ja ohnedies schon Mitglied. Es geht vor allem um eine politische Frage, um die Frage der geopolitischen Positionierung der Türkei - aber darüber hat man in der EU viel zu wenig nachgedacht.

Die Furche: Was soll, was kann man jetzt noch tun?

Busek: Die EU muss die Fähigkeit nachliefern, ein global player zu sein. Das sind die Staats- und Regierungschefs miteinander sicher nicht. Die sind ein Debattierclub mit mühselig errungenen Ergebnissen. Was die andere Seite betrifft: Mit der Aufnahme von Verhandlungen wird die Türkei selbst vor einige Gretchenfragen gestellt. Man hat das bereits bei der Diskussion um die Bestrafung des Ehebruchs gesehen. Hierher gehört aber auch auf jeden Fall das Thema Minderheiten; da werden immer nur die Kurden genannt, aber auch die Gleichberechtigung der Religionen lässt zu wünschen übrig. Ebenso muss man bei der Medienfreiheit sehr genau hinschauen. Da ist also noch einiges offen.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner.

Unbequemer Anwalt eines größeren Europa

Sie kommen beide aus demselben - mit "liberal-katholisch" nur unzulänglich beschriebenen - "Stall", es trennen sie altersmäßig nur vier Jahre; und doch erscheint vielen politischen Beobachtern der Wechsel an der ÖVP-Spitze von Erhard Busek (geb. 1941) zu Wolfgang Schüssel im Jahr 1995 als markanteste Zäsur der jüngeren Parteigeschichte. Gerade vielen der ehemaligen Weggefährten aus dem Umfeld der Katholischen Hochschulgemeinde gilt Busek als Repräsentant jener Haltungen, die der Macht geopfert zu haben sie Schüssel vorwerfen. Die Feuerprobe als Kanzler freilich hatte Busek nie zu bestehen, Freunde hatte er sich mit seiner Art, unverblümt Wahrheiten auszusprechen, wenige gemacht - und so wurde er der Letzte einer Reihe von VP-Obmännern, die einem lange Zeit schicksalhaft anmutenden Parteiritual zum Opfer fielen. Dass Wolfgang Schüssel mit dieser unglückseligen Tradition gebrochen hat, findet heute auch die neidlose Anerkennung seines Vorgängers. Langweilig ist es Erhard Busek indes auch nach seinem Ausscheiden aus der österreichischen Innenpolitik nicht geworden, im Gegenteil: der unermüdliche Anwalt eines größeren Europa hat als Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa eine ihm wie auf den Leib geschneiderte Aufgabe gefunden, ebenso mit der Präsidentschaft des Europäischen Forums Alpbach oder dem Vorsitz des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM). Und wenn man sich heute - etwa anlässlich bestimmter Jahrestage von Friedrich Heer, Otto Mauer oder Karl Strobl - daran erinnert, dass es einmal so etwas wie eine katholische Intelligenz in diesem Land gegeben hat, dann darf unter den Wortspendern ein Name nie fehlen: Erhard Busek.

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