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Hart auf hart in Schweden

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Das Wort „Schicksalswahl“ ist von den Propagandaapparaten der Parteien schon zu oft angewandt worden, als daß man es ohne Bedenken von neuem einer politischen Übersicht voransetzen könnte, doch die in Schweden ins Haus stehenden Wahlen vom 20. September bedeuten nun wirklich den Beginn einer neuen Epoche der parlamentarischen Demokratie in diesem Lande, die sehr wohl einen Wechsel am Begierungsruder bringen kann. Denn diesmal treten alle Parteien unter völlig neuen Bedingungen zum Kampf um die Gunst des Wählers an.

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Das Wort „Schicksalswahl“ ist von den Propagandaapparaten der Parteien schon zu oft angewandt worden, als daß man es ohne Bedenken von neuem einer politischen Übersicht voransetzen könnte, doch die in Schweden ins Haus stehenden Wahlen vom 20. September bedeuten nun wirklich den Beginn einer neuen Epoche der parlamentarischen Demokratie in diesem Lande, die sehr wohl einen Wechsel am Begierungsruder bringen kann. Denn diesmal treten alle Parteien unter völlig neuen Bedingungen zum Kampf um die Gunst des Wählers an.

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Schweden hatte bisher ein Zweikammernsystem. Die Erste Kammer hatte 151 Abgeordnete, von denen jedes Jahr ein Achtel durch indirekte Wahl erneuert wurde; jedes Mandat galt also acht Jahre, was zweifellos ein allzu langer Zeitraum war. Die Zweite Kammer besaß 233 Sitze, die jedes vierte Jahr neu verteilt wurden. In der Mitte dieser Wahlperiode fanden immer die Kommunalwahlen statt. Zwischen den einzelnen Wahlen lag also ein Zeitraum von zwei Jahren, und es war verhältnismäßig leicht, Stimmungsveränderungen in der Wählerschaft zu beobachten und sich bis zur nächsten Wahl auf sie einzusteHeh. So konnte die Sozialdemokratie den schweren Rückschlag bei den Kommunalwahlen des Jahres 1966 durch eine außerordentliche Kraftanstrengung bei den Parlamentswahlen des Jahres 1968 mehr als kompensieren und die absolute Mehrheit in der Zweiten Kammer — 125 Mandate! — erobern. Im September 1970 wird man jedoch einen Einkammerreichstag mit 350 Mitgliedern wählen; auch die Mitglieder der Provinzlandtage — Landstinge — und der Gemeindeparlamente werden am gleichen Tag gewählt werden. Diese dreifache Wahl hat natürlich eine außerordentliche Bedeutung, da sie nun durch indirekte Wahlen in eine Erste Kammer nicht mehr korrigiert werden kann. Wahlen dieser Art werden künftig alle drei Jahre stattfinden. Es ist unschwer erkennbar, daß sich durch diese Wahlreform und auch durch andere Änderungen die Situation der regierenden Arbeiterpartei verschlechtert hat. Die Sozialdemokratie befindet sich nun seit 38 Jahren in Regierungsstellung, seit der Auflösung der Koalition mit der Zentrumspartei im Jahre 1957 regiert Sie sogar allein. In dieser Zeit hat sie — von den letzten zwei Jahren abgesehen — niemals über die Mehrheit in der Zweiten Kammer verfügt; sie regierte immer mit Hilfe der Ersten Kammer, deren Zusammensetzung der Wählermeinung nicht mehr entsprach, und oft auch mit Hilfe der kommunistischen Stimmen. So konnte die Regierung Erlander zahlreiche Untiefen passieren, ohne auf Grund zu laufen. Nach dem September 1970 wird jedoch die Mandatsverteilung dem Wahlergebnis weit besser entsprechen als bisher. Damit entfällt ein Vorteil der größten Partei im Parlament. Weiters ist die Führung der Arbeiterpartei und der Regierung von Tage Erlander auf den jungen Olof Palme übergegangen, der sich zwar in den letzten Monaten bewundernswert gut behauptet hat, jedoch in keiner Weise jenes Vertrauen und väterliche Wohlwollen ausstrahlt, das Tage Erlander über so viele schwierige Situationen hinweg geholfen hat. Das dritte wichtige Moment der Veränderung ist die chronisch gewordene Schwäche der Kommunistischen Partei, was in diesem Zusammenhang — die Verteilung der Mehrheit im Parlament — sehr wohl das entscheidende Moment darstellen kann.

können politische Parteien nur dann vertreten sein, wenn sie mindestens vier Prozent aller Wählerstimmen im Reich oder zwölf Prozent aller Stimmen in einem einzigen Wahlkreis erreichen! Die KP hatte 1968 nur drei Prozent der Stimmen erreichen können, und nur bei einer einzigen seither durchgeführten Wählerbefragung ist sie auf vier Prozent der Stimmen gekommen; über drei Prozent der Stimmen kam sie selten hinaus. Die Kandidatur der von der KP abgesplitterten Marxisten-Leninisten verschlechtert ihre Situation um ein weiteres. Vier Prozent würden der Partei 14 Mandate geben; erhält sie nur 3,9 Prozent, dann werden diese 14 Mandate auf die anderen Parteien aufgeteilt — man kann annehmen, daß die Sozialdemokraten und die rechte von ihr stehenden Parteien je die Hälfte dieser Mandate erhalten würden. Die Arbeiterpartei würde also bei einem solchen durchaus wahrscheinlich erscheinenden Wahlergebnis zwar sieben Mandate mehr erhalten, als ihrer Stimmenzahl entspricht, jedoch die Abstimmungshilfe von 14 Kommunisten verlieren. Die Sozialdemokraten bekämpfen nach wie vor konsequent die KP, müssen jedoch insgeheim hoffen, daß dies nicht zur völligen Vernichtung dieser Partei führt. Das ist eines der verwunderlichsten Momente in dieser Wahl! Fällt die Regierung Palme, dann können die drei bürgerlichen Parteien endlich einmal in die seit langem ersehnte Regierungsstellung gelangen, in der sie ein liberales Programm der Mitte durchführen wollen. Es ist ziemlich sicher, daß in Schweden — ebenso wie einst in Norwegen — dieser Regierungswechsel die Einleitung zu einer neuen Entwicklung bedeuten würde.

In einer eben veröffentlichten Untersuchung des Meinungsforschungs-institutes SIFO wurde festgestellt, daß in den letzten Monaten die schwedische Regierung bei den Wählern stark an Vertrauen eingebüßt hat. Während im November des Vorjahres noch 86 Prozent der Bevölkerung die Regierung für sehr tüchtig und handlungskräftig hielten, hatten im Juni dieses Jahres nur noch 76 Prozent dieselbe Auffassung. Die Untersuchung zeigt auch, daß die fortgesetzten Preiserhöhungen das größte Beunruhigungsmoment darstellen.

Gleichzeitig wird bekannt, daß die am 1. Juli durchgeführte Preiserhöhung für landwirtschaftliche Produkte um fünf Prozent vom Einzelhandel zu weit über diesen Satz hinausgehenden weiteren Preiserhöhungen benutzt worden ist, in vielen Fällen bis zu 15 Prozent. Das ist eine Entwicklung, die es der Regierung schwermachen dürfte, den Vertrauensverlust wieder gutzumachen!

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