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Hat die ÖVP noch Chancen?

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Für die österreichische Volks-partei waren die Rückschläge diese Herbstes besonders schmerzlich, weil die Niederlagen in Salzburg, Klagenfurt, Oberösterreich und Burgenland ein Sturz aus den Höhen waren, dn denen sich die Regierungspartei nach dem 6. März 1966 glaubte. Damals, nach dem in seinem Ausmaß überraschenden Wahlsieg, war man vielfach der Meinung, entscheidend würden sich nicht nur Form und Stil, sondern auch Inhalt und Ergebnis des Regierens ändern. Heute wissen wir, daß die einschneidendste Änderung nicht das Regieren, sondern das Wählerverhalten betrifft. Die Mobilität des Wählers ist das wirklich Neue in unserer Demokratie. Am 6. März 1966 hatte daraus die ÖVP ihren Vorteil gezogen. Im Herbst 1967 mußte sie die Schattenseiten dieser Veränderung kennenlernen.

Wie reagiert nun die Volkspartei auf diese Erfahrung, daß die in Bewegung geratene^ Wähler sich einmal auch gegen die ÖVP wenden können? Die Unsicherheit, die sich in den Reihen der Regierungspartei ausbreitet, ist verständlich. Weniger verständlich ist eine gewisse Hysterie, die sich in manchen Bereichen ehr deutlich zeigt. Ausfluß der Hysterie' ist die krampfhafte Sucht, durch fast täglich lancierte Ministerlisten neue Namen (die nicht einmal sehr neu sein müssen) ins Spiel zu bringen. Man spielt „Wer will noch Minister werden?“.

Diese Form der Hysterie kann der Regierungspartei nur schaden. Nicht nur, weil das Klima innerhalb der Regierung dadurch immer schlechter wird, nicht nur, weil für außenstehende Beobachter der Eindruck totaler Konfusion entstehen muß. Diese Hysterie ist vor allem deshalb von Übel, weil sie von den eigentlichen Problemen und ihren tieferen Ursachen nur ablenkt.

Die tieferen Ursachen beginnen bei der Umsetzung des Selbstverständnisses der Volkspartei in die politische Realität. Die ÖVP war und ist sehr stolz auf das von ihr entwickelte Modell einer „sozialen Integrationspartei“. Die an sich voll und ganz legitimen Interessen der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Gruppen sollen, in den drei Bünden kanalisiert, schon im Rahmen der Partei auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Niemand bezweifelt heute ernsthaft die Richtigkeit dieses Modells, und die Tatsache, daß die SPÖ sich faktisch zur „sozialen Integrationspartei“ wandelt (selbstverständlich mit Schwerpunkten, die sich von denen der ÖVP unterscheiden), beweist nur, wie zukunftsträchtig das Konzept der Volkspartei ist; oder, besser, wäre. Denn in der Praxis sieht' daä alles anders aus.

In der Praxis senkt man zuerst die Einkommensteuer, um kurz darauf die indirekten Steuern zu erhöhen, wovon vor allem die betroffen sind, die von der Einkommensteuersenkung nichts oder fast nichts profitieren konnten — mangels eines zu versteuernden Einkommen. In der Praxis fordert man von den Unselbständigen Opfer mit dem Hinweis, auch „die Wirtschaft“ müsse solche Opfer bringen — und gleichzeitig verkünden die Vertreter des Wirtschaftsbundes, selbstverständlich würden die Opfer der Selbständigen auf die Preise und damit auf die Konsumenten überwäizt werden. In der Praxis geht man an der Tatsache vorbei, daß die Schlüsselposition für zukünftige Wahlerfolge dem Bund zukommt, der die Interessen der Unselbständigen in der Gesamtpartei vertritt; denn die Unselbständigen bilden die große Mehrheit der österreichischen Bevölkerung; und der Ausgang jeder Wahl härogt davon ab, ob es der Volkspartei gelingt, mehr als eine Koalition von Bauern und Unternehmern zu sein.

Alle diese Fehler werden keineswegs in böser Absicht begangen, sondern aus Verwirrung, Kurzsichtigkeit, anfangs freilich auch aus der Überheblichkeit des Inhabers einer absoluten Majorität. Was nicht funktioniert, das ist die Synchronisation der Interessen. Die innerparteiliche Integration ist mangelhaft, das Modell der „sozialen Integrationspartei“ bleibt auf dem Papier. Das, was der Großen Koalition zuletzt zu Recht vorgeworfen wurde, daß die gegensätzlichen Interessen einander blockierten und nicht in eine Resultante mündeten, das spielt sich heute häufig innerhalb der Regierungspartei ab.

Gerade weil die Wähler beweglicher geworden sind, ist die Lage der Volkspartei noch lange nicht verzweifelt. Das Pendel kann genau so rasch wieder in die andere Richtung ausschlagen. Aber dieser Pendelschlag wird nicht automatisch erfolgen. Um ihre Chancen zu wahren, wird die ÖVP mehr bieten müssen. Es wäre falsch, würde sie nur auf ähnlich schwere Fehler der Sozialisten warten, wie sie von der SPÖ zwischen 1963 und 1966 begangen wurden; vielleicht macht Kreisky keine solchen Fehler. Es wäre auch falsch, würde sie die Mobilität der Wähler, unter denen auch katholische Wähler vermutet werden, und die Gespräche zwischen Kirche und SPÖ mit der Berufung auf eine christlich etikettierte Politik beantworten: nicht „christlicher“, sondern besser muß die Volkspartei regieren. Geradezu katastrophal wäre es aber, würde die Volkspartei sich die zweifelhafte Therapie einer Kleinen Koalition verschreiben; welchen Anlaß sollten die zur SPÖ übergegangenen Wähler haben, zu einer ÖVP zurückzukehren, die sich nach rechts außen öffnet?

Die österreichische Demokratie braucht eine große, innerlich gesunde demokratische Partei der rechten Mitte; wie sie auch eine große, innerlich gesunde, demokratische Partei der linken Mitte braucht. Deshalb ist jede Krise einer dieser Parteien auch eine Krise unserer Demokratie. Und deshalb müssen wir auf eine innere Gesundung der Volkspartei hoffen.

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