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Handel im Wandel

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Es scheint ein österreichisches Spezifikum zu sein, daß immer wieder die Frage nach der Notwendigkeit und den Funktionen des Handels gestellt und mitunter von unberufenster Seite teils bewußt falsch und demagogisch, teils völlig fern jeder Sachkenntnis beantwortet wird.

Was wäre eine Welt ohne Handel? Von der Steinzeit angefangen herrschte Tauschhandel, und dieser allein vermittelte überhaupt das Leben selbst bei primitiven Völkern. Von den Phöniziern über die Venezianer bis zum heutigen Tag hat der Handel die Welt wirtschaftlich immer mehr erschlossen und die Voraussetzungen des gegenwärtigen hochentwickelten Lebensstandards geschaffen. Aber kaum eine Wirtschaftsgruppe war so sehr der ständigen Diskriminierung ausgesetzt wie der Handel, wohl offenbar deshalb, weil er als letztes Glied zum Konsumenten für alles verantwortlich gemacht wird, was nun einmal im wirtschaftlichen Ablauf geschieht und mitunter vom Konsumenten nicht immer verstanden wird.

Längst halten Wissenschaft und Lehrmeinung jene Zeiten zurückgelassen, da Physiokraten und Karl Marx verkündeten, daß der Handel nicht wertschöpfend und daher funktionslos sei. Dennoch ist von diesen Ansichten immer wieder zu hören, und es scheint daher wichtig, festzustellen, daß im Lande der schrankenlosen Konkurrenzwirtschaft, den Vereinigten Staaten, im Durchschnitt die Relation zwischen Produktion und Verteilungskosten bei 45 zu 55 liegt und in nicht allzu ferner Zeit bei Durchschnittswirtschaftsgütern die Produktionskosten geringer werden dürften. Produktivitätssteigerungen und Rationalisierungsmaßnahmen sind eben in der

Fertigung wesentlich leichter möglich als in der Verteilung, die letztlich weitgehend Dienstleistung beinhaltet, die in der ganzen Welt ständig teurer wird, je höher die Lebensansprüche steigen. Hier gilt der oft verkündete Leitsatz, daß man zwar in Serien produzieren, aber niemals in Serien verkaufen kann) Daß im Handel noch die typischen „Steh“gehälter gezahlt werden müssen, um in Stoßzeiten gewappnet zu sein, sei nur am Rande erwähnt. Die ständig steigenden Kundenwünsche hinsichtlich Lagerbreite,

modischer Entwicklung und Geschäftsausstattung, verbunden mit den ebenfalls ständig steigenden Personalkosten, runden das Bild ab und lassen es begreiflich erscheinen, daß die Verteilungswirtschaft immer mehr Preisanteile verschlingt, ohne selbst größere Profite daraus zu ziehen. Je komplizierter das Wirtschaftsgetriebe wird, desto teurer gestaltet sich die sogenannte „Konsumreif machung*.

Typisch kann hier das Beispiel der Obstschwemme gelten, in deren Verlauf sich einerseits der Konsument als recht undiszipliniert erwies, indem er Kirschen nur im Mai, Gurken im April und ähnliches verlangte, aber zugleich Preise erwartete, die naturgemäß nur in der Normalsaison möglich sind. Darüber hinaus mußte man auch feststellen, daß zwar die Frucht recht billig sei, aber immer weniger Leute zu finden sind, die diese auch pflücken. Die Transportspesen sind außerdem nicht vom niedrigen Produktionspreis abhängig und daher relativ teuer, je billiger das Transportgut ist. Tausende Kilogramm Obst verfaulten an den Bäumen, aber auch die Konsumenten, ja selbst Kinder, waren nicht bereit, die gratis angebotenen Früchte selbst zu ernten I

Zurück zum eigentlichen Thema. Es muß noch vermerkt werden, daß es gewisse Hindernisse in Österreich gibt, die westliche Entwicklung rasch mitzumachen. Vorerst einmal das „Älpler-naturell“ aller Wirtschaftler und Konsumenten, die grundsätzlich ablehnend, mißtrauisch und abwartend jeder Neuerung gegenüberstehen. Das birgt Vor- und Nachteile, indem wir zwar die Kinderkrankheiten der Neuzeit teilweise überspringen, aber auch meistens fünf bis zehn Jahre gegenüber dem Westen zurückbleiben. Die mangelnde Kapitaldecke durch eine Überbesteuerung auf allen Gebieten und eine relativ schmale Absatzbasis, die Großinvestitionen sehr problematisch erscheinen lassen, bilden ein weiteres Problem.

Dennoch registrieren wir in Österreich neue Betriebsformen und Absatzwege, wie etwa Supermarket, Selbstbedienung, Versandhandel und die sogenannten „Beziehungskäufe“. Während in den Staaten schon gewisse Rückentwicklungen aus Gründen beobachtet werden, auf die ich noch zurückkommen werde, zeigt Österreich derzeit den anderwärts bereits überwundenen Trend.' Aber wie sieht es denn wirklich aus?

