6744332-1967_01_07.jpg
Digital In Arbeit

Hat Amerika „es besser“?

Werbung
Werbung
Werbung

Goethe hat einmal gesagt: „Amerika, Du hast es besser!“ zu Beginn des Jahres 1967 muß man mit einem alten Kabarett-Titel sagen: „Hier irrt Goethe!“ Amerika fühlt sich unbehaglicher als viele andere Nationen. Der Vietnam-Feldzug belastet die Nation in immer steigendem Ausmaß: die Todesopfer des nicht „erklärten“ Krieges steigen — ganz abgesehen davon, daß die Bombardierung eigener Einheiten aus Versehen Unruhe schafft. Die für seine Weiterführung notwendigen Ausgaben behindern die Projekte des „Kampfes gegen die Armut“, den die „Große Gesellschaft“ so umfangreich in Angriff zu nehmen versprach. Die Weltmeinung gegenüber seiner Ausweitung wird immer ablehnender. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, der amerikanische Protestentismus, de Gaulle, britische Parlamentarier — um nur einige Brennpunkte des Protests zu nennen — beginnen der teilweise undisziplinierten „Antibewegung“ jugendlicher Pazifisten und Nonkon-formisten in der Welt einen seriösen Hintergrund zu geben.

Nur noch wenige Fürsprecher. . .

Senator Fulbrlgt hatte deutlich, Senator Bob Kennedy vorsichtig seine Bedenken angemeldet. Die Regierung hat außerhalb ihrer Sprecher nur noch wenig offene Fürsprecher in der eigenen Partei, während ihr groteskerweise weite Kreise der Republikaner die Treue halten. Obwohl es fast eine Selbstverständlichkeit in der amerikanischen Innenpolitik ist, daß in der einer Präsidentenwahl folgenden Zwischenwahl zwei Jahre später die Opposition Gouverneursposten, Senatoren und Sitze im Repräsentantenhaus sowie örtliche Ämter gewinnt, hat die letzte Wahl — zusammen mit Berichten der Umfrageinstitute, bei denen eine ständig wachsende Skepsis gegenüber dem Präsidenten zum Ausdruck kommt, die Administration deutlich beunruhigt.

Teilweise angedeutete, teilweise bewiesene Skandale im lateinamerikanischen Hilfsprogramm und in Teilen des „Kampfes gegen die Armut“ haben nicht dazu beigetragen, das Unbehagen abzubauen.

Nun dürfte man das alles nicht sonderlich tragisch nehmen, kämen nicht Imponderabilien dazu, deren Breitenwirkung noch nicht festliegt.

Kommt Bob Kennedy?

Das eine ist die nicht zur Ruhe kommende Spekulation in der Öffentlichkeit, ob irgendwann Bob Kennedy offen als Kandidat gegen Johnson herauskommen wird (wie es heute erscheint, mit Erfolgsaussichten), das andere, daß die Zivilrechtsfrage auf beiden Seiten der „Barrikade“ einen bedenklich gefühlsmäßig radikalisierten Unterton bekommt.

Der Formulierung junger Negerführer von „Schwarzer Macht“, die die Zivilrechtsbewegung zu spalten droht (die älteren Organisationen erheben Einspruch dagegen!), steht eine Intensivierung der Gegenkräfte entgegen. Aufs tiefste durch bürgerkriegsähnliche Unruhen in einer Reihe von Negervororten in einigen Großstädten beunruhigt, hat ein weißer Widerstand gegen die gesetzliche Hilfestellung, die die Regierung den Bürgerrechtsgruppen gilbt, begonnen, dessen Auswirkungen sich bereits bei der letzten Wahl gezeigt haben: Republikanisohe Siege resultierten mehr als einmal aus dem „White backlash“.

Das Gefahrenzeichen für das kommende Jahr ist das Fragezeichen. Es bieten sich kaum Probleme, die, wenn man sie erkennt, man von oben „lösen“ kann, sondern man ist darauf angewiesen, abzuwarten, wie bestimmte Tendenzen sich so oder so in bedrängende Realitäten verwandeln.

Unterschwellig hat merkwürdigerweise die „Literatur“ das Gefühl der Unsicherheit dem Status quo gegen-

über verschärft: Die ständig sich vermehrenden Bücher und Artikel, die den Warren-Report über die Ermordung J. F. Kennedys für unwahr, zumindest für unvollständig halten, bereiten eine schleichende Vertrauenskrise gegenüber der Regierung vor, insbesondere, weil die Massenmedien (Presse, Radio, Femsehen) ihnen millionenfache Resonanz ermöglichen.

Das Problem des neuen Jahres ist offensichtlich, daß außen- und innenpolitisch sich immer mehr Kreise von der Johnson-Administration distanzieren, höflich oder militant.

Die Aufgabe, die bleibt, nachdem der Präsident, weitgehend ohne Ratgeber zu befragen (die „Eierköpfe“ Kennedys verließen ihn!) der Nation seine Entschlüsse mitteilt, ist, den bedrohlich verlorengehenden Kontakt zum „durchschnittlichen Amerikaner“ einerseits und zur Weltöffentlichkeit anderseits wieder herzustellen, beziehungsweise zu verstärken.

Isolierung heißt das Kennwort der Johnson-Administration für 1967. Das muß nicht so bleiben.

Neue Chancen

Das neue Jahr bietet auch neu Chancen. Man soll es dennoch nicht zu dem stereotypen „Jahr der Entscheidung“ erheben. Jedes Jahr hat seine eigenen Entscheidungen, die nicht neu zu sein brauchen, widerrufbar, notwendig, ohne endgültig zu sein.

Die amerikanische Politik hat innenpolitisch (Automation, Streiks, rassische Unruhen, inflationäre Möglichkeiten usw.) Schwierigkeiten. Viele von ihnen sind übernational.

Vielleicht kann man sie nur übernational lösen?

Außenpolitisch gehört Geduld dazu, mit der Sowjetunion, vielleicht sogar mit China, zu einer sinnvollen „Koexistenz“ zu kommen. Es bleibt fraglich, ob das kommende Jahr sie bringen wird. Sicher ist, daß es benutzt werden muß, ihr näher zu kommen.

Amerika bleibt ein Land mit außerordentlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten, ein Land voll von — teilweise naiven — Enthusiasten für eine bessere Welt.

Aber es bleibt auch das Land, wo die Demokratie ihr Risiko auf sich nimmt: Pressefreiheit zum Beispiel führt teilweise zu die Sicherheit der Nation gefährdenden Auswüchsen; in öffentlichen Diskussionen kommen Dissidenten anderseits gegenüber der offiziellen Politik zu Wort.

Das ist irgendwie der „American way of lif e“.

Die Johnson-Regierung ist theoretisch dafür, in Praxis relativiert sie sie langsam: die Massenmedien fühlen sich vernachlässigt und geben Spekulationen Raum, weil das Weiße Haus sie nur zensuriert informiert.

Ob Vietnam in diesem Jahr eine „Lösung“ findet, weiß kein Mensch. Der ehrliche Wille der Regierung der USA zu einer sinnvollen Beendigung des Krieges 'ist kaum anzwei-bar! Die „Esyalation“ der Angriffe gegen Nordvietnam scheint mit Recht vielen Beobachtern als Weg dazu fraglich. Aber hier fallen alle grundsätzlichen Entscheidungen des Jahres. Die anderen Fragen, so wichtig sie sind, werden sich neu in ein Schema einordnen, das amerikanische innere „Reform“ mit weltpolitischer Cooperation verbindet. Könnte Goethe doch Recht behalten?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung