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Digital In Arbeit

Heim-Fernsehen ?

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Der Leser wird bei diesem Titel anfänglich feststellen, daß er nichts Neues aussagt: was könnte häuslicher sein als das Patschenkino? Dem ist jedoch nicht ganz so. Der Fernseher kann derzeit nichts anderes machen als die Programme zu empfangen, die von der Fernsehgesellschaft produziert und ihm zu von ihr bestimmten Zeiten serviert werden. Er kann zwischen Erstem und Zweitem Programm wählen, wenn die beiden gleichzeitig gesendet werden —• was bekanntlich nicht immer geschieht —, und er kann auf den Empfang und damit auf die Nutzung eines adäquaten Teils der ihm abkassierten Gebühr verzichten. Mehr kann er nicht.

Wir stehen jedoch vor einer der aufregendsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Elektronik und des Kommunikationswesens, welche die oben dargestellte Lage gründlich zu verändern imstande ist. Drei große internationale Konzerne befinden sich derzeit in einem Nase-an-Nase-Rennen mit der Vorbereitung einer Erfindung für den Massenabsatzmarkt, einer Erfindung, die, wie viele der bedeutendsten, selbstverständlich und einfach aussieht. Sie besteht aus drei Elementen. Das erste ähnelt den bereits im Handel erhältlichen Magnetophonbandkassetten mit reproduzierten Aufnahmen von Musik und anderem. Die neue Kassette — nicht größer als eine Sardinenbüchse — enthält jedoch sowohl Ton- als auch Fernsehfilmaufnahmen. Das zweite Element ist ein Projektionsapparat, nicht viel größer als die Bildwerfer für 33-mm-Dias. Das dritte Element ist das wichtigste: es ist eine mit jedem Fernsehempfangsapparat verbindbare Vorrichtung, mit der man jede zu Hause empfangene Fernsehsendung aufnehmen und auf dem Tonfilmband der Kassette festhalten kann.

Man nimmt an, daß die gesamte Apparatur bereits in zirka eineinhalb Jahren auf dem Markt erscheinen und daß ihr Preis zunächst zirka 25.000 bis 30.000 Schilling betragen wird. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß die Sache wesentlich billiger werden wird, wenn sie ein Objekt des Massenabsatzes geworden sein wird. Daß es dazu kommen wird, daran ist kaum zu zweifeln. In diesem Apparat wird dem Kino und dem Fernsehbetrieb, wie wir ihn derzeit kennen, ein mächtiger Riuale erstehen. Er verfügt nämlich gegenüber den beiden anderen über einen wichtigen Vorteil: er befreit uns von der Tyrannei der Programmzeiten und hebt unsere Abhängigkeit von der von anderen bestimmten Programmwahl auf. Wir werden imstande sein, uns unsere eigene Auswahl zu jeder gewünschten Tages- oder Nachtzeit vorzuführen. Wir werden den Apparat zur Aufnahme einstellen können, ohne überhaupt zu Hause zu sein, und die Aufnahme abspielen, wann es uns paßt und nicht dem Fernseh-programmchef. Und es wird vermutlich auch dazu kommen, daß wir uns Sendungen um ein paar Schilling in einer Kassettenleihbibliothek werden ausleihen können.

Die Bedeutung der neuen Erfindung für das Unterrichtswesen ist unabsehbar. In jenen Ländern, in denen es bereits normalen Fernsehunterricht gibt, sind die Schulklassen von den festen Sendezeiten der Schulprogramme abhängig. Sie werden sich nun ihre Sendungen aussuchen und wann es ihnen paßt in den Unterricht einbauen können. Lehrer und Schüler werden die Vorführung zwecks Diskussion oder näherer Erklärung eines bestimmten Punktes einhalten und fortsetzen, zurückspielen oder wiederholen können. Auch für die im Film und Fernsehen tätigen Künstler und Produzenten birgt die Neuerung große Möglichkeiten, auf die hier nicht eingegangen werden kann, weil das zu weit führen würde. Man kann dabei aber auch mit einer großen Zahl neuer Probleme, insbesondere zivilrechtlicher und gewerkschaftlicher Art rechnen. So erhält ein Fernsehautor bis nun ein fixes Honorar plus Vergütungen für Weiterverkauf eines Werkes ins Ausland und an andere Sender. Wird ihm nun bei einem Massenvertrieb seiner Sendung auf der gleichen Grundlage wie bei Schallplatten oder Magnetophonaufnahmen für den Handel durch Tantiemen vergütet werden? Und wie wird das gehandhabt werden, wenn Werke für den Kassettenvertrieb vervielfältigt werden, die bereits vor langem für den Film oder das Fernsehen produziert worden sind?

Zweierlei steht fest: 1. An der bisherigen Monopolposition des Fernsehens wird sich einiges durch die Neuerung ändern. 2. Die Fernsehkonserve wird uns in Österreich möglicherweise helfen, den Abstand zu jenen Ländern einzuholen, in denen es bereits ein entwickeltes Unterrichts- und Fortbüdungsfern-sehen gibt. Vielleicht aber wird es uns auch helfen, überhaupt zu einer umfassenden Unterrichtsreform zu gelangen.

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