Wirkliche Supermarkets setzen eine Reihe von Bedingungen voraus, wie: moderne und relativ bescheidene Konsumenten hinsichtlich Service und menschlicher Beziehung, neue Satellitensiedlungen, geballte Konzentration und an Stelle von Hausfrauen die verdienende Gattin, die hastig einkauft und deren Küche vorwiegend durch Konserven gekennzeichnet ist. Wo gibt es das wirklich in Österreich? Sehr ähnlich liegt der Fall, was den Selbstbedienungsladen anlangt, wobei hier der österreichische Konsument ganz selbstverständlich den Selbstbedienungspreis mit weitgehendem Individualservice erwartet — natürlich ein niemals erfüllbarer Wunsch.

Außerdem zeigt es sich, daß die wirkliche Hausfrau, die selbst kocht, viele Artikel benötigt, die nicht nach Gusto und Lust, sondern gemäß eisernem „Kochgesetz“ eingekauft werden müssen, wie etwa Mehl, Zucker usw., und sich nicht merken kann oder will, wo all die Dinge liegen, also entweder wirklich wieder Personal benötigt oder es vorzieht, andere Läden aufzusuchen. Auch hier zeigen sich im Westen Rückbildungstendenzen und das Aufkommen einer zweifellos beständigeren Mischform von Allsichtladen mit Normalbedienung. Gerade im Zeichen des Massenstaates und Massenkonsums erleben wir das Phänomen der Abkehr vom Massenverkauf zur Individualbedienung. Zweifellos kommt dem Versandhandel im Zeichen verkürzter Ladenschlußzeiten und vollbeschäftigter Familie eine gewisse Bedeutung zu, die aber ebenfalls nicht überschätzt werden soll, sobald die erste Welle dieser Verkaufsform vorübergegangen sein wird. Nicht immer halten prächtige Photos und gute Slogans das, was sich der Konsument erwartet, und der Wunsch, die Ware selbst zu sehen und

zu betasten, ist größer als der Vorteil, am Abend in Ruhe mit der ganzen Familie Kataloge zu studieren und zu wählen. Mag sein, daß auch die leider völlig gleichgeschaltete Ladenschlußzeit viel zu diesen Entwicklungen beiträgt, weil niemand verstehen wird, daß Souvenirs für Fremde am Samstag nicht zu haben sind, aber etwa am darauffolgenden Montag, an dem kein Mensch daran denkt, solche Dinge zu kaufen, die Läden brav und treu um 8 Uhr morgens eröffnen. Diese Beispiele ließen sich beliebig erweitern, und vielleicht wird man doch einmal erkennen, daß auch für die Angestellten und Kaufleute ein gemeinsames freies Wochenende wenig Freude bereitet, wenn Bäder ausverkauft, Straßen verstopft und Quartiere überfüllt sind und daher eine wohlverstandene Synchronisierung für alle Beteiligten wesentlich günstiger wäre! Aber auch das wird bei uns, wie alles, noch viele Jahre dauern.

Kommen wir nun zur unerfreulichsten Form der Beziehungskäufe, deren sich nur gewisse Kreise erfreuen, so steht fest, daß die direkt an den Konsumenten verkaufende Erzeugung dies nur billig insolange tun kann, als der Normalabsatz den gewohnten Weg geht, denn andernfalls müßten auch dort sonst die allgemein bekannten Kosten entstehen, wobei noch die Tatsache bestehen bleibt, daß es „ab Fabrik“ weder Auswahl, Service noch Konsumentenwünsche gibt und geben kann. Freilich kann eine reine Vermittlungsfirma, der der Absatz garantiert ist und die auch keinerlei Risken einzugehen hat, billiger arbeiten, ganz zu schweigen von den bekannten, zwar verbotenen, aber trotzdem gehandhabten Betriebsratsaktionen, die zu allem noch keine Steuern und Abgaben zahlen. Dieser Weg ist also weder auf breiter Basis möglich noch stellt er eine neue Vertriebsform dar, sondern nur eine bedauerliche Randerscheinung, d<;jman„auch keine, aflzu, große Bedeutung zumessen soll, Der Wunsch, die Waren im Detailgeschäft mit allen Vorzügen von Auswahl, Service, Garantie und Bedienung zum Fabrikpreis erhalten zu können, muß ein Wunschtraum, eine Utopie bleiben, ja nicht einmal die in den USA entstandenen Discounthäuser konnten sich auf die Dauer durchsetzen.

Im Zeichen der rasanten Entwicklung entsteht zweifellos die Gefahr der forcierten Konzentration, also der Entstehung marktbeherrschender Monopolhandelsbetriebe, die die Kleinen auffressen und am Ende auch den Konsumenten an die Wand spielen. Was wäre der Konsument, würde er nur noch in jeder Branche einigen Großbetrieben ausgeliefert sein? Hier ergeben sich ganz verschiedene Aspekte, die genau studiert werden müssen. Will der Konsument als

